Romance – Kritik
Weil ihr Partner nicht mir ihr schlafen will, begibt sich Marie auf einen Passionsweg durch ihr Begehren. Catherine Breillats kontroverser Romance setzt Pornografie und Religion zu neuen Fantasien zusammen – und denkt über Kino und Heterosexualität nach.

Es sind simple Sätze der Enttäuschung, die Marie ihrem Paul immer wieder entgegenschleudert: „Du liebst mich nur, wenn zwischen uns ein Tisch ist”, „Nie schlafen wir miteinander”, „Ich habe dich nicht betrogen, aber ich sollte es tun”. Es sind keine Symptome einer gescheiterten Beziehung, denn Marie liebt den Mann, der im gemeinsamen Bett nicht mal abends das T-Shirt auszieht. Aber Paul weigert sich, mit ihr zu schlafen, obwohl er es an sich könnte und sie die Nähe kontinuierlich einfordert. Aus dem Mangel an Sex und Berührung heraus sucht die frustrierte Marie heimlich den Kontakt zu anderen Männern, mit denen sie ihr Begehren erkunden kann, sich in ihm umsieht wie in einem Raum, der sich bei Catherine Breillat im Wechselspiel von Erotik, Erlösung, Selbstzweifel und Gewalt eröffnet.
Arthouse oder Pornografie?

Ein Filmtitel zwischen ironischem Kommentar und nüchterner Beschreibung – bereits im Nachdenken über ihn offenbart sich die Vielschichtigkeit, die Romance innewohnt. Mit seinem Namen ruft der Film gleich ein ganzes Genre und die Erwartungen um dessen Konventionen auf. Doch sie wollen von Breillat bearbeitet und überschrieben werden. Und so markiert der Titel schließlich eher die Agenda einer Regisseurin, in deren Werk weibliche Hauptfiguren aus Zuständen der Verzweiflung nicht (mehr) von Märchenprinzen befreit werden (für sowas gäbe es in Romance eh keinen geeigneten Kandidaten). Auch jenseits der bloßen Handlungsebene ist Breillats Kino keines der Rettung, sondern eines, das von der Lust am Leiden und dem Leiden an der Lust erzählt. So ist Romance bei aller Subversion der und Kampfansage an die Romanze, als die der Filmtitel gelesen werden kann, eben doch eine Reflexion darüber, wie sich über heterosexuelle Liebe überhaupt Filme machen lassen.

Dieser Anspruch des Films an sich selbst wurde in anderen Rezensionen aufgrund der expliziten Sexszenen und -praktiken zuweilen vergessen. Mehr noch: An ihnen entfaltete sich eine kontroverse Auseinandersetzung um die Unterscheidung von Arthouse und Pornografie, von der Regisseurin und Drehbuchautorin Breillat insofern profitierte, als sie mit Romance ihren internationalen Durchbruch feierte. Der deutsche Verleih ergänzte den Filmtitel um ein „X“ (und brachte Anatomie de l’enfer von 2003 gar als Fortsetzungsteil unter Romance 2 – Anatomie einer Frau raus, obgleich es sich nicht um ein Sequel handelte); teilweise wurde der Film gar als Romance XXX vermarktet. Diese Benennungsakte rückten den Film systematisch näher an pornografische Inhalte. Romance XXX demonstriert schon als Schrift-Bild den Konflikt zwischen Vorstellungen romantischer Liebesbeziehungen und dem Drang zum Beischlaf, der Protagonistin Marie auszeichnet. Plakativ performt der deutsche Titel, was der Film verhandelt.
Die Personalie Rocco Siffredi

In einem Interview formuliert Breillat bestimmt: „Pornofilme sind gar kein richtiges Kino. Und Romance ist ja auch gar kein Porno, sondern er zitiert Porno-Situationen.“ Das beschreibt zwar, was im Film passiert, doch die Regisseurin zitiert nicht nur, sie codiert pornografisches Bildmaterial auch dezidiert um. Es lohnt etwa ein Blick auf die Personalie Rocco Siffredi, der in Romance Paolo mimt, ein Typ mit leicht zu groß geratenem Sakko, den Marie in einer Bar aufreißt. Eigentlich arbeitet Siffredi als Pornodarsteller, ist durch seine zahlreichen Filme und Werbedeals zur popkulturellen Figur geworden. 2016 erschien der Dokumentarfilm Rocco von Thierry Demaizière und Alban Teurlai, der ihn im letzten Jahr vor dem Rückzug aus dem Metier und beim Dreh des letzten, großen Sexstreifens begleitet. Sein Auftritt bei Breillat galt als Skandal, wenngleich der Geschlechtsverkehr, den die Figuren Marie und Paolo im Hotel einmal haben, nicht wirklich vollzogen wurde, sondern gespielt war – im Gegensatz zu den Handlungen zwischen Caroline Ducey und Sagamore Stévenin, die Marie und Paul spielen; für zwei Szenen nahm Ducey Stévenins Penis in den Mund. Porn dürfen bei Romance nur die Profis aus dem „richtigen Kino“ drehen.

