Velluto nero – Kritik
Für einen Exploitationfilm zu poetisch und krude, für einen Kunstfilm zu wenig an der Legitimation seiner Vorliebe für den Unterleib des Menschen interessiert: Die tollste Eigenschaft von Velluto Nero ist, dass es einen Film wie ihn überhaupt gibt. Manchmal mittendrin: Laura Gemser, die heute 70 wird.

Velluto Nero setzt mit einer kleinen Prozession ein. Zu der episch verträumten Erlösungsmusik von Dario Baldan Bembo, die mit ihrer Synthesizergrundfläche, dem Flötenhauptmotiv und einem einsetzendem Chor irgendwo zwischen Andenkitsch, Kinderlied, Witthäuser & Westrupp und Popol Vuh liegt, schreitet ein Träger vom Nilufer an Gaffern vorbei zu einem arabischen Kastell auf einem Hügel. In den Händen hält er ein schwarzes Samtkissen, auf dem eine rote Rose gebettet liegt. Feierlich bringt er sie zu einem Altar. Eine Frau gedenkt so ihrem verstorbenen Ehemann.
Entspannung und Furor

Dieser andächtige Marsch geht direkt in eine erotisch aufgeladene Szene über, in der sich Diva Crystal (Nieves Navarro) von ihrem Diener Ali (Tarik Ali) mittels Bad, Weihrauchschwenker und Massage verwöhnen lässt. Die Musik ist immer noch getragen, aber lasziver und einen Tick discofoxiger. So geschmeidig ist dieser Übergang, dass sich die beiden Momente ergänzen, das Mythische und das Sinnliche, das Gedenken und das Gegenwärtige, ausgeprägte Form und zwangloses und zwanglos beobachtetes Geschehen, das Fremde und die koloniale Macht(-fantasie). Beruhigend und schön ist dieser Auftakt gestaltet.

Danach folgt der Bruch. Ein Jeep fährt durch die Wüste. Darin: Fotomodel Emmanuelle (Laura Gemser) und Fotograf Carlo (Gabriele Tinti). Als sie den verwesenden Kadaver eines Kojoten passieren, lässt Carlo umgehend bremsen. Emmanuelle soll sich ausziehen, um den Kadaver kriechen und posieren. Er beschimpft sie, bedroht sie, lässt sie sich verrenken, bis sich ihr Körper wie ein Bogen spannt. Die Musik besteht zwar noch aus den gleichen Ingredienzien, doch sie ist nun treibend und ihr Einsatz so erratisch wie das Geschehen. Das Vorangegangene – durch die Musik immer noch ins Gegenwärtige lappend – wird urplötzlich in ein Säurebad geschmissen. Das Ge- und Entspannte fällt in Furor auseinander.
Sehnsucht, Lust und Liebe, aber…

Eine Geschichte wird in Velluto nero nur im weitesten Sinne erzählt. Vielmehr sind es diese drei atmosphärischen Grundformen, die den Film bestimmen, in Wellenbewegungen etwas aufbauen, um es dann in ein tiefes Loch fallen zu lassen. Nur werden sie kaum nochmal in dieser Klarheit auftauchen. Sie werden sich vermischen und Varianten bilden. Von Religion und Mystik handelt Velluto nero, nur stellen sie sich über Tempelruinen und versagende Heilsbringer dar. Erlösung und Flucht in ein persönliches Elysium treiben die Figuren an, nur offenbart sich dahinter seelischer Bankrott und Fäulnis. Größe und Erhabenheit suchen die Leute, nur steht am Ende die Erkenntnis der eigenen Impotenz und Nichtigkeit. Von Lust erzählt Velluto nero, nur stellt sie sich fast durchgängig als Machtspiel und -beweis dar. Von Liebe, nur nimmt diese die Form des verzweifelten Festklammerns an. Die Sehnsucht nach einer sicheren, wunderbar exotischen Welt durchzieht den Film, der aber findet selbst nur Heuchelei und Verfall. Die Fratze von Egozentrik und kolonial geprägtem Gedankengut wird in einem verkaterten Wunderland ausgebreitet.
Mäandern am Nil

Eine jährliche Gesellschaft findet sich am Nilufer zusammen, um etwas Zeit miteinander zu verbringen. Neben den schon Erwähnten besteht sie aus: Horatio (Al Cliver), dem dritten Ehemann Crystals, einem überdrüssigen Messias, der alle Leute behandelt, als seien sie seiner unwürdig (an ihm offenbart sich auch, dass hier Pasolinis Das 1. Evangelium – Matthäus in gewisser Weise Kopf steht, dieselbe karge Direktheit wird auf sinnliche Zerrüttung angewendet); Crystals Tochter Magda (Ziggy Zanger), selbstbetitelte Nymphomanin, die ihr soziales Leben nur mit ihrem Körper bestreitet; der ehemalige Hollywoodschauspieler Hal (Feodor Chaliapin), der sich in Ägypten zu einem dekadenten Leben zurückgezogen hat, um das Verbleichen des Ruhms zu kaschieren; Crystals zweite Tochter Pina (Annie Belle), die bei ihrem Vater lebt und das Korrektiv für den allgemeinen Wahnsinn darstellt.

