Babygirl – Kritik

Wenn auch ein safe word nichts mehr retten kann: Nicole Kidman und Harris Dickinson stürzen in Halina Rejns Babygirl in eine wilde SM-Affäre, die von einem beständig hin und her kippenden Machtgefälle befeuert wird. Die Mischung aus Kink und Cleverness ist dabei zugleich mutig und frustrierend.

Brauchen wir vielleicht ein safe word? Ziemlich spät kommen Romy (Nicole Kidman) und Samuel (Harris Dickinson) auf diese Idee. Dabei sind die Fragen, auf die ein safe word in Intimbeziehungen eine Antwort zu sein verspricht, von Anfang an zentral für das Verhältnis der beiden: Wie weit darf man:frau gehen in den Ansprüchen, die man:frau im Bereich des Sexuellen aneinander richtet? Wo liegen die Grenzen, an denen der Kontrollverlust, als der Sex vermutlich auch erlebt und begehrt wird, in Abhängigkeit und Missbrauch umschlagen?

Im safe word liegt das Versprechen, Grenzen gleichzeitig überschreiten und nicht überschreiten zu können; und zwar, indem zwei Welten gleichzeitig in eins fallen und doch strikt voneinander getrennt bleiben: die Welt des sexuellen make belief und die andere, irgendwie (aber wie genau?) realere Welt, in der die beteiligten Menschen stets souverän agierende Individuen bleiben. Das Problem nur: Eben das, der souveräne Umgang mit verschiedenen Welten, funktioniert für Romy und Samuel in Babygirl nicht. Und zwar ganz und gar nicht, tatsächlich funktioniert es so gründlich nicht, dass die vermeintliche Allzwecklösung des safe words auch nichts mehr retten kann.

Fummelei im Neonlicht

Man kennt diese Konstellation aus zahllosen öffentlich diskutierten Skandalen im MeToo-Fahrwasser: ein sexuelles Verhältnis, das gleichzeitig Manifestation eines Machtgefälles ist. Kann der Sex zwischen Romy, die als CEO eines Technologiekonzerns die Spitze der sozioökonomischen Pyramide erklommen hat, und Samuel, der als Praktikant in derselben Firma arbeitet, überhaupt konsensuell und damit safe-word-fähig sein? Babygirl ist ein Film, der solche Fragen nicht nur immer schon mitdenkt, sondern sie in cleverer, vielleicht ab und an allzu cleverer Manier, als Spielmaterial verwendet. Denn, fragt er uns zum Beispiel, verschafft das Wissen um das Machtgefälle zwischen Romy und Samuel nicht vielleicht auch umgekehrt Samuel Macht über Romy? Und zwar, weil sie sich, indem sie ihre Macht ausnutzt, potentiell erpressbar macht

Romy und Samuel in heat also, eine skandalöse Affäre in der modernen Geschäftswelt, eingerückt in die Glasfassaden und in die nachts besonders hübsch in der Unschärfe verschwimmenden Neonlichter Manhattans. Gefummelt wird im Aufzug, für kinky SM-Rollenspiele allerdings weichen die beiden in ein einigermaßen ranziges Hotelzimmer aus. Auf dessen schnödem Teppichboden liegend kommt Romy zu dem Orgasmus, der ihr beim Vanilla-Sex im flauschigen Ehebett mit Ehemann Jacob (super: Antonio Banderas) verwehrt bleibt. Die Angst davor, dass sie, von Samuel gefingert, unversehens auf den Teppich pissen könnte, scheint ihre Lust zusätzlich zu steigern.

