Foreboding – Kritik

In Kiyoshi Kurosawas Foreboding bereitet der Zeigefinger eines außerirdischen Spions den Weltuntergang vor. Der Schrecken der Alien-Invasion findet dabei nicht auf blutigen Schlachtfeldern statt, sondern verlagert sich in das Herz der japanischen Gesellschaft.

Ein Weltuntergang kündigt sich an. Es ist ein wenig zu hell draußen; ein Mann steht tagträumend am Fenster, ein Vorarbeiter lässt auffällig oft Gegenstände fallen, doch irgendwie scheint niemand den einen Unterschied im Alltag zu spüren.

Genre ohne Gadgets

Wo Horrorfilme im Allgemeinen und Weltuntergangsszenarien im Speziellen oft vor einer spezifischen Realitätsverwurzelung in die menschenleere Abschottung, den ahistorischen Daseinszustand oder die Abgründe menschlicher Hysterie flüchten, sticht Kiyoshi Kurosawa mit den Mittel des Genrekinos stets in das Herz einer überaus gegenwartsnahen gesellschaftlichen Realität. So manifestieren sich Science-Fiction und Horror bei ihm gleichermaßen im sozialen Unbehagen, das in seinen Filmen stets als ein nie konkretes, aber immer spürbares Grauen mitschwingt.

Auch Foreboding (Yocho) ist Genre ohne Gadgets, Science-Fiction ohne menschliche oder außerirdische Technologie. Was in der alternativen Realität aus den Fugen gerät, ist das soziale Miteinander. Der Film, der aus der gleichnamigen Miniserie Kurosawas auf 140 Minuten gekürzt wurde, ist ein Schwesterstück zu Before We Vanish (2017). Beide basieren auf Tomohiro Maekawas Theaterstück, das Kurosawa in dieser zweiten Verfilmung aber aus der menschlichen Perspektive erkundet. Eine Alien-Invasion leitet hier den Weltuntergang ein, allerdings nicht als intergalaktischen Konflikt mit Raumschiffen und Superwaffen, sondern als rätselhaftes Unbehagen, das durch die Vorhänge einer Wohnung weht, sich als rotes Sonnenlicht durch die Wolkendecke brennt oder die Mondsichel zu einem nierenförmigen Himmelskörper deformiert.

Introspektives Grauen

Das gleiche Unbehagen strahlen auch die Außerirdischen aus. Ein zu lange gehaltenes Lächeln, eine freundschaftliche Geste zu viel und einen Zentimeter zu weit vorgebeugt: So infiltrieren sie, getarnt im Leib einiger Menschen, die Erde, wie eine Software installieren sie sich im Körper der auserwählten Opfer. Die meisten außerirdischen Vertreter entpuppen sich dabei als denkbar unachtsame Spione, die unbekümmert ihre Identität ausplaudern und mit unachtsamen Gesten auf sich aufmerksam machen. In der schnellen, unpersönlichen Gesellschaft – Kurosawa richtet sein Augenmerk besonders auf die Arbeitswelt – bleiben die Offenbarungen der Alienidentität aber weitgehend unbemerkt. Nur die gutherzige Kaho durchschaut schnell, dass sich ihr Mann, der klinische Ingenieur Shota (Tatsuo Yamagiwa), seltsam verhält und sein neuer Kollege, der Chirurg Makabe (Masahiro Higashide), eine seltsame Beziehung zu ihm pflegt.

Bevor Kaho ihn das erste Mal zu Gesicht bekommt, spürt sie bereits die Aura des Fremdartigen, die von ihm ausgeht. Der Krankenhausflur beginnt sich zu verändern, das Licht strahlt heller, die Automatik der Durchgangstür reagiert einmal zu oft, erzeugt ein lautes Dröhnen, das sich mit dem seltsamen Wehklagen der Filmmusik vermischt. Dann steht der beunruhigend freundliche Dr. Makabe vor Kaho. Es ist ein introspektives Grauen, das Kurosawa mit der Invasion auf die Erde bringt.

Der Finger, der Menschlichkeit entreißt

Was Dr. Makabe und die anderen außerweltlichen Abgesandten ergründen versuchen, ist gleichzeitig auch die Quelle des rätselhaften Unheils, das sich als dystopische Vision über den Film legt: das Menschsein. So ist die primäre Frage, die der Invasion vorsteht, die Frage nach dem genuin Menschlichen. Was macht den Menschen einzigartig? Ihre Feldforschung folgt dabei keinem komplexen System, sie verlassen sich auf ihre „Guides“. Dr. Makabes Guide ist Shota. Um sein und Kahos Überleben zu sichern, führt er Makabe zu Menschen, deren Ideen, Auffassungen und Konzepte dieser stehlen kann. Auch hier bleibt Kurosawa dem lakonischen Ton seines Weltuntergangsszenarios treu. Makabe ist an erster Stelle neugierig, seine Grausamkeit ist dabei eher ein Nebeneffekt. Er verhört Menschen, erfragt von ihnen intime Details ihres Lebens und übertritt dabei stets unbekümmert soziale Tabus. Er sucht in den Reaktionen der Opfer nach einer Emotion, einem Konzept oder einem Gedanken, die er ihm entziehen kann. Dafür legt er nur seinen Finger auf die Stirn des Gegenübers und reißt ihm das Konzept der Familie, den Stolz oder seine Todesangst aus dem Bewusstsein. Was Makabe extrahiert, rinnt mit einer Träne für immer aus Körper und Geist des Opfers. Makabe, der die Emotion nun verinnerlicht hat, erkundet sie fröhlich. So balanciert er, nachdem er einem Sterbenden die Todesangst entzogen hat, unbekümmert auf dem Rand eines Hochhauses, körperlich erfüllt von Panik und doch in seiner außerirdischen Identität geschützt vor ihren tatsächlichen Auswirkungen.

Genau in dieser Trennung findet Kurosawa die Antwort auf die Frage nach der Menschlichkeit und die Antwort auf die Bedrohung durch die außerirdische Macht. Denn als Makabe schließlich versucht, Kahos Widerstand zu brechen, indem er ihr die Liebe entreißt, kommt seine Macht an ihre Grenzen. Die Liebe lässt sich nicht mit einem geliehenen Körper fühlen, lässt sich nicht halb erleben. Die so pathetisch geladene Erkenntnis präsentiert Kurosawa – und das zeichnet den wunderbar gelassenen und doch ergreifenden Gestus seiner Apokalypse aus – mit einem Achselzucken Makabes. Für ihn ist die Liebe eine Emotion, die er nicht verwerten kann. Für Kurosawa ist sie das, was der Invasion den Schrecken nimmt. Der Weltuntergang mag unabwendbar sein, die Liebe wird uns bis dahin aber niemand nehmen können.

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