Als würde die Zeit stillstehen – Die Filme von Sohrab Shahid Saless
Einige der besten deutschen Filme hat ein Iraner gedreht. Anlässlich einer Retrospektive im Berliner Zeughauskino stellen wir mit einer Textreihe das Werk des in Vergessenheit geratenen Regisseurs Sohrab Shahid Saless vor.

Der erste Film, den Sohrab Shahid Saless in Deutschland drehte, erzählt von der gesellschaftlichen Isolation des türkischen Gastarbeiters Husseyin. Obwohl der persische Regisseur davor bereits im europäischen Ausland studiert hatte, war er plötzlich mit ähnlichen Erfahrungen konfrontiert wie sein Protagonist; mit einem Gefühl der Heimatlosigkeit ebenso wie einem mühsamen Neuanfang auf unbekanntem Terrain. In der Fremde (1975) kann man deshalb als Übergangswerk sehen; jedoch weniger stilistisch oder thematisch, als im rein geografischen Sinn. So wurde er zwar noch mit Mitteln aus dem Iran produziert, wo Saless nach zwei Langfilmen über den trostlosen und monotonen Alltag einfacher Leute Arbeitsverbot erhielt, aber schon in jenem Land gedreht, in dem er sich für fast zwanzig Jahre niederlassen sollte. Im gleichen Jahr entstanden wie ein deutlich bekannterer Gastarbeiter-Film – Fassbinders Angst Essen Seele auf –, zeichnet sich In der Fremde, wie auch alle anderen Arbeiten des Regisseurs, durch seinen geduldigen Blick aus, der zwar betont unsentimental, aber keinesweg kalt ist. Im Gegensatz zu Fassbinder, der die soziale Wirklichkeit zu einem klassischen Melodram formt, setzt Saless auf Reduktion und eine freiere Dramaturgie. In ruhigen Alltagsbeobachtungen, in denen die Zeit stillzustehen scheint, offenbart sich dabei die Essenz der Dinge.

Im Berliner Zeughauskino gibt es im Juni nun die Gelegenheit, fast das komplette Werk von Saless kennenzulernen, das aus einem ständigen Kampf mit Filmförderungs- und Fernsehanstalten entstanden ist. Aufgrund ihrer formalen Strenge scheinen die Filme zunächst etwas spröde zu sein, fesseln aber tatsächlich sehr schnell mit ihrer absoluten Konzentration. Und obwohl Saless die Abgründe vor allem im scheinbar Banalen und Nebensächlichen findet, stecken in seinen Filmen nicht nur präzise gezeichnete Milieustudien. Sein bekanntester Film Utopia (1982) widmet sich etwa über drei schwer zu ertragende Stunden einem gewalttätigen Zuhälter und den Huren, die für ihn arbeiten. Und so genau Saless die Rituale und den Tonfall einer konkreten gesellschaftlichen Gruppe einfängt, erzählt er dabei auch etwas Universelles – davon, wie totalitäre Regimes funktionieren, in denen die Unterdrückten immer wieder versuchen, aufzubegehren und sich schließlich mit gesenktem Haupt ihrem Schicksal fügen. So wie Saless sich gleichermaßen dem Mikro- und dem Makrokosmos unserer Welt widmet, so findet er seine Figuren sowohl unter den Namenlosen am Rande der Gesellschaft als auch unter mehr oder weniger prominenten Vertretern des kulturellen Lebens. Er drehte nicht nur Filme über vernachlässigte Kinder, abgedrängte Senioren oder geächtete Juden, sondern etwa auch über die von den Nazis geflüchtete Filmkritikerin Lotte Eisner oder den heute nahezu unbekannten Dramatiker Christian Dietrich Grabbe.

Saless ist natürlich nicht der einzige Protagonist des deutschen Kinos, der mittlerweile in Vergessenheit geraten ist. Dass es von ihm jedoch bis heute nicht einmal einen einzigen Film auf DVD oder Blu-ray gibt ist angesichts seines umfangreichen und bedeutenden Werks eine Tragödie. Auf critic.de wollen wir die Reihe im Zeughauskino deshalb zum Anlass nehmen, uns mit der Filmografie von Saless näher auseinaderzusetzen. Mit Texten von Manon Cavagna, Lukas Foerster, Till Kadritzke, Michael Kienzl, Nino Klingler, Mauricre Lahde, Lukas Stern und Fabian Tietke werden wir in den kommenden Wochen einzelne Filme des Regisseurs genauer vorstellen. Bei der Veröffentlichung wollen wir uns grob am Programm des Zeughauskinos orientieren, damit zumindest die Berliner (oder auch reisewillige) Leser die Gelegenheit wahrnehmen können, die Filme auf der großen Leinwand zu sehen. Wer weiß, wann es dazu, das nächte Mal die Möglichkeit gibt.
Zu den Filmen:
A Simple Event (1974)
Stillleben (1974)
In der Fremde (1975)
Reifezeit (1976)
Ordnung (1980)
Utopia (1983)
Der Weidenbaum (1984)
Hans - Ein Junge aus Deutschland (1985)
Wechselbalg (1987)
Kommentare zu „Als würde die Zeit stillstehen – Die Filme von Sohrab Shahid Saless“
Christoph Hochhäusler
"Utopia" widmet sich nicht "einem gewalttätigen Freier und seinen Huren" sondern einem Zuhälter ...
Michael
Ups, stimmt natürlich. Danke für den Hinweis. Ist korrigiert.
ule
Bin seit Ende den Anfang 90er Jahren auf der Suche nach seinen Filmen. keine VHS Cassette , keine DVD Reihe , es ist m.E. eine echte Schande, weil ausgerechnet die GEZ finanzierten Sender keinen Finger krumm machen, auch nicht nach mehrfacher Anfrage, eine klizkleine Bringschuld einzulösen, nämlich Saless Film in Würde zu veröffentlichen. Utopia ist ein echter Meilenstein deutscher Fernsehgeschichte. Allein die Eröffungsszene und der harte Gegenschnitt vom Opernhaus, mit Wagners "im Treibhaus" (ausgerechnet und wie passend !!) hinaus auf die Straße, rein in die "Wisch Dir den Rotz weg" - Szene Manfred Zapatkas und Imke Barnstedts. Allein diese 5 Minuten bringen die nächsten 3 Stunden auf den Punkt und ins "Treibhaus" (gemäß Wesendonck). Saless hat mich immer auch ein wenig mehr an Robert Bresson denken lassen anstatt an Fassbinder o.ä. Bekannte. aber gut- sollte jemand zufälligerweise mehr an Film haben , als das was in schlechter Qualität auf Youtube zur Verfügung steht bitte dringend melden / Danke