Mit Siffredi und dem Bildrepertoire, das er durch sein filmisches Schaffen mitbringt, weiß Breillat ziemlich gut umzugehen. Sie stellt ihn als dekontextualisierten, unpassenden, hypermaskulinen Körper zur Schau, als Fragment einer Porno-Situation und sex machine, von Licht und Kamera (Bildgestaltung: Yorgos Arvanitis) anstelle des weiblichen Körpers fetischisiert. Sein Geficke und die ausgestellte Geilheit im Gesicht werden durch die Stimme von Marie aus dem Off begleitet, die während des Spektakels über den Sinn des Lebens nachdenkt. Auffällig lange wird vor dem Sex ein Kondom übergezogen, was in Siffredis sonstiger Hardcore-Pornografie selten bis überhaupt nicht zu sehen ist. Und die erste Begegnung zwischen Marie und Paolo ist eine eindeutige Abfuhr an die Dramaturgien von Aufforderung und Reaktion, die aus den Filmen des Pornodarstellers bekannt sind. „Blas mir einen“, bittet Paolo die Frau mit den brauen, langen Haaren, als sie die Bar verlassen und vor dem Auto von Partner Paul stehen bleiben, das sich Marie für ihren nächtlichen Trip geliehen hat. „Nicht jetzt”, antwortet sie. „Ich arbeite. Und ich muss das Auto zurückbringen.”
Selbstsuche am Abgrund

Die Frau muss weiter. Paolo ist nur eine kurze Station in dieser Erzählung einer sexualisierten Heilsgeschichte, die Romance vornimmt. Nicht umsonst heißt Lehrerin Marie so, wie sie heißt, und trägt zu Beginn des Filmes weiße, biedere Kleidung, die sie später gegen ein rotes Kleid eintauscht. Ihr Passionsweg, durch eine solche Farbdramaturgie in Kostüm und Szenenbild gekennzeichnet, beinhaltet neben der Hotelnacht mit Siffredi außerdem den Versuch der Prostitution, eine Vergewaltigung durch einen Unbekannten sowie sado-masochistische Bondage-Abenteuer mit Chef und Schuldirektor Robert (François Berléand). Für letztere stellt Breillat in Romance auffällig viel screen time zur Verfügung und macht bei diesen Sequenzen Maries Erregung spürbar, die in der Unterwerfung liegt. Für das stilisierte Pendeln zwischen Unschuld und Sünde nutzt sie ikonografische, biblische Darstellungen, an denen sich Breillat ähnlich wie am pornografischen Material bedient. Beide Felder, Porno und Kirche, verbindet sie über eine Idee von Schmerz miteinander, über eine Sakralität, die dem Leiden zugeschrieben wird. Dadurch entsteht eine visuelle Ebene, die im offensiven Umgang mit jenen Vorbildern des Erotischen versucht, eigene Fantasien anzustellen, sie zusammenzusetzen und auszuprobieren.

Ein einziges Mal haben Marie und Paul dann doch Sex. Ohne Vergnügen und mit einem spärlichen Lusttropfen schwängert er sie, sodass am Ende von Romance die Geburt eines Kindes steht, dessen Erzeuger ausgelöscht wird. Da ist sie: nicht mehr Marie, die Hure, sondern eine moderne Maria, die nach der Selbstsuche am Abgrund als Heilige und Mutter wiedergeboren wird – von sich selbst, durch sich selbst. Es ist diese völlige Übersteigerung von Handlung und Protagonistin, die beispielhaft für Breillats Film ist und sich im thesenhaften Sprechen von Marie äußert. Phrasen der Unterdrückung, des Selbsthasses und der Selbstzerstörung sprudeln nur so aus dieser Figur, sammeln sich nach einem Ausbruch wieder an, nur um sich dann neu über den Mundraum zu entladen.
Romance ist kein Film, der es einer Zuschauerin einfach macht, ihn zu lieben. Er ist anstrengend, weil Marie so ausdrücklich mit ihrer Existenz ringt und mit der Hülle, die ihr Körper sein soll, dass Breillats Drehbuch schon fast das Potenzial zur Parodie hat. Dennoch ist er ein bemerkenswerter Film, der die Komplexität einer weiblichen Hauptfigur aushält und ihre Faszination an den Löchern zelebriert, die sie anziehen, verschlingen wollen. Romance zeigt asymmetrische Verhältnisse der Lust und eine Instabilität der Leiber, die nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht, wieso sie mit einer Seele denn verbunden sein müssen, wo sie doch einfach handeln und begehren könnten.
Zur Einführung und Übersicht unseres Catherine-Breillat-Specials geht es hier.
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