Benedetta – Kritik

Benedatta hat Körperkontakt mit Jesus und saugt an der Brust einer Marienstatue. Paul Verhoevens Schlüssellochblick hinter Klostermauern des 17. Jahrhunderts schielt auf ein Arthouse-Publikum, lässt sich aber das Bürgerschreckhafte nicht nehmen.

Gleich nachdem die kleine Benedetta (Elena Plonska) von ihren betuchten Eltern gegen eine Mitgift ans Nonnenkloster von Pescia verschachert wird – ein erstes Indiz für einen Ort der rigiden Macht- und Wirtschaftspolitik und keinesfalls bloß des selbstlosen Glaubens –, steckt Paul Verhoevens Historienfilm in einer kurzen Szene ab, zwischen welchen Polen Benedetta hin und her pendeln wird.

Vom unterkühlten Empfang und der lebensentsagenden Atmosphäre in den Klostergemäuern verängstigt, schleicht sich das Mädchen des Nachts in den Kreuzgang und kniet Trost suchend vor einer lebensgroßen, in die Wand eingelassenen Marienstatue nieder, einer vom Typus der Maria lactans, also der das Jesuskind stillenden Muttergottes mit entblößter linker Brust. Eine irritierende, weil geheiligte Profanität.

Plötzlich bekommt der Statuensockel ohne äußeres Zutun Risse; die wuchtige Skulptur kippt vornüber, direkt auf Benedetta. Wundersamerweise begräbt sie das Kind jedoch nicht, zwängt es lediglich zwischen sich und dem Fußboden ein, lässt es ansonsten unversehrt. Unter großem Getöse eilen die Ordensschwestern samt der pragmatisch-zerknirschten Äbtissin (Charlotte Rampling) herbei. Ein Unfall, ein Zeichen, gar ein Wunder? Noch bevor der Pulk den Ort des wie auch immer zu deutenden Ereignisses genau inspiziert, kommt es zu einem weiteren denkwürdigen Moment: Benedetta mustert die freiliegende, apfelgleiche Marienbrust direkt über ihrem Kopf und beginnt schließlich an ihr zu saugen.

Heilige Hure

Die Mutter Gottes ist spätestens ab hier nun auch Benedettas, ihre eigentliche ja unerreichbar. Zugleich ist die Frauenbrust aber auch, und davon wird der Film noch in aller Deutlich- und Genüsslichkeit handeln, ein sinnliches Ding. Das Nuckeln an der Brustwarze ist Trost, Glaubensbekenntnis und Lustgewinn zugleich. Die nun bald achtzehn Jahre ältere Benedetta (die auf faszinierende Weise sowohl vom Alter, geb. 1977, als auch von ihrer irgendwie „modernen“ Physiognomie her querstrebende Virginie Efira) wird folgerichtig die ideell-spirituelle mit der handfest-körperlichen Liebe auszusöhnen versuchen. Im Zeitalter der Inquisition muss das auf eine Passionsgeschichte hinauslaufen.

Benedetta wird dabei sogar die Wundmale, die schon Franz von Assisi trug, empfangen. Allerdings, wie es sich für ihre „Leibhaftigkeit“ gehört, nicht durch eine geistige Erscheinung, sondern durch direkten Körperkontakt mit Jesus. Für die einen ist sie eine Heilige, für die anderen schlicht eine lüsterne Hure. Und ob sie ein echtes Wunder oder nur Blendwerk an ihren Händen und Füßen zur Schau stellt, dessen können sich Klosterbewohner*innen und Zuschauer*innen nie ganz sicher sein. Die aufreizend blonde, mehr und mehr die Stoffe abstreifende Benedetta Carlini bleibt von Anfang bis Ende eine entrückte Heldin, der man zusieht, ohne in sie hineinsehen zu können. Ihre Pflichterfüllungen und -bekundungen scheinen dabei weit weniger Wahrheit zu verbürgen als ihr unverstellter Körperausdruck.

Jenseits des Arthouse

Körper und Geist, Innen und Außen, Echtheit und Fake, Pflicht und Lust: Benedetta ist ein Film der Dualismen. Doch nicht nur handlungstechnisch werden spirituelle und leibliche Liebe in allen möglichen Variationen bewusst vermengt. Auch diverse Genres und vermeintlich kaum versöhnbare Filmtraditionen fließen ineinander. Wie schon der ebenfalls von Katholizismus und Gewalt durchtränkte Vorgängerfilm Elle (2016) schielt Benedetta mit seinen sorgfältigen Bildräumen, der Brillanz seiner Darsteller*innen und dem Stimmungsscore auf ein zeitgenössisches Arthouse-Publikum. Dass der Film darüber hinaus mittels eröffnender Texttafel vorgibt, auf einer realen Begebenheit zu beruhen (die lose Adaption des Sachbuchs Immodest Acts – The Life of a Lesbian Nun in Renaissance Italy von Judith Cora Brown), passt zum zunächst einmal seriösen Nimbus des Ganzen.