Ein unwiderstehliches Diskursobjekt

Überhaupt befindet sich die von Kidman einigermaßen furchtlos verkörperte Romy in einer Zwickmühle: Gerade die Gefahr, die mit der Grenzüberschreitung einhergeht, macht Samuel für sie so unwiderstehlich. Samuel selbst ist eine durchaus sonderbare, keineswegs allzu realistische Figur: einerseits ein junger Streber, der in der schönen neuen Welt des Technokapitalismus eine stromlinienförmige Karriere hinzulegen sucht; andererseits aber auch ein gutaussehender, auf feinsinnige Umgangsformen gerade im Zwischengeschlechtlichen pfeifender Bad Boy, der einem jener Hochglanz-Erotikfilme in der Nachfolge von Fifty Shades of Grey entsprungen sein könnte, wie sie seit ein paar Jahren die Streamingdienste und (seltener) Kinosäle unsicher machen (z.B. After Passion, 365 Days). Sexy und unverschämt (auf Englisch, besser: cocky) ist er, eine Freundin sucht er in Romy nicht, dafür ist sie ihm zu mütterlich; als Affäre hingegen ist sie sein “Babygirl”. Alters-, Geschlechter-, Machtdifferenzen: alles ist erst einmal reversibel gedacht in diesem Film. Bis aus dem Spiel ernst wird.

Ist Samuel schlicht eine Frauenfantasie, analog zu den kurvig-lasziven, allzeit willigen Männerfantasien, die die Erotikthriller und -dramen vergangener Jahrzehnte bevölkerten? Vielleicht schon, und doch ist die Sache ein bisschen komplizierter. Denn zwar bleibt Samuel in der Tat den ganzen Film über in erster Linie Objekt, aber nicht unbedingt Lustobjekt. Eher geht es der Regisseurin Halina Reijn darum, sich diesen Mann passgenau als ein Diskursobjekt zuzuschneiden, anhand dessen sich sehr zeitgenössische Problemkomplexe um Macht und Sex und Geschlechterrollen exemplarisch herauskristallisieren lassen.

Verschreckt von der eigenen sinnlichen Wucht

Das alles ist bisweilen etwas arg zugespitzt, insbesondere, weil das übereifrige Drehbuch noch eine Reihe weiterer Figuren auffährt – wie etwa Romys lesbische Tochter, die im heimischen Swimming Pool fremdknutscht, oder eine ehrgeizige Assistentin, die ebenfalls ein Auge auf Samuel wirft. Sie sollen, vermutlich, als Brandbeschleuniger wirken, aber tatsächlich lenken sie eher vom durchaus aufregenden Zentrum des Films, den immer wieder neu und immer wieder anders eskalierenden, von beidseitigen Unsicherheiten geprägten Sexszenen Romys und Samuels, ab. Regisseurin Reijn hatte vorher den ziemlich chaotischen Teenie-Horrorfilm Bodies Bodies Bodies verantwortet. Ihr Neuer ist in handwerklicher Sicht ein entschiedener, souveräner Schritt nach vorne – und doch vermisst man gelegentlich die Hangout-Wurstigkeit des Vorgängers, in dem Pete Davidson sich die Welt auch mal, ohne tieferen Grund, vom Boden eines Swimming Pools aus anschauen durfte.

Babygirl ist mutig und frustrierend zugleich und damit ein gutes Beispiel für eine derzeit angesagte Spielart des Autorenkinos, die einerseits erzählerische Risiken eingeht, sich andererseits aber intellektuell allzu sehr absichert, anstatt der sinnlichen Wucht der eigenen Bilder zu trauen. Die Möglichkeiten eines anderen, freieren und in mancher Hinsicht vielleicht auch naiveren Kinos scheinen gleichwohl immer wieder durch, auch jenseits des – angesichts eines weitgehend entsexualisierten Hollywood-Mainstreams eh willkommenen – Kidman-Kinks. Zum Beispiel, wenn die ansonsten von Cristóbal Tapia de Veers allzu verspieltem, überkandideltem Score dominierte Tonspur plötzlich Platz freiräumt für ganz große Breitwandpop-Gefühle (INXS, George Michael). Die vielleicht schönste Szene des Films spielt in einem Elektroclub. Pumpende Beats, hedonistische Körper…und mittendrin Romy, die ihre Arme sehnsüchtig nach Samuel ausstreckt. “Nicht nur unterhalten, sondern in gewisser Weise wiedergeboren” wird man im Kino, sagt Nicole Kidman in einem längst legendären Werbespot für die Lichtspielhauskette AMC. Für einmal wieder ein Babygirl sein zu dürfen, jenseits aller Machtspiele und safe words: Von dieser Sehnsucht spricht ihr neuer Film zumindest untergründig.

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