Sylvie – Kritik

Die Liebe ist dort, wo man gerade nicht ist: In Klaus Lemkes Sylvie versucht ein Model einen begriffsstutzigen Seemann von der Liebe zu überzeugen. Ein Film wie ein kopfloses Abenteuer.

„Haben Sie für den Champagner einen besonderen Wunsch?“ – „Eine volle Flasche.“ Das Fotomodel Sylvie (gespielt von Sylvie Winter, die ihren Vor- und Nachnamen gar nicht zu wechseln braucht) haut sein Honorar gern in einem Edellokal auf den Kopf. Neben dem Schampus werden noch Weinbergschnecken mit dem gewünschten Ketchup aufgetischt; da hätte sie allerdings einen saftigen Burger bevorzugt, wie die schöne, hier und da einsetzende Gedankenstimme berichtet. Luxus und Etikette bedeuten ihr nichts. Auf dem Rückflug nach München lernte Sylvie einen feinen Herren kennen, der sie auf einem Schmuddelheftchen erkannte, süffisant lächelte und ihr nach kurzem Geplänkel die Heirat anbot. Sie wolle es sich überlegen. Jetzt betrinkt sie sich aber so sehr, dass gleich das erste Rendezvous mit dem Alten ausfällt. Denn sie steigt, selbst nicht mehr ganz bei Sinnen, zu einem verhinderten Seemann ins Taxi, den es wegen der Liebe zu seiner Mutter vom Hamburger Hafen an die Isar verschlagen hat. Der schnoddrige Paul (Paul Lys) kennt sich überhaupt nicht mit den Straßen aus; Sylvie nüchtert letztlich in seinem mit Matrosenkram verhangenen Zimmer aus. Die nächtliche Odyssee empfindet sie später als eine Schicksalsbegegnung. Ob das Paul ähnlich sieht, muss sie erst herausfinden. Es scheint so zu kommen, wie man es aus klassischen Screwball-Komödien kennt: Der eine muss den anderen erst noch von seinem (Liebes-)Glück überzeugen.

Was die bildschöne und von allen Seiten begehrte Sylvie ausgerechnet an diesem verschlafenen Typen mit der Wuschelfrisur und dem albernen Hamburg-Slang findet, bleibt ihr Geheimnis. Sie will ihn jedenfalls mit ihren Reizen rumkriegen; er hingegen findet ihre grazilen Modelbeine doch eher storchenartig und fühlt sich sichtlich wohler damit, in das besagte Nacktfoto schwarze Unterwäsche einzukritzeln. „Er ist unheimlich nett, aber ein bisschen begriffsstutzig“, sagt sie einmal wohlwollend über ihn zu ihrem Agenten.

Klaus Lemkes Sylvie (1973) ist wie das Gros seiner anderen Liebesfilme überhaupt nicht an psychologischer Plausibilität interessiert. Es ist ein Film, der auch sonst auf nichts Konkretes hinauswill, keine Geschichte im herkömmlichen Sinne, erst recht keine bedeutsame, erzählt. Eigenwillige Menschen, die in komischen Situationen und vor aufregenden Kulissen mal melancholische, mal total bescheuerte Dinge erzählen – das ist der Kern. Komisch sind die Model-Shootings, in denen Sylvie auf Kommando strahlt und posiert, während ein Fotografenhampelmann sie mit den Worten „Hey Baby! Get Wild! Wow!“ beschallt. Aufregend ist ihr Abstecher nach New York. In wunderschönen, von Funkmusik begleiteten Luftaufnahmen umkreisen wir die noch nicht fertiggebauten Twin Towers im Helikopter; auf einem der beiden Dächer springt winzig klein Sylvie bei einem Foto-Shoot herum. Man kann regelrecht wehmütig werden, wenn man bedenkt, wie sich in den 1970ern der Stadtraum anscheinend noch filmisch erobern ließ.

Die Liebe ist dort, wo man gerade nicht ist. Und so kehrt Sylvie von ihrem Job wieder nach München zurück. Die Eroberung des Typen, der eigentlich nur das nächste Schiffsabenteuer im Sinn hat, nimmt wieder Fahrt auf. Aber alles ist total entspannt: Es gibt keinen Slapstick, keine Verwechslungskomödie oder Farce.

In Sylvie wird jede Nebensächlichkeit vorübergehend zum Hauptdarsteller. So neugierig wie die Kamera die nächtlich funkelnden Straßenzüge und die exzentrisch gekleideten Passanten New Yorks einfing, so interessiert ist sie daran, den heimischen Laiendarstellern bei ihren komischen Einsätzen zuzuschauen. Die touristische Faszination für die Polizeisirenen, die durch die New Yorker Skyline schallen, geht Hand in Hand mit der Liebe zu lokalen Verschrobenheiten: Ein Frankfurter Luxushotel, das keine Frankfurter Würstchen führt; bajuwarische Punks, die mit dem Taxifahrer darüber fachsimpeln, wie man denn nun zu diesem Villenviertel kommt.

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