Zwischen uns das Leben – Kritik
Neu auf Mubi: Von der Thalassotherapie zur Vogelimitation. Stephane Brizé schickt einen berühmten Schauspieler auf Kur und dann noch eine ehemalige Liebe hinterher. Zwischen uns das Leben ist ein Film über das aufrichtige Leben trotz notwendiger Kompromisse.

Beim Rendezvous Reloaded wird Mathieu (Guillaume Canet) später sagen, er habe vor der Wahl gestanden, zur begleiteten Sterbehilfe in die Schweiz zu fahren oder eben zur Thalassotherapie an die französische Küste. Alice (Alba Rohrwacher) lacht über den Cafétisch hinweg, einerseits ein bisschen ungläubig, dass dieser berühmte Schauspieler, mit dem sie einst zusammen war, trotz Ruhm und Promi-Ehe nicht so richtig glücklich zu sein scheint, andererseits schon wieder seinem Charme erliegend. 15 Jahre sind die Beziehung und ihr schmerzhaftes Ende nun her, aber bei ihrem Wiedersehen in jener Küstenstadt, in der die eine schon längst mit ihrer Familie lebt und der andere sich zur Kur aufhält, müssen sich Mathieu und Alice eingestehen: Da ist noch was. Nur was macht man jetzt damit?
Die kalten Füße des Schauspielers

Erst haben sie sich nichts, dann alles zu sagen, das ist die Bewegung, die Stephane Brizés Zwischen uns das Leben durchzieht, allerdings erst nachdem wir diesen Mathieu ganz einsam und verloren kennengelernt haben. Wir beobachten ihn beim Check-in ins ziemlich ausgestorbene Wellness-Ressort (Originaltitel des Films: Hors-Saison), nehmen geduldig alle Informationen auf, die der Film uns über die kurzen Service-Dialoge, die Telefonate und Sprachnachrichten zuschustert: Ein durchaus bekannter Schauspieler ist er, das sagen uns die Reaktionen der Hotelangestellten, die sich geehrt zeigen, Mathieu im Hause begrüßen zu dürfen, und vor der Schlamm-Massage nach einem Selfie fragen. Eine eher unterkühlte Ehe führt er, das sagen uns die Telefongespräche mit seiner Frau, die als nicht minder berühmte TV-Moderatorin so beschäftigt ist, dass sie als empathische Begleiterin der Krise ihres Mannes eher ungeeignet scheint. Und diese Krise hat mit einer existenziellen Panik und einer abrupten Flucht zu tun, das sagt uns schließlich die Mailboxnachricht eines befreundeten Künstlers, den Mathieu im Stich gelassen hat: Mitten in den Proben zu seinem Theater-Debüt hat der Schauspieler kalte Füße bekommen und noch vor der Premiere alles abgeblasen.
Während die Tonspur für die Figurenzeichnung zuständig ist, hat Brizé im Bild Spaß mit den Absurditäten des High-End-Wellness-Lifestyles: eine per Fernbedienung steuerbare Schiebetür, eine nur mimisch zu bedienende und deshalb gar nicht so leicht zu stoppende Kaffeemaschine, allerlei merkwürdige Bäder, Peelings und Massagen, schließlich ein Laufcoach, der Mathieu erstmal tief in die Augen schaut und mit ihm atmen möchte. Leichte Zielscheiben für Slapstick-Komik wie für Instant-Gegenwartsanalysen sind das, der Film ist hier nicht ganz ohne Boomer-Vibