Die, My Love – Kritik

Jennifer Lawrence lässt alles raus. Lynne Ramsays neuer Film Die My Love ist keineswegs fein ausbalanciert; sondern übersetzt einen psychischen Zustand ziemlich ungefiltert und fulminant in Bilder und Sound und Performance.

Die erste, ziemlich lange Einstellung von Lynne Ramseys Die My Love ist eine statische, sie nimmt einen renovierungsbedürftigen Innenraum in den Blick: Es ist das Haus, in das Grace (Jennifer Lawrence) und Jackson (Robert Pattinson) einziehen werden, das Haus, in dem einst Jacksons Onkel bis zu seinem Tod gewohnt hat. “Wie ist er eigentlich gestorben?”, fragt Grace, aber Jackson weiß es nicht, was kein gutes Zeichen ist, wenn man ins Haus eines Toten zieht. Das Haus wird besichtigt, wir beobachten sie dabei, noch aus sicherer Distanz. Grace und Jackson verschwinden immer mal wieder aus der Einstellung, Jackson irgendwann in Richtung Keller, wir hören ihn kurz fluchen. “We have a small rat problem, I guess.“ Auch kein gutes Zeichen, aber das ist schnell vergessen, es ist ja eh noch einiges zu machen. 

Wie eine Katze

Dann ist Schluss mit langen, statischen Einstellungen, für immer: Auf einmal dröhnende Musik, Gitarren, auf einmal dunkler Wald in Flammen. Der Film rast nach vorne, kein Zeitraffer, eher ein Zeit-Remix: Jackson und Grace, wie sie wild auf dem kalten Parkett vögeln, irgendwann in eingerichteter Küche tanzen, Grace im Schwangerschaftsjeanskleid, die obligatorische Entwicklung zu einer Kleinfamilienexistenz als Musikvideo. Als die Bilder ein wenig zur Ruhe kommen ist schon ein kleiner Bub auf der Veranda und Grace pirscht durchs Gras des Grundstücks wie eine Katze, nähert sich dem Kind, Bierflasche in der Hand.

Ramsey lässt alles raus, lässt vor allem Jennifer Lawrence alles rauslassen. Ihre Grace hat ein Problem, das ist schnell klar, macht eine Supermarktkassiererin nieder, verweigert sich jeglichen sozialen Gepflogenheiten ihrer neuen Wahl-Umgebung, lässt Jackson immer wieder auflaufen, flüchtet sich in Wahnvorstellungen und in eine imaginierte Affäre mit einem benachbarten Motorradfahrer. Dieses Acting-Out wurde in der Rezeption des Films unterschiedlich benannt, von Post-Partum-Depression bis Borderline-Störung war alles dabei; dabei verfehlt man den Film, scheint mir, ziemlich, wenn man ihn mit einem dieser Labels versieht.

Immer höhere Eskalationsstufen

„It‘s not New York, but it's ours”, heißt es in der langen Anfangseinstellung einmal, und letztlich agiert der Film nur das Dramas dieses Satzes aus. Wenn das Eigene auf einmal nicht mehr Quelle des Glücks, sondern des Unglücks ist, dann wird „ours“ schnell zur Hölle. Das Kind selbst ist nie ein Problem, zwischen Mutter und Baby scheint die Welt soweit in Ordnung. Es sind die Erwartungen an diese Beziehung, die Grace buchstäblich verrückt werden lassen, wie überhaupt die Hölle des Familienlebens in der ländlichen Isolation, und der Frust mit einer Beziehung, in der nichts mehr geht, was Jackson wiederum nicht zu stören scheint.

Kein Sex mehr, kein Abenteuer, kein New York mehr, das eigene Romanprojekt liegt brach, nebenan nur noch die Schwiegereltern (wobei sich die von der wie immer tollen Sissy Spacek gespielte Schwiegermutter Pam als unverhoffte Verbündete auftut), im Haus der Boyfriend, der Graces Begehren und Frust atemberaubend hilflos gegenübersteht. Wie nicht durchdrehen, wie nicht verschwinden? Es ist der Blick des Wahnsinns auf die sogenannte Normalität, die letztere ziemlich wahnsinnig erscheinen lässt.

Die My Love lebt einzig und allein, und das ist nicht wenig, von der Konsequenz, mit der Ramsey einen psychischen Zustand ziemlich ungefiltert in Bilder und Sound und Performance übersetzt, in einen Film, der einfach immer vorprescht und keinen Moment des Innehaltens zulässt. Nicht alles geht dabei auf, die fantasierte oder ausagierte Affäre mit einem verheiraten Nachbarn (LaKeith Stanfield), der zunächst als geheimnisvoller Motorradfahrer auftritt, steht eher im Film herum, als etwas zu tun. Aber gerade das Erratische, das Willkürliche ist es, was Ramseys neuesten Film interessanter macht als durchkonzipierte Werke ähnlicher Stoßrichtung. Hier ist nichts genau abgemessen oder filmisch ausbalanciert, auch weil Grace selbst das Maß abhanden gekommen ist, sie aus dem Gleichgewicht ist.

Dabei läuft Die My Love glücklicherweise nicht auf eine bloße Romantisierung des Wahnsinns hinaus, der Film nimmt Graces Zustand als ein Leiden ernst, behauptet es nicht einfach als die bessere oder wahrere Einstellung zum Leben. Manchmal und sicherlich nicht zufällig erinnert diese Grace an Gena Rowlands’ Mabel Longhetti aus Cassavetes’ Eine Frau unter Einfluss, vor allem wenn sie nach einem Klinikaufenthalt zurück nach Hause kommt und sich selbst seinen Welcome-Back-Kuchen backt. Filmisch jedoch könnten diese beiden Positionen kaum weiter voneinander entfernt sein; sucht Cassavetes mit seiner Handkamera geduldig nach Subjektivität in Gestik und Mimik, in improvisierten Dialogen, löscht Ramsey mit ihrer wilden Montage diese Subjektivität durch immer höhere Eskalationsstufen und ständige Registerwechsel fast auf.

Tröstliche Stimme

Durch die ganze Ermüdung, Frustration, ja den Hass, der irgendwann nur noch übrig geblieben scheint zwischen Grace und Jackson, schleicht sich am Ende doch so etwas wie Verständigung ein: wenn die beiden im Auto das Duett „In Spite of Ourselves“ singen, vor allem, wenn Jackson den brennenden Wald mit eigenen Augen sieht, und damit die Welt zum ersten Mal durch die von Grace.

Für die Beziehung komm das wohl zu spät, und doch spenden diese Flammen ein wenig Hoffnung, ein wenig Heilung. Danach kann die Regisseurin selbst über den Abspann eine stark verlangsamte Version von „Love Will Tear Us Apart“ singen, und so brüchig und unheimlich diese Stimme ist, mit der sie dem Film vielleicht noch eine persönliche Note verleiht, irgendetwas Tröstliches hat sie dann doch, setzt etwas wieder zusammen, was sie zuvor zwei Stunden lang auseinandergerissen hat.

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