Wahrheit oder Pflicht – Kritik
Lügen haben kurze Beine - in Wahrheit oder Pflicht werden wir 90 Minuten lang Zeuge, wie sich die Protagonistin Tag für Tag mehr in ihren Lügen verstrickt. Wer bei diesem Stoff eine mahnende „Entweder..., oder...“ Moral befürchtet, wird angenehm überrascht sein.

Annika ist verzweifelt. Sie ist wiederholt durch die Abschlussprüfung der 12. Klasse gefallen, das Abitur ist damit futsch. Ihren Eltern kann sie diese Tatsache, trotz mehrerer Anläufe nicht beichten, denn nichts wünschen sie sich sehnlicher als dass ihre einzige Tochter den Abschluss meistert. Also erfüllt Annika ihre Pflicht, hält die Illusion der Eltern aufrecht und geht weiterhin morgens aus dem Haus um angeblich fürs Abitur zu pauken. In Wahrheit verbringt sie die Tage in einem verlassenen Buswrack am Rande der Stadt, hört Musik und genießt ihre plötzlich gewonnene Freiheit. Aber die Lage wird immer verzwickter. Als ihr Vater seinen Job verliert, findet er seine neue Berufung darin, sich ganz dem Abitur seiner Tochter zu widmen und büffelt nun jeden Abend gemeinsam mit Annika bis spät in die Nacht. Selbst zum Nachhilfeunterricht in Mathe bei Gigolo Uli verdonnern sie ihre Eltern. Dieser aber lehrt sie weniger die Kunst des Rechnens, als die erste Lektion in Sachen Liebe und Sex. Ohne Lösungsansatz aus der Schule entlassen, beginnt Annika langsam sich ihren eigenen Weg durchs Leben zu suchen. Als sie jedoch Kai kennen lernt und sie sich verlieben, gerät ihre Situation ins Straucheln, die Lügen beginnen sich zu verselbstständigen und fordern eine Entscheidung.

Den beiden Jungregisseuren Arne Nolting und Jan Martin Scharf ist es in Wahrheit oder Pflicht gelungen, die verhandelte, auf den ersten Blick sehr moralisierende Thematik auf eine angenehm subjektive und erfrischend einfallsreiche Art umzusetzen. So vermeiden sie durch die eingenommenen Erzählperspektiven geschickt in gängige Dualitäten zu verfallen und geben dem Geschehen eine permanente Unentschiedenheit, die derart ihrer Protagonistin entspricht. Erst zum Ende gelingt es Annika sich für einen Weg zu entscheiden und die Wahl zwischen den möglichen Auflösungen des Dilemmas fällt sie nun ganz souverän.
Im Mittelpunkt des Filmes stehen die Träume und Ängste seiner jugendlichen Figuren. Sie bestimmen den Fortgang der Geschichte und füllen sie mit ihren Utopien. Besonders den Zwiespalt der Hauptfigur - die Eltern einerseits nicht zu enttäuschen, aber auch für die eigenen Wünsche einzustehen - zeichnet Wahrheit oder Pflicht überzeugend und ganz ohne erhobenen Zeigefinger nach. Dabei verleiht vor allem der spröde Charme und das trotzige Spiel von Theater-Shootingstar Katharina Schüttler, die bereits in Sophiiie! (2002) von sich Reden machte, der Geschichte eine besondere Kraft. Entstanden ist ein amüsanter Film übers Erwachsenwerden und die erste Liebe, thematisch passend mit Musik von Klee unterlegt.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.