Enfant Terrible – Kritik

VoD: Ein zügelloser Mann, wie im Terrarium ausgestellt. Oskar Roehler macht die Klischees über sein Enfant Terrible zum ausschließlichen Inhalt einer grellen Farce und versteht Rainer Werner Fassbinder vor allem über seine hervorquellende Wampe.

In einem sehr schönen Text hatte Georg Seeßlen erst im April noch mal nachgezeichnet, dass und warum Rainer Werner Fassbinder ein Schmuddelkind des deutschen Kinos ist. Gerade angesichts des dort gezeichneten Bilds eines Spielverderbers, der sich nur allzu gern querstellte und Fragen aufwarf, statt sie zu beantworten, sind die Bestrebungen eines generischen Biopics unangebracht. Die Erhöhung der Person, die Konsumierbarmachung anhand einer biografischen Katharsis, die versöhnliche Eingemeindung in eine aufgeräumte Filmgeschichtsschreibung: All dies würde dem Erbe eines Werkes entgegenstehen, das zwar alles andere als unbekannt und verschütt gegangen ist, aber sich doch weiterhin nicht ganz verdauen lassen möchte. Und genau deshalb dürfen wir durchaus dankbar sein, dass Oskar Roehlers Fassbinder-Film Enfant Terrible so ist, wie er ist.

Ausschließlichkeit des Unförmigen

Schon mit Tod den Hippies!! Es lebe der Punk! (2015) hatte Roehler dem Punk das Schicksal verwehrt, zur nostalgischen Anekdote der (popkulturellen) Geschichte zu verkommen, und ihm stattdessen ein ziemlich räudiges Antlitz gegeben. In Enfant Terrible bekommen wir nun einen Rainer Werner Fassbinder (Oliver Masucci) präsentiert, der vor allem über seine hervorquellende Wampe verstanden wird. Zu sehen in speckigen Unterbuchsen, Bademänteln und zu kurzen T-Shirts. Nicht getrimmte Bärte, fettige Haare und Leopardenmusterklamotten, schlechte Manieren und Tobsuchtsanfälle, Unmengen von Koks und Alkohol: Biografische Entwicklungen oder Genauigkeiten treten vor der Ausschließlichkeit des Unförmigen zurück.

Eine Biografie gibt es selbstredend, aber die bleibt anekdotisch. Hier der Moment, wo Fassbinder Hanna Schygulla mitteilt, dass er sie zum Star machen wird. Dort die hakenden Dreharbeiten von Whity (1971), die ihn zu Warnung vor einer heiligen Nutte (1971) inspirieren. Hier das erste Treffen mit El Hedi ben Salem in einem Pariser Club. Dort die ständigen Schikanierungen seiner Nächsten, vor allem Kurt Raab (Hary Prinz). Es sind die Allgemeinplätze seiner Biografie, die abgehakt werden. Darin geht es um einen Mann, der seine Filme zu Schicksalsschlägen macht und seine Schicksalsschläge zu Filmen, der sein Leben obsessiv lebt und sich mit Raserei und Willen zur Kunst von allem zu distanzieren versucht, was ihm zu nahekommt – und der sich damit zunehmend selbst zerstört. Tiefer als die bekannten Klischees über Fassbinder geht es nicht.

Das Leben verkommt zum Zirkus

Oder anders gesagt: Fast genüsslich macht Enfant Terrible diese Klischees zum ausschließlichen Inhalt seiner Erzählung. Nichts gibt es, was über den wilden Sadisten und die begabte Sau Fassbinder hinausgeht. Dessen Leben verkommt zum Zirkus. Wir bekommen das Bild einer gängigen Fassbinder-Exegese entgegengeschleudert, nur übertrieben und verzerrt. Es geht nicht um seine Filme, nicht um seine Anliegen, sein Wesen oder seine Poesie, sondern nur um einen zügellosen Mann, der wie in einem Terrarium ausgestellt wird. Um einen Mann, der in einer Wanne sitzt, als er vom Tod seines Lebensgefährten erfährt. Kurz wirkt es, als ob der Film nun doch das seriöse Psychogramm fokussiert – bis sich Fassbinder-Darsteller Masucci doch nur wieder und mehr denn je in einem unsagbaren Schmierentheater ergeht. Enfant Terrible ist eben weniger Biopic als grelle Farce und fröhliche Sause des schlechten Geschmacks.

Fassbinder – generell ein großer Einfluss auf den Filmemacher Oskar Roehler – stand einem solchen Schmierentheater auch nicht allzu fern und erhob es unter anderem mit Filmen wie Satansbraten (1976) auch zur großen Kunst. Etwas Fassbindrisches findet sich überall in Enfant Terrible. So gibt es eine eigenwillige Sprechart, brechtsche Verfremdung – Türen, Fenster und Schränke sind nur an die Wände gemalt –, und die Farben sind noch greller als in Lola (1981). Aber doch wird zugleich schmerzlich spürbar, dass sich etwas grundlegend unterscheidet. Da wo Fassbinders Filme nämlich allesamt unangenehm und gewalttätig darin sind, Finger in Wunden zu legen, da ist Enfant Terrible eben nur ein schlechter Witz, der Fassbinder als uneingeschränkten Bürgerschreck zwar die Freiheit lässt, nicht verklärend vereinnahmt zu werden, der seine Abgründe aber mit der Show eines wandelnden Bierbauchs auf Distanz hält. Denn im Endeffekt ist es eben ein Film, der lediglich davon lebt, dass eine bedeutende Persönlichkeit sich mal richtig danebenbenehmen darf.

Der Film steht bis zum 10.11.2022 in der Arte-Mediathek.

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