Huhn mit Pflaumen – Kritik
Visuell eine kleine Schatztruhe an originellen Einfällen, finden in Huhn mit Pflaumen der verspielte Erzählstil und die bittere Geschichte nicht zusammen.

„Das Leben ist ein Seufzer. Es ist dieser Seufzer, den du einfangen musst.“ Diesen letzten Rat erhält der Violonist Nasser Ali Khan (Mathieu Amalric) von seinem Meister; dieser letzte Schritt von der technischen Virtuosität zur großen Kunst fehlt ihm noch. Er wird ihn machen – für einen schmerzlichen Preis allerdings – und zum berühmtesten Musiker seiner Zeit aufsteigen. Nach dem hoch gelobten Zeichentrickfilm Persepolis (2007), in dem sie ihre eigene durch die iranische Revolution zerrissene Kindheit erzählt, versucht Marjane Satrapi in Huhn mit Pflaumen (Poulet aux prunes) einen weiteren Seufzer aus ihrer Familiengeschichte zu verarbeiten. Hier ist es die Geschichte eines Musikers und Großonkels der Künstlerin, der sich im Teheran der 1950er Jahre das Leben nahm.

Denn Nasser Ali Khan hat die Lust am Leben verloren. Kein Instrument scheint ihm die musikalische Inspiration zurück zu geben, seit seine Ehefrau (Maria de Medeiros) in einem Wutanfall seine Geige zerschmettert hat. Nachdem er vergeblich versucht hat, diese durch eine neue zu ersetzen, kommt er zum Entschluss, sich in sein Bett zu legen und auf den Tod zu warten. Um Nasser Alis letzte Tage herum entwirft Marjane Satrapi in Zeitsprüngen und Abschweifungen das gnadenlose Porträt eines Mannes, der an seinem Leben vorbeigelebt hat, gezeichnet vom Schmerz über die verlorene große Liebe (Golshifteh Farahani) und von überzogenem Egoismus in seiner Beziehung zu Frau und Kindern. Die sieben Tage vor seinem Tod gleichen einer Selbstsuche, in der er sich selbst und seine unerträgliche Egozentrik erst im Angesicht des Todesengels Azraël (Edouard Baer) erkennt.

Wieder ist Huhn mit Pflaumen eine Adaptation einer Graphic Novel von Satrapi sowie eine weitere Zusammenarbeit mit Vincent Paronnaud. Anders als im rein animierten Persepolis vermischen die beiden Autoren hier Animation mit Live Action. Überraschenderweise staffieren Satrapi und Paronnaud ihre düstere Geschichte als buntes, üppiges Märchen aus, mit einer allgegenwärtigen Märchenonkel-Erzählerstimme im passé simple, aberwitzigen Traumbildern und vielen skurrilen Exkursen auf Nebenfiguren. In den besten Momenten erinnert der schrullig-magische Erzählstil an eine Mischung aus Jean-Pierre Jeunets Die fabelhafte Welt der Amelie (Le fabuleux destin d’Amélie Poulain, 2001) und Michel Gondrys Science of Sleep – Anleitung zum Träumen (2006). Es ist der Märchen-Modus, in dem Kinderaugen das Zauberhafte im alltäglichen Leben entdecken, für das Nasser Ali blind ist: Magische Augenblicke, als der sonderbare Händler (Jamel Debbouze) mit einem Zauberstab einen Goldregen aus seinem Kronleuchter fallen lässt. Poetische Bilder wie die Schneeflocke, die auf eine Walzermelodie langsam vom Himmel in den weit aufgesperrten Mund von Nasser Alis kleiner Tochter Lili (Enna Balland) fällt.

Nicht nur in den rein animierten Passagen erkennt man Satrapis und Paronnauds Handschrift wieder. Auch die ultrakomponierten Live-Action-Szenen wie beispielsweise die düstere Einstellung auf Chiara Mastroianni am Pokertisch zeigen ihr Gespür für grafische Bildkomposition. Das Autorenduo lässt sich im besten Sinne von der Comic-Ästhetik inspirieren und wagt überraschende Bildkadrierungen, Lichtsetzungen und Schnitte. Der Film spielt zudem mit Zeichentrick-Motiven, beispielsweise als Nasser Ali bei der Verfolgung seiner Angebeteten aus der Mülltonne hervorspitzt, und vermengt die unterschiedlichsten filmischen Einflüsse zu einer verrückten Mischung der Bildstile.

Jedoch ist dieses Comic-Erbe durchaus zweischneidig. Satrapis und Paronnauds visuelle Wagnisse sind manchmal schlichtweg ein Reinfall, denn sie behindern die Arbeit an der Figurenpsychologie und haken die emotionalen Schlüsselszenen allzu flink ab. Da kann das Ensemble – mit Isabella Rossellini und Chiara Mastroianni in Nebenrollen – noch so gut besetzt sein. Mathieu Amalric, der sein ganzes schauspielerisches Talent in die Rolle des Nasser Ali Kahn legt, hat keinerlei Chance, gegen das Märchen- und Comicgeklimper anzuspielen und den Lebensschmerz seiner Figur, die Verzweiflung und Suizidgedanken halbwegs glaubwürdig herüberzubringen. Zu häufig wirkt der Film dann schlicht substanzlos und schrecklich überladen. Und von Nasser Ali bleibt das Bild eines Weicheis zurück, das sich im Traum im mütterlichen Busen von Sofia Loren versenkt.
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