Bad Luck Banging or Loony Porn – Kritik
Auch Radu Judes neuer Film Bad Luck Banging or Loony Porn ist wieder ein filmischer Wirbel der Diskurse. Am Ende steht diesmal nicht das große Theaterstück, sondern eine Shitshow der Elite.

Auf halbem Weg hat sich der Film dann komplett den inszenatorischen Schleier vom Leib gerissen und sein dramaturgisches Skelett entblößt. Der erste, sich zwischen Dokumentar- und Spielfilm bewegende Teil dieses Triptychons macht Platz für einen zweiten, sehr viel plakativeren Part: Allerlei Filmschnipsel, im Internet gefundenes, eigens inszeniertes und wohl auch selbst dokumentiertes Material, werden da zu einem „short dictionary of anecdotes, signs and wonders“ montiert, ja zu einer Art Glossar der Gegenwart verdichtet. Jeder Begriff, an dem sich entlanggehangelt wird, ein Einblick in den Abgrund der Gesellschaft: Nicht nur recht deutlich besetzte Worte wie „Rassismus“, „Patriotismus“, „Vergewaltigung“ werden da mit Anekdoten, Assoziationen, Mythen gefüllt, auch eher offene wie „Küche“, „Kinder“ und „Kultur“. „Küche“ also laut Untertitel wie „die Frau gehört in die Küche“, „Kinder“ wie die Kinder, die da auf irgendwelchen Handyaufnahmen einer politischen Veranstaltung Kriegslieder singen, oder eben „Kultur“ wie eine queere Musikperformance, über die ein archetypischer Wutbürger in den Untertiteln schimpft. Für das Wort „Kino“ steht der Medusa-Mythos ein. Wie das Schild, durch das Athene Medusa anguckt, ist das Kino ein Spiegel, der uns den echten Horror nicht ganz direkt, sondern durch Reproduktion vermittelt. Ein Verständnis des Films als vielleicht einzige Möglichkeit, in den Abgrund zu sehen, hat Radu Judes Bad Luck Banging or Loony Porn bis hierhin sowieso schon durchexerziert.
Zielgenaues Abschweifen

Denn auch im ersten Part namens „One Way Street“ ging es um nicht viel anderes. Es gibt zwar eine Handlung und vor allem eine Figur, der wir durch die Straßen Bukarests folgen, aber immer wieder entwickelt Marius Pandurus Kamera ein Eigenleben: schweift vom eigentlichen Geschehen ab, lässt die Handlung samt Hauptfigur Emi (Katia Pascariu) einfach im Off stehen und schaut, was drum herum passiert. Zunächst einmal aber ist da diese Lehrerin einer Eliteschule, in ihr mausgraues Dress mit Rock und Blazer genauso gezwängt wie in ihre Reputation als „Schlampe“: Ein Porno von ihr kursiert in den sozialen Netzwerken, wir müssen den male gaze auf die weiblichen Geschlechtsteile am Anfang für einige Minuten aushalten, und in Bad Luck Banging or Loony Porn erkennt gefühlt ganz Bukarest Emi auf der Straße wieder. Zumindest drehen sich die meisten nach ihr um, kichern und flüstern ein wenig, und hier und da hallen aus dem Off auch ein paar sexualisierte Beleidigungen. Wobei man nie so richtig weiß, ob sie wirklich ihr oder nicht doch irgendeiner anderen Frau gelten.

Denn natürlich handelt Judes Film nicht einfach von dieser Emi, sondern von der strukturellen Position ihres Geschlechts in der (rumänischen) Gesellschaft. Eigentlich grast Bad Luck Banging or Loony Porn sogar hier schon so einige abgründige Diskursfelder Rumäniens ab. Was zunächst nach träumerischer Kamera aussieht, weiß schon immer ganz genau, was es zu erblicken gibt, welches reale Detail genug politische Relevanz für die filmische Welt abwirft. Überall gibt es also Rollenbilder: Hier eine schwangere Barbie im Supermarkt, dort das Wahlplakat mit zahlreichen Anzugträgern. Hier die Werbung mit der Aufschrift „I like it deep“, auf dem eine Frau genüsslich isst, dort mal wieder ein Mann, der mit seiner fetten Karre den Zebrastreifen zuparkt. Körperpolitiken: hier ein gestählter Männerkörper auf der Reklame eines Fitnessstudios, da die abgerissenen Frauenbeine einer geschundenen Schaufensterpuppe in der Ecke eines Hinterhofs. Und wie es sich für einen Film von Radu Jude gehört, schaut auch die Geschichte immer wieder vorbei: mit Alltagsgesprächen über Rumäniens Verstrickung in Faschismus und Holocaust und mit heruntergekommenen Bauten aus dem Realsozialismus.
Theatrales Wirrwarr

Auch wenn es bei diesen manchmal bis zur Satire überhöhten Szenen nicht so auffällt: Bad Luck Banging or Loony Porn folgt einer ganz ähnlichen Dramaturgie wie Judes Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen, in dem eine Regisseurin anderthalb Stunden ihr Konzept eines Theaterstücks über den Holocaust mit allerlei Fakten und Argumenten verteidigte und wir jenes Stück danach selbst beschauen durften. Erst der Diskurswirbel, dann die theatrale Praxis: Das gilt auch hier, wenn Jude im letzten Teil des Films Emi vor das Tribunal der versammelten Elternschaft schickt, die über ihren Verbleib an der Schule abstimmen dürfen. Wie kostümiert sitzen sie da, jeder schon an der Kleidung zu erkennen: der wohlhabende Pilot, der den guten Ruf der Schule besudelt sieht, der Militärfunktionär, der Emis kritischen Geschichtsunterricht ablehnt, oder der hornbebrillte Intellektuelle, der sie zwar verteidigt, aber seine Punkte nicht machen kann, ohne ein paar sperrige Studien zu zitieren.

Sie alle und noch viel mehr werden immer wirrer durcheinander und aneinander vorbeireden. Werden mit ihren jeweiligen Standpunkten letztlich genauso vereinzelt da sitzen bleiben, wie es die social distancing-Regeln von ihnen verlangen, während sich alte und neue Abgründe auftun. Der eine unterstützt Emi, aber ist für die anderen ein mansplainer, jemand fragt, ob Emi jüdisch sei, weil sie über Anne Frank unterrichtet, und schon wird sie für jemand anders vom Mossad bezahlt und der nächste will Israels Politik diskutieren; jemand wird aufgefordert, seine Maske aufzusetzen, und schon redet man von einer arabischen Virus-Diktatur – und genau dann, wenn es am wenigsten passt, ruft noch irgendwo aus dem Off ein Troll irgendeinen infantilen Witz rein.
Shitshow mit Potenzial
So unmöglich wie müßig, dieser 45-minütigen Shitshow noch irgendwie zu folgen. Was von Judes Film übrig bleibt, sind keine Argumente, die abgewogen werden könnten, dafür ist hier jede Haltung zu sehr eine Karikatur ihrer selbst. Übrig bleibt vielmehr ein Gefühl der Leere: Nichts scheint die in Judes Film stets nebeneinanderliegenden Diskurse verbinden zu können, kein hier anwesender Standpunkt diese Figuren als verschiedene Seiten ein und desselben Problems zu begreifen. Der letzte Teil des Triptychons deutet damit stärker als alle anderen auf das Vakuum hin, das eine moderne Erzählung mit Anspruch auf Totalität füllen könnte. „A sketch for a popular film“ nennt sich Bad Luck Banging or Loony Porn in einer Einblende zu Beginn selbst. Am Ende ist die Skizze entfaltet, die einzelnen Themen, Abgründe, Krisen liegen in diesem Rumänien, wahrscheinlich auch diesem Europa, ganz offen da. Die ewigen Widersprüche zwischen den Standpunkten bieten das Potenzial, die Gesellschaft kippen zu lassen. In welche Richtung das aber geht, wer aus dieser Skizze am Ende einen populären Film macht, ist ungewiss.
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