Stille Beobachter – Kritik

Stille Beobachter wirft einen Blick auf das Leben in einem bulgarischen Bergdorf – aus der Perspektive seiner tierischen Bewohner. Spielerisch offenbart Eliza Petkovas Dokumentarfilm dabei eine Spannung zwischen Realismus und Mystik.

Nüstern, ein Auge. Nüstern, zwei Ohren. Schon vor der obligatorischen Titeleinblendung (schlicht, weiß auf schwarz) setzt Stille Beobachter einen klaren Fokus: hier geht es um Wahrnehmung, ums Beobachten – mit allen Sinnesorganen. Die Protagonisten des Films aber sind keine Menschen. Die Close-Ups zu Beginn zeigten fragmentiert die Sinnesorgane einer Ziege, einer Katze, eines Hundes. Immer wieder wird der Film in seinen rund anderthalb Stunden verschiedenste Tiere zeigen und dann unmittelbar im Anschluss zu Bildern wechseln, die suggerieren, aus deren Perspektive aufgenommen zu sein. Beobachtet werden Menschen und ihre Bräuche sowie die Landschaften um das bulgarische Bergdorf Pirin. Die Beobachtenden in diesen Aufnahmen sind, so das Konzept, tierisch.

Nun ist die Idee nicht neu, den perspektivischen Spieß umzudrehen und sozusagen mit den Augen eines Tieres auf die Welt zu schauen. Dreaming Dogs von Elsa Kremser und Levin Peter ist etwa ein jüngeres Beispiel. Doch diese Versuche stehen allesamt vor dem gleichen Paradoxon, das auch Stille Beobachter weder auflösen kann noch will: Wie soll man sich eine Sicht aneignen, die wir aus unserer Menschenperspektive gar nicht bestimmen können? Wie soll man mit den technischen Gerätschaften von Kamera und Mikrofon einen organischen Tieresblick nachbilden?

Nimmt man die Bilder von Kamerafrau Constanze Schmitt für bare Münze, lässt sich folgern: der Blick von Katze, Esel, Hund ist in höchsten Maßen instagramable. Wir sehen hübsch kadrierte Aufnahmen mit äußerst minimaler Tiefenschärfe; Bilder, die man am besten mit unpräzisen englischen Wörtern wie lush oder dreamy bezeichnen könnte. Nun mag ich mir nicht anmaßen, klipp und klar auszuschließen, dass etwa eine Katze die Welt so sieht. Für wahrscheinlich halte ich das zwar nicht, aber: maybe!? Vielleicht sind sie so, die stillen Beobachter der Welt: seelenruhig erleben sie die Wirklichkeit als Abfolge von postkartenartigen 4:3-Bildern.

Try to look a chicken in the eye“ (Werner Herzog)

Dass der Kamerablick in den beschriebenen Einstellungen von Stille Beobachter keine sich irgendwie „authentisch“ gebende Tierperspektive einnimmt, ist offensichtlich. Das muss er nicht, das kann er auch nicht. Interessant wird der Film ohnehin auf einer anderen Ebene: Das Dorf Pirin ist nämlich erfüllt von etwas tief Menschlichem: von Geschichten. Immer wieder hören wir einzelne Leute (die meisten davon sind alt, und zwar auf eine Art, wie man sie nur in derartigen Dokumentarfilmen zu sein scheint), die von Katzen erzählen, die „eigentlich“ Vampire sind, oder von verhexten Eseln. Diese Sagengeschichten, die vermutlich viele Generationen zurückreichen, gehören genauso zu diesem Ort wie die Berge und der Nebel.

Nicht nur durch die erzählten Märchen schwingt auf der Ton-Ebene permanent eine fiktive Welt mit, eine Anmutung von Übernatürlichkeit und Mystik. Auch der folkloristisch raunende Soundtrack arbeitet daran, ein atmosphärisches Mehr zu evozieren, das über das physisch Vorhandene hinausgeht. Das Spannende an Stille Beobachter ist dann aber, dass die Bilder sich diesem Drang zur Mystifizierung permanent entziehen, ihn schlichtweg unterlaufen. Wenn etwa von einer sagenumwobenen Vampir-Katze erzählt und anschließend auf die reale Katze geschnitten wird, dann scheint die Kamera den Beweis zu liefern, dass da einfach eine reale Katze ist – und sonst nichts. Anders gesagt: die Bilder legen etwas frei, das wenig mit Mystik zu tun hat. Dieses Etwas ist die Einsicht, dass das Medium Film schlussendlich eines der Oberfläche bleibt, dass das Bild einer Katze, gerade in der kristallenen Detailschärfe dieses Filmes, gewissermaßen rational bleibt – und dass mündliche und schriftliche Überlieferung etwas können, das hier im Visuellen nicht so richtig aufgeht.

Möglichkeiten eines anderen Films

Stille Beobachter scheint sich über diesen inneren Widerspruch im Klaren zu sein, was paradoxerweise gerade in jenen Momenten deutlich wird, in denen er spielerisch die Möglichkeit eines anderen Filmes aufblitzen lässt. Es gibt eine kurze Sequenz, in der eine Katze zu sehen ist. Nach einem Schnitt sehen wir – implizit aus der Sicht des sympathischen Tierchens – eine Wand, an der ein Bild angebracht ist. Nach wenigen Momenten fällt das Bild zu Boden. Gleichzeitig aus dem Off: ein Miau. Die Mystifizierung der Sagen wird hier also qua Montage scheinbar bestätigt. Das Bild fällt wegen der Katze, das macht der Schnitt in Kombination mit der in die Bilder strahlenden Sagen-Thematik klar. Solche magischen Momente, in denen das Übernatürliche scheinbar tatsächlich bebildert wird, sind rar in diesem Film. Sie wirken in ihrer Taschenspieler-Montage eher wie kleine Inside-Gags, die zum Ausdruck bringen: So könnte man es auch sehen, das wissen wir. Aber so ist es in Wahrheit nicht.

Das Scheitern der Bilder, die sich partout nicht „aufladen“ wollen, hat etwas sehr Produktives in diesem Film. Es verleiht ihm eigentlich erst einen Mehrwert, der über die hübschen Vignetten hinausdeutet. Stille Beobachter ist am Ende also primär als – dezidiert menschliche – Medienreflexion spannend. Einmal, etwa in der Mitte des Films, gibt es ein paar Einstellungen von nebelverhangenen Bergen, ein Großteil des Bildes ist weiß. Und für ein paar Sekunden kommen das atmosphärisch Übernatürliche und der rein aufzeichnende Technikblick dann doch zusammen: in der Abstraktion. Da, wo es nicht viel zu sehen gibt – zumindest nicht mit dem Auge.

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