Schmutziger Engel – Kritik

Ermittelt wird in Schmutziger Engel nur nebenbei. Das Cop-Milieu interessiert Catherine Breillat vor allem als Ort windiger Männerbündeleien. Hauptfigur ist ein Pariser Macho, unter dessen wabbeligem Äußeren ein unbändiger Sextrieb haust.

Eine Unterhose und ein Trikolore-Banner, der sich durch sie hindurchschlängelt: Das ist auf dem Bild zu sehen, das Didier (Nils Tavernier) von seinen Polizistenkollegen und sehr wenigen -kolleginnen als Geburtstagsgeschenk erhält. Allseitiges Gejohle, wenn er es auspackt; Didier ist der junge, gut aussehende Frauenheld des Departments, der hat sie schon alle gehabt, weißt du noch neulich, die Schwarze im Zimmer nebenan? Ein Typ mit Rambo-Kopftuch (oder zumindest etwas fern Verwandtem; überhaupt durchgängig tolle Kleidung in dem Film) baut eine Pyramide aus Weingläsern auf, die dann von den Polizisten zusammengeschossen wird. Wie im Wilden Westen. Oder eher: Wie sich Pariser Macho-Polizisten den Wilden Westen vorstellen.

Toxische Männlichkeit, unsublimiert

Subtil geht es selten zu im Kino von Catherine Breillat, und in Schmutziger Engel (Sale comme un ange, 1991) schon gleich gar nicht. Die Polizei, das ist ein Männerbund, angetrieben von Alkohol, beiläufigem Rassismus und weitaus weniger beiläufigem Sexismus. Zur Hauptfigur macht die Regisseurin, wenn schon, denn schon, den „misogynsten Cop im Department“: Georges (Claude Brasseur), Lederjacke, Goldkettchen, Raspelstimme, Whisky, Zigaretten, körperlich nicht allzu gut in Schuss und trotzdem das Hemd bis untern Bauchnabel aufgeknöpft, wenn er beim Saufen mit Kollegen eine Animateurin antanzt. Zu Hause hat er eine ganze Waffensammlung, und einmal drückt er Didiers Sohn seinen Dienstrevolver in die Hand und lässt nicht locker, bis der Junge seine erste Kugel abgefeuert hat. Toxische Männlichkeit in Reinform, könnte man meinen, allerdings unsublimiert, alles direkt an der Oberfläche, auch die zugehörigen Neurosen und Ängste. Nicht harte Schale, weicher Kern, eher umgekehrt: ein inzwischen etwas wabbelig und auch sentimental gewordenes Äußeres, in dem freilich immer noch ein unbändiger, unnachgiebiger Sextrieb haust. Was von außen also nach toxischer Männlichkeit ausschaut, ist vielleicht einfach nur eine bestimmte Art und Weise, ein sexuelles Wesen zu sein.

So fern, wie man zunächst meinen mag, ist Breillat der Polizeifilm nicht. Ermittelt wird in Schmutziger Engel zwar nur sehr nebenbei, aber das Cop-Milieu interessiert sie offensichtlich durchaus, die Waffen, die im Revier im eigenen Saft schmorenden Männer, ihre Versuche, eine „wilde“ Sexualität und ein bürgerliches Familienleben unter einen Hut zu bringen (Georges hat keine Familie, aber auch er wird die Bürgerlichkeit doch nicht ganz los: die „femininen“ Tapeten, eine Haushälterin, die immer zur falschen Zeit sein Schlafzimmer betritt …). Jahre vor Schmutziger Engel hatte Breillat das Drehbuch für Maurice Pialats großartigen Police (1985) geschrieben, einen Film, mit dem ihr eigener Copfilm einiges zu tun hat. Bei Pialat spielt Gérard Depardieu einen hochemotionalen alpha-male-Polizisten, der Sophie Marceau verfällt; genau wie für Georges alles entschieden ist, sobald er das erste Mal ein Auge auf Didiers Frau Barbara (Lio) wirft.

Stecher-Sexualität vs. Raubtier-Sexualität

Polizeiarbeit, das hat in beiden Filmen wenig mit Gesetz vs. Verbrechen zu tun und viel mit windigen Männerbündeleien. Abuse of Weakness: Das ist bei Breillat das Modell nicht nur für sexuelle Beziehungen, sondern für die gesamte Gesellschaft. Wobei beides ohnehin auf dasselbe hinausläuft: Der Genreplot hat letztlich nur die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Barbara Georges in die Hände fällt. Konkret funktioniert das so, dass Georges Didier bittet, vorübergehend bei der Familie eines alten Freundes einzuziehen, eines Kriminellen, der sich mit wichtigen Figuren der Unterwelt überworfen hat und auf der Abschussliste steht. Ob der Auftrag von Anfang an nur ein Vorwand war, um den Kollegen aus dem Haus zu locken, auf dass Georges freien Zugriff auf die allein und horny zurückbleibende Barbara hat, bleibt offen.

Jedenfalls ist damit die entscheidende Bewegung des Films vorgegeben: Didiers schon auch aggressive (seiner Nachtclubaffäre geht er gleich zur Begrüßung an die Gurgel), aber gleichzeitig virile, sportliche Stecher-Sexualität wird Schritt für Schritt aus dem Film gedrängt und gegen Georges hässliche, obsessive, destruktive Raubtier-Sexualität ausgetauscht. Und zwar von Barbara. Das ist, scheint mir, die entscheidende Wendung: Es ist Barbara, die sich für Georges und gegen Didier entscheidet. Wenn auch wider viele Widerstände und nicht unbedingt aus freien Stücken. Vielleicht ist „entscheiden“ ohnehin das falsche Wort. Es zieht sie zu Georges, das passt vielleicht besser, sie verfällt ihm, obwohl sie gleichzeitig die Lust, die er ihr beschert, hasst.

Was die Georges-Sexualität leistet, ist, dass sie an Barbara etwas sichtbar werden lässt, was sonst vermutlich verborgen geblieben wäre. Die fröhliche junge Frau mit dem breiten, expressiven Mund, der jedes Lächeln zu einem totalen Lächeln macht, zum Ausdruck des reinen, naiven Glücks, verwandelt sich, sobald sie sich auf die Intimität einlässt, die Georges ihr freilich zunächst schon aufdrängt. Sie wird zu einem opaken, erratischen, fast außerirdischen Wesen. Im Bett liegt sie oft zusammengerollt, in halber Fötusstellung, sie klammert und windet sich, die Haare fallen ihr übers Gesicht, machen es unlesbar (den oft sehr, hier nicht allzu expliziten Bildern ihrer Sexszenen zum Trotz verortet Breillat Verlangen filmisch fast stets in Gesichtern, nicht in Genitalien). Georges dagegen ist nackt genau derselbe wie angezogen: fordernd, übergriffig, ungeschützt. Seine Körperlichkeit ist eh immer schon übergriffig, sein Blick eh immer schon pornografisch. Im Bett kommt er lediglich zu sich selbst. Vielleicht ist es genau das, was sie an ihm fasziniert.

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