Doch lässt sich Verhoeven auch das Unordentliche und Bürgerschreckhafte, das von Türkische Früchte (1973) bis hin zu Showgirls (1995) sein Werk mitbestimmt, nicht nehmen: Erste Irritationen kommen auf, wenn der Film, wie übrigens auch Paul Schraders aktueller The Card Counter, hyperdigital anmutende Szenerien in die sonst so wohltemperierten Bilderwelten einflicht; hier sind es die Visionen Benedettas, die mit El-Greco-Farbmeeren und dem ein oder anderen CGI-Spektakel aufwarten. Zudem arbeitet Verhoeven einen Katalog an Merkmalen ab, die Benedatta als Aktualisierung einer kuriosen Spielart des Exploitationfilms europäischer (ferner auch japanischer) 70er-Provenienz erscheinen lassen: des Nunsploitations.

Sich kreuzende Geschichten

Speziell das produktive italienische Genrekino – das es stets verstand, aufkeimende Trends blitzschnell in eine profitversprechende Serie ähnlich gelagerter Kinostoffe zu übersetzen – erzählt hier zigfach gewaltvolle und zugleich erotische, manchmal pornografische Episoden aus dem frühneuzeitlichen Klosterleben: Zucht und Ordnung, Monotonie und Hermetik auf der einen Seite, lesbische Liebe und Sadomasochismus, Aufruhr und Ekstase auf der anderen. Quasi alles, was sich an Abgründig- und Lustbarkeiten zwischen Himmel und Hölle ereignen kann. Der weibliche Leib dient hier als autonomer, genüsslich ausgeschlachteter Schauwert, doch daneben sind die naughty nuns immer auch ein transgressives Motiv. Wandelnde Widersprüche, bei denen individuelles Bedürfnis und moralischer Kodex auseinanderklaffen und die Anteil daran haben, dass die herrschende Ordnung, die ihre Vereinbarkeit behauptet, ins Wanken gerät. Die Pointe ist nicht selten, dass das Kloster zusehends einem riesigen Bordell gleicht.

Bei allen exploitation vibes berufen sich die Filme aber auch direkt oder vermittelt auf hochkulturelle Ahnenherren, als müssten sie sich für das Kommende rechtfertigen: Giovanni Boccaccios Il Decamerone (1351), Pietro Aretinos Ragionamenti (1536) und Denis Diderots La religieuse (1762) beispielsweise oder aber Chroniken wie die der in allen Belangen allzu weltlichen Nonne von Monza (1575-1650). Die Regisseure des Nunsploitation-Genres lesen sich dann wiederum wie das Who-is-Who einer etwas anders gearteten Kulturgeschichte: etwa die entschleunigten, atmosphärenverliebten Sleaze-Spezialisten Jesús Franco und Joe D’Amato oder aber der subversive Pulp-Surrealist Walerian „La Bête“ Borowczyk.

Gläubige Körper

Paul Verhoeven saugt diese Bezüge auf und macht doch etwas daraus, was im bisher abgesteckten Genrekosmos nicht aufgeht. Womit wir es dabei dezidiert nicht zu tun haben, ist mit einer zeitgenössisch so beliebten Dekonstruktion, also mit keinem cleveren Genrefilm, der sein Genre benutzt, um es letztlich aus den Angeln zu heben. Es ist ein Film, der selbstbewusste Schauwertanhäufung betreibt (wie die früheren Genrevertreter fühlt er sich episodisch und nicht streng linear erzählt an) und die Ingredienzien des Nunsploitation nutzt, sie gar zelebriert: den voyeuristischen Blick auf lesbische Sexualität, die Härten in der Gewaltdarstellung, das Kokettieren mit dem Dämonischen. Zugleich ist er – abseits von der schon erwähnten audiovisuellen Arthousigkeit – aber an einem entscheidenden Punkt dem Genre, dem er Tribut zollt, doch untreu: Benedatta begreift den Schlüsselloch-Blick auf das hinter Klostermauern Verborgene nicht bloß als effiziente Prämisse für einen Erotikfilm, sondern erzählt eben darin auch ein religiöses, kirchenkritisches Drama.

Bereits bei Diderot hat die Kirche kein Recht, sich als Hüterin des Glaubens zu gerieren. Gegenüber der institutionellen Korrumpiertheit – etwas, was in Benedetta vor allem der männlichen Klerus verkörpert – sind die Heldin und ihre treuherzige, dabei bedingungslos körper- und lustbetonte Novizin Bartolomea (Daphné Patakia) der Inbegriff der Unschuld. Das Spirituelle in der sich peu à peu steigernden Anziehung zwischen ihnen, die dann im Einsatz einer zum Dildo umgeschnitzten Marienandachtsfigur ihre Klimax findet, ist im Grunde vergleichbar mit der Doppelnatur eben dieses Objekts: Es existiert, damit man über das Sinnlich-Vermittelte zum Erhabenen gelangt. Dass sich die Ordensschwestern nicht bloß ideell, sondern auch Lustschreie ausstoßend lieben, entrückt sie nicht vom Glauben, sondern ist dessen ekstatische Seite. So zumindest, wenn es nach der glaubensfesten Benedetta geht. Ob das nun Häresie oder Utopie ist? Verhoeven hat keine Lust, uns das vorzugeben.

 

 

Neue Kritiken

Trailer zu „Benedetta“


Trailer ansehen (3)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.