Der Film mäandert zwischen touristischen Gruppenausflügen, sexuellen Begegnungen, Beschämungen und Konflikten, zwischen Banalem und Dramatischem, zwischen Albernem, Entrücktem und Alptraumhaften, zwischen Séancen und Bordellen, die wie Theater zu funktionieren scheinen, zwischen den Figuren und ihren Selbsterkenntnissen. Dass Regisseur und Drehbuchautor Brunello Rondi an vier Drehbüchern mitgearbeitet hat, die in der Karriere Federico Fellinis den Moment markieren, in denen er sich vollständig dem episodischen Erzählen verschreibt – Das süße Leben (La dolce vita, 1960), 8 1/2 (1963), Julia und die Geister (Giulietta degli spiriti, 1965), Fellini's Satyricon (1969) – ist wenig überraschend. Aber auch das Motiv einer Suche nach Unschuld während einer Existenz in Überdruss und Ekel findet sich hier wieder. Anders als bei einem Fellini-Film gibt es hier jedoch keine (analytische) Distanz. Velluto nero versteht sich als Exploitationfilm, beschwört ein direktes Erfahren. Egal wie episodisch und unnachgiebig der Film ist: Nah und mitfühlend bleibt er bei seinen Verlorenen, die sich am Nil in einer seltsamen Parallelwelt verrannt haben.
Zerbröselnde Reiche der Lust

Fragmentarisch ist dabei aber nicht nur die Erzählung und die sich ständig verschiebende Konzentration beim Beobachten der Figuren. Velluto nero bricht auch das eh schon unwirkliche Nilsetting wiederholt auf. Gewagte Jump Cuts bringen uns von Palmen und Wasser in karge Stein- und Felslandschaften, oder sie würfeln die Raumkonstellation durcheinander. Überhaupt sind Schnitt und die oft einen Tick zu nahen Einstellungen nicht an der Erschaffung eines realistischen Raums interessiert, sondern an einer Stimmung der Unsicherheit, an Menschen und Räumen, die ineinander verkeilt wirken und die frei in ihren zerbröselnden Reichen der Lust verenden.

Kurz gesagt: Velluto nero ist vor allen Dingen einmal ziemlich seltsam und sehr eigenwillig. Der englische Verleihtitel Black Emmanuelle, White Emmanuelle versucht ihn noch in die Black-Emmanuelle-Reihe einzuordnen. In Deutschland wurde dieser Versuch erst gar nicht unternommen, Velluto nero gar nicht in den Kinos ausgewertet. So bildgewaltig er ist, so wenig erfüllt er Erwartungen, so wenig betritt er festgetrampelte Pfade. Für einen Exploitationfilm ist er zu poetisch und krude. Für einen Kunstfilm ist er zu wenig an der Legitimation seiner Vorliebe für den Unterleib des Menschen interessiert. Auf der einen Seite ist er garstig und brutal, auf der anderen aber kaum reißerisch. Sein größtes Qualitätsmerkmal, von nicht wenigen, ist zuallererst, dass es einen Film wie ihn überhaupt gibt.
Fluchtpunkt allen Sehnens

Und Laura Gemser? Ihre Figur ist nicht mehr und nicht weniger Mittelpunkt von Velluto nero als die anderen Figuren. Auch sie steht mal im Zentrum, um dann wieder für längere Zeit nicht beachtet zu werden. Zuvorderst muss sie eine misogyne, verklemmte Lust ertragen. Auf einem Haufen Dung muss sie für Carlo posieren, ebenso zwischen ermordeten Beduinen, wo sie auch vergewaltigt wird. Bei einer Séance bricht das Leid unter Hypnose aus ihr heraus. Anders als die anderen ist sie im ersten Augenblick Projektionsfläche der argen Lüste. Aber auch vom Rand und in dieser totalen Instrumentalisierung ist Velluto nero ihr Film. Ihre Gesichtszüge und ihr Körper, hier so knochig und hart wie die Wüste, die sie umgibt, sind Fluchtpunkt allen Sehnens. Sie lassen sich trotz aller Versuche aber nicht vereinnahmen. Weshalb der Film auch endet, wenn sie diesem ewigen Branden des Unbehagens in die Schönheit den Rücken kehrt.
Hier geht es zu weiteren Texten unseres Laura-Gemser-Specials:
Velluto Nero (1976)
Emanuelle Around the World (1977)
Sklavin für einen Sommer (1985)
Amore libero (1974)
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