Satanische Sau – Kritik

Regisseur Rosa von Praunheim ist über 80 und nimmermüde. Mit Satanische Sau legt er einen Film nach, der als Lebensrückblick durchgeht. Oder als höllisch geiles Kammerspiel. Grenzen sprengt sein neues Werk in jedem Fall.

„Kann denn Liebe Sünde sein?“ sang Zarah Leander 1938. 1987 bestätigten die Pet Shop Boys: „It’s a Sin.“ Dem Synthiepop-Duo ging es allerdings nicht um die klassisch heterosexuelle Liebe, sondern um schwules Begehren, das aus ganz anderen Gründen verteufelt wurde. Davon konnte auch Rosa von Praunheim ein Lied singen. Der Regisseur sang so einige: In der Bundesrepublik, die lieber die Schlager Zarah Leanders schmetterte als die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, waren Werke wie Die Bettwurst (1971) oder Stadt der verlorenen Seelen (1983) queerer Punk. Praunheims bekanntester Film trug den anklagenden Titel: Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1971).

Sünde, Perversion – Praunheim spiegelte die homophoben Vorwürfe nicht nur, sondern verkörperte sie auf ironische Weise. Entsprechend steckt hinter der titelgebenden „satanischen Sau“ in seiner neuen Filmbiografie natürlich er selbst. Nur wäre Praunheim nicht Praunheim, wenn er das Ganze nicht mit einem Twist versehen würde. Satanische Sau ist keine bloße Doku, sondern ein vulgärer wie verwirrender Selbstfindungstrip. Sofern es da ein Selbst zu finden gibt.

Blanke Ärsche, quiekende Säue

Dabei fängt es ganz unschuldig an: Schauspieler Armin Peter von Mehl sitzt zuckersüß grinsend in seinem Sessel und erzählt, dass ihn Rosa von Praunheim gebeten hat, seinen Alter Ego zu spielen. Eine Dokufiktion also, interessant. Noch interessanter ist, dass es einen Armin Peter von Mehl gar nicht gibt. Der ist nämlich ebenfalls eine Filmfigur, hinter der wiederum Armin Dallapiccola steckt. Den konnte man bereits in Praunheims vielsagender Doku Dreißig Jahre an der Peitsche (2024) sehen. Er soll Rosa jetzt verkörpern, auch nach dessen Tod. Das sei gespoilert: In Satanische Sau wird Praunheim sterben. Das teuflische Tier kommt unters Messer – und ersteht wieder auf. Wenn das mal keine religiöse Motivik ist.

Auch vorher wird ordentlich das Schwein rausgelassen. So nutzt Armin Peter von Mehl die Aufforderung Praunheims freimütig aus, um zwei gutaussehende junge Männer in sein Bett zu locken. Beide stecken in Windeln, so viel Fetisch muss sein. Und beide bringen die satanische Sau gehörig zum Quieken. Die revanchiert sich, zieht den Burschen die Windeln runter und erfreut sich an ihrem hübschen Polöchern. Schließlich schaut auch der echte Rosa vorbei und drängt sich dem armen Armin Peter von Mehl gehörig auf. Auf Mehls Frage, was der Eindringling denn wolle, Geld oder Sex, antwortet er: „Ich will beides!“

Ein Leben voller Hingabe

Bescheiden war Rosa von Praunheim niemals. Immer extravagant gekleidet, nicht selten mit wechselnden Hüten und in seiner Lieblingsfarbe. Für den extrovertierten Kunstmacher mit über 150 Filmproduktionen war kein Format unpassend genug. Auch die Bühnen waren vor ihm nicht sicher. Sein Filmklassiker Die Bettwurst und auch die Dokufiktion Rex Gildo – Der letzte Tanz (2022) wurden zu Musicals. Der versteckt schwul lebende und tragisch verstorbene Schlagerstar wird in Praunheims Film übrigens nicht nur erwartbar überdreht, sondern auch überraschend einfühlsam porträtiert.

Hinter Fame, Geld und Sex steckt auch in Satanische Sau die Trauer. In einer Szene besucht der fiktive Rosa einen Nachbarn. Der hat seine Berliner Wohnung zu einem barock-kitschigen Palästchen umgebaut. Das Schmunzeln, das die Zuschauenden angesichts der beigen Vorhänge und abgeschmackten Uhren überkommt, dürfte rasch vergehen. Mit tränenfeuchten Augen erzählt der Nachbar vom Tod seines Partners und dem Alleinsein in der großen Wohnung. All der billig wirkende Glamour, abgefilmt in flacher Digitaloptik, spiegelt plötzlich ein Leben voller Hingabe. Auf einmal beschleicht einen das Gefühl, dass der in seinen 80ern befindliche Rosa in seinem Film über den Tod nicht nur spaßen möchte. Und dass das fast manische Festhalten an der sexy Jugend auch eine leise Verzweiflung vor dem Alter bedeuten kann.

Nach dem Tod noch sexy und fidel

Aber was heißt schon Tod, wenn es die Wiedergeburt gibt? So fand bereits der junge Holger Bernhard Bruno Mischwitzky sein neues Künstlerleben in der Persona Rosa von Praunheim. Der Name rührt vom Rosa Winkel, den homosexuelle Männer in Konzentrationslagern tragen mussten, und vom Frankfurter Stadtteil Praunheim, in dem er aufgewachsen war. Rosas schwule Lust überdauerte alle Widerstände und so sehen wir seinen Alter Ego Armin Peter von Mehl auch nach dem Tod noch sexy und fidel herumschwirren, als übergroß reinkarnierter Schmetterling oder als satanische Sau. Ach ja, warum eigentlich die Sau? „Das weiß ich auch nicht. Ich hatte so eine Eingebung gehabt“, rechtfertigt sich von Mehl vor der Kamera.

Am Ende werden auch die Zuschauenden nicht wissen, was für eine Eingebung das gewesen sein mag. Rosa von Praunheims Satanische Sau ist kein nachdenkliches Alterswerk, sondern ein schwindelerregender Trip, ein überdrehtes Kammerspiel zwischen pornografischer Geilheit und trauriger Verwirrung. Rosa von Praunheims giftiger Humor, seine widersprüchliche Lust an der Grenzüberschreitung sind im deutschen queeren Kino einzigartig. Sollte Praunheim wider Erwarten doch irgendwann einmal sterben, müssen wir ihm die Reinkarnation als junger, mutiger Filmemacher wünschen. Die deutsche Filmlandschaft braucht ihn noch immer!

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