Last Flag Flying – Kritik

Er nun wieder: Richard Linklater erzählt in Last Flag Flying gewohnt uneitel vom Wiedersehen dreier Vietnam-Veteranen anno 2003. Sein Film ist politischer als so manch andere, die das in diesem Jahr sein wollten.

Last Flag Flying

Steht ein Mann mit einem kleinen Koffer vor einer Bar. Der Mann holt kurz Luft und geht rein, drinnen bestellt er ein Bier, holt nochmal kurz Luft und fragt den Barkeeper, ob der ihn etwa nicht erkenne. Der guckt nochmal genauer hin und kann es kaum glauben: Fucking Vietnam. Krass dich zu sehen, Alter! Die beiden saufen, pennen irgendwann auf den Bänken in der Bar ein und wachen irgendwann verkatert auf. – Betreten zwei alte Freunde eine Kirche. Einer empfiehlt dem anderen, sich den Pfarrer einmal genauer anzusehen, und als der andere diesen Pfarrer schließlich erkennt, muss er laut lachen und feuert die Predigt an wie im Stadion. – Essen also drei Vietnam-Veteranen zu Abend. Erzählt der eine beim Nachtisch, dass seine geliebte Frau Anfang des Jahres nach langer Krankheit verstorben ist und sein Sohn gerade im Irak erschossen wurde. Und in Last Flag Flying fängt Richard Linklater ständig an, Witze zu erzählen, ohne sie zu Ende zu bringen.

Die Dinge der Straße zuführen

Last Flag Flying 2

Die ersten drei Sequenzen dieses im Jahr 2003 angesiedelten Films etablieren aber nicht nur seinen komitragischen Ton, sondern bauen auch die klassische Road-Movie-Konstellation auf, die seinem Plot zugrunde liegt: Im Neuland Internet hat Larry (Steve Carrell) zwei alte Kumpanen aus Vietnam-Zeiten ausfindig gemacht, um sie um einen Gefallen zu bitten: Sie sollen ihn durch die Begräbniszeremonie seines Sohnes begleiten, auf dem Militärfriedhof in Arlington. Einer der beiden, Sal (Bryan Cranston), ist ein Säufer, ein Tunichtgut, ein Chauvi, eine Labertasche. Der andere, Richard (Laurence Fishburne), hat inzwischen zu Gott gefunden und verweigert Sals rauem Buddy-Getue jegliche Gefolgschaft. Wenn dieser Ausgangspunkt, irgendwo zwischen Militär, ungleichem Dreieck und Road-Movie, an Hal Ashbys New-Hollywood-Klassiker The Last Detail (1973) erinnert, dann geht das über Motivisches hinaus. Die Romanvorlage zu Last Flag Flying stammt von Darryl Ponicsan und ist tatsächlich das Sequel zur Vorlage von Ashbys Film, die der Autor 30 Jahre zuvor geschrieben hatte.

Last Flag Flying 3

Last Flag Flying, der Film, ist nun aber kein Sequel von, höchstens eine Variation auf The Last Detail. Ashbys Nonkonformismus wird Linklater aber gleich in den beschriebenen Anfangssequenzen gerecht: In der Bar wird geschlafen, in der Kirche wird gepöbelt, im Heim wird gebeichtet. Die Tätigkeiten und ihr vorgesehener Ort sind stets um eins verschoben. Ein territoriales Missverhältnis setzt das Road Movie in Gang; wenn die Räume schon derart zweckentfremdet werden, führt man die Dinge besser direkt der Straße zu. Und so wird fortan im Auto und im Zug – oder im Miet-Lieferwagen, der für den Leichentransport nötig ist, als der Sarg einmal der Armee entrissen ist – geschlafen, gepöbelt und gebeichtet und noch viel mehr. Linklater (und Ponicsan, der auch am Drehbuch mitgewirkt hat) wagt sich mit den Dialogen dabei auch ins Unbequeme vor: Gerade Sal (via Cranston breaking bad) sorgt mit seinen Kraftausdrücken, seinen Sexfantasien und seinen nicht offen rassistischen, aber politisch ignoranten Kommentaren für einen comic relief, der nur ihn selbst erleichtert.

Last Flag Flying und das Problem mit der Uniform

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Aber nochmal zurück: den Sarg der Armee entrissen? Ja, es geht in Last Flag Flying um mehr als nur um Freundschaft und Erinnerungen. Die 2000er Jahre als Reprise auf die große Frage US-amerikanischer Außenpolitik: Und wofür das Ganze?, spiegeln sich im Kleinen in der Enthüllung, mit der Larry konfrontiert wird, direkt nachdem er ins zerschossene Gesicht seines Sohnes hat blicken müssen. Keinen Heldentod im Hinterhalt ist sein Sohn gestorben, er war nur Cola holen für alle, als er erschossen wurde. Larry sagt das Militärbegräbnis ab, entschließt sich dazu, den gefallenen Soldaten nicht in Uniform, sondern in seinem graduation dress, dem Anzug von seiner Abschlussfeier, zu beerdigen. Und Steve Carrell, der für Linklaters Modus der abwesenden Pointe natürlich wie gemacht ist, weil jeder Satz aus seinem Mund wie ein todernst gemeinter Witz klingt, stellt sicher, dass man Larry diesen Wunsch nicht abschlägt.

Machtkampf ums Kino

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So lässt der zuständige Colonel die drei Freunde zwar gewähren, schickt ihnen aber einen jungen Rekruten (J. Quinton Johnson) mit, der dafür sorgen soll, dass Uniform und Flagge am Ende doch eine Rolle spielen. Das scheint zunächst einer von ein paar zum rauen Ton des Films nicht ganz passenden Plotschnörkeln in Last Flag Flying zu sein. Aber es leuchtet durchaus ein, dass Linklater diese Frage um den militärischen oder zivilen Dresscode zum Machtkampf stilisiert, steht hier doch auch sein Kino zur Debatte. Lässt es sich verführen von den Uniformen, von denen, die wissen, wo was hingehört, oder bleibt es ein Kino im graduation dress, am Abschluss der Bildung, am Anfang der Straße? Die Antwort, die Last Flag Flying letztlich gibt, ist vielleicht bitter, aber nicht falsch und schon gar nicht triumphal ironisch, macht sie doch schlicht klar, dass bei Linklater wie vielleicht bei keinem zweiten US-Regisseur die Figuren das letzte Wort haben, selbst wenn sie schon tot sind.

Dass Linklater selbst in einem Film, der thematisch derart zu großen Thesen strebt, in seiner Horizontalen bleibt, selbst wenn das zu Lasten dieses ganz und gar nicht perfekten Films geht, macht die Kraft von Last Flag Flying aus. Niemals erhebt er sich über sein Material, verweigert nicht nur die Funktion des Richters darüber, sondern auch die Pose des Auteurs, der sein neuestes Meisterwerk aus diesem Material baut. Dass er im Gestus derart bescheiden, im Rhythmus derart vorwärtspreschend über sein Land nachdenken kann, über Männerbünde und Erinnerungen, über whiteness und PC-Diskurse, über das Coming-of-Age der digitalen Welt, das müsste Vertreter des selbstgefälligen Relevanzkinos ebenso wie solche des eitlen Autorenfilms, und von denen gab es in diesem Kinojahr zuhauf, eigentlich beschämen.

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