Zweitland – Kritik
Zwei Brüder in den Wirren des separatistischen Terrors im Südtirol der 60er-Jahre: Michael Kofler versucht in Zweitland, anhand einer klassischen Familiengeschichte eine bewegte historische Epoche einzufangen. Aufklärerische und erzählerische Impulse gehen dabei eine prekäre Balance ein.

Ein so düsteres Südtirol hat man auf der Kinoleinwand selten gesehen: Nicht malerisch, sondern bedrohlich muten die Bergmassive an, die die Kulisse von Michael Koflers Langfilmdebüt Zweitland bilden. Wenn nicht gerade Nacht herrscht, verhüllt Nebel die Landschaft. Auf Sonnenstunden, so scheint es, wartet man in diesem Teil Italiens vergebens. Dass hier mit gängigen Südtirol-Klischees gebrochen werden soll, macht Kofler in fast jeder Einstellung seines Films deutlich. Vielleicht eine Spur zu deutlich. Doch der Reihe nach.
Südtiroler Bombenjahre

Zweitland geht ganz klassisch los, mit Texttafeln. In drei knappen Absätzen wird die Geschichte des Südtirol-Konflikts rekapituliert – von der Italianisierungspolitik unter Mussolini über die schleppenden Autonomiebemühungen nach 1945 bis hin zu dem separatistischen Terror der späten 1950er und 1960er, der unter dem Namen „Bombenjahre“ in das historische Gedächtnis der Alpenprovinz eingehen sollte.
Klassisch setzt auch der Plot des Films ein, indem er bewährten Familiendrama-Mustern folgt. Wir schreiben das Jahr 1961. Protagonist Paul (Thomas Prenn), ein kunstaffiner Südtiroler Bauernsohn, hat die soziale Perspektivlosigkeit und die geistige Enge seiner Heimat satt. Am liebsten würde er im fernen München ein Malereistudium beginnen – wäre da nicht sein großer Bruder Anton (Laurence Rupp), ein mit beiden Beinen fest im Leben stehender Familienvater und erklärter Patriot, der eher einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen würde als seinem geliebten Südtirol den Rücken zu kehren. Verkompliziert wird die Konstellation durch Antons Frau Anna (Aenne Schwarz), die ihren Mann zwar liebt, dessen politische Einstellungen jedoch ablehnt. Mehr noch: Als Dorfschullehrerin verfolgt sie parallel eine Art eigenes österreichisch-italienisches Versöhnungsprojekt, indem sie ihre Schüler*innen zweisprachig unterrichtet.
Das historische Makrogeschehen ruft Kofler mittels regelmäßiger Radio-Einspieler auf. Eines Nachts erschüttern Explosionen die Region – ein terroristischer Anschlag, wie sich schnell herausstellt. Kofler bezieht sich hier auf die sogenannte Feuernacht von 1961, in der ein Zusammenschluss militanter Südtiroler Separatisten („Befreiungsausschuss Südtirol“, kurz: BAS) 37 Starkstrommasten im Raum Bozen und in anderen Teilen des Landesgebiets sprengte. „Heute Nacht scheißen sie in Mailand im Dunkeln“, kommentiert Anton das Geschehen in einer Mischung aus Häme und Trotz – und gibt sich damit vor Anna und Paul zu deren Entsetzen als Mitglied der verantwortlichen Terrorgruppe zu erkennen.
Schematische Dreiecksgeschichte

Ein hitzköpfiger Patriarch mit Hang zum Politisch-Autoritären, eine mütterliche, um friedliche Koexistenz bemühte Pragmatikerin und dazwischen ein melancholischer Freigeist im Konflikt zwischen Bruderliebe, Fernweh und Gesetz. Kofler schafft es nur bedingt, diese ziemlich schematische Familienaufstellung mit Leben zu füllen. Anna bleibt psychologisch farblos, obwohl sich Schwarz alle Mühe gibt, der Figur ein paar interessante Facetten abzutrotzen. Ihre Rolle besteht im Wesentlichen darin, über Anton und Paul sorgenvoll den Kopf zu schütteln. Letztere wirken im Vergleich deutlich komplexer. Stark ist etwa die Eröffnungssequenz: ein Zweikampf zwischen den Brüdern. Umgeben von grölenden Schaulustigen, ringt der Ältere den Jüngeren immer wieder zu Boden. Verzweifelt versucht Paul sich aus der Umklammerung seines großen Bruders zu befreien – ohne Erfolg. Eine bemerkenswert effizient inszenierte Miniatur über das Verhältnis von (männlicher) Gewalt und Emanzipation. Rupp und Prenn liefern hier beide überzeugende, emotional dichte Performances. Szenen wie diese gelingen Kofler zwar noch an anderer Stelle, doch bleiben sie meistens der rigiden didaktischen Anlage des Films unterworfen.
Spätestens ab dem zweiten Drittel stehen die Zeichen auf Eskalation: Wenige Stunden nach dem Anschlag des BAS, bei dem, wie wir bald erfahren, auch ein italienischer Straßenarbeiter ums Leben gekommen ist, führt die Polizei Razzien im Ort durch. Verdächtige werden festgenommen, darunter auch Pauls bester Freund Hans (Fabian Mair Mitterer). Anton flieht nach Nordtirol, wo er sich weiter radikalisiert. Parallel erhöhen die Behörden den Druck auf Paul. Dieser hat die Wahl, entweder seinen Bruder zu verraten oder zu riskieren, dass Hans die Untersuchungshaft nicht überlebt, so die zynische Drohung des Carabiniere, der gegen Anton ermittelt.
Vom Terror zum Trauma

Dass die italienische Polizei damals auch vor Folter nicht zurückschreckte, ist gut dokumentiert. Kofler räumt diesem Aspekt seines Stoffes viel Screentime ein; die terroristische Gewalt des BAS, die ab den 1960ern neben Anschlägen auf Denkmäler und Infrastruktur auch mehrere tödliche Attentate auf italienische Sicherheitskräfte miteinschloss, wird indes erst gegen Ende von Zweitland stärker thematisiert. Auf die Bedeutung rechtsextremer und deutschnationaler Ideologien für die Gruppe kommt der Film nur beiläufig zu sprechen – etwa, wenn einer von Antons Kameraden, ein Österreicher, in einem etwas hölzernen Monolog über das Los seiner „deutschen Brüder in Südtirol“ sinniert. Tiefere Einblicke in die politische Vorstellungswelt der Separatisten erhalten wir nicht. Hier verschenkt Kofler die Chance, die in vielen Szenen nur vage angedeutete Aktualität seines Films konkret werden zu lassen: Bis heute ist die „Südtirol-Frage“ ein beliebter Topos von Rechten dies- und jenseits des Brenners.
Mehr als für Ideologie interessiert sich Zweitland für die psychologische Seite seiner Geschichte, namentlich für die inneren Konflikte Antons. Stück für Stück klärt uns der Film über dessen traumatische Kindheits- und Jugenderlebnisse auf. Gegen Ende unternimmt Paul einen letzten Versuch, um seinen Bruder zur Vernunft zu bringen, indem er ihn mit einer Erinnerung an die verstorbene Mutter konfrontiert. Anton steigen Tränen in die Augen. Der BAS-Attentäter – ein fehlgeleiteter Idealist, der eigentlich nur ein Zuhause sucht? Naja.
Zweitland macht aus seinem Programm keinen Hehl: Dieser Film will aufklären, will für die Nuancen und Widersprüche eines herausfordernden Stücks Zeitgeschichte sensibilisieren. Leider verfährt er dabei allzu umsichtig – mit den erwartbaren Folgen: So sehr sich der Film didaktisch auch ins Zeug legt, zu den wirklich schwierigen Fragen seines Themas dringt er nicht vor.
Neue Kritiken
Gavagai
Stille Beobachter
Im Rosengarten
Die endlose Nacht
Trailer zu „Zweitland“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (9 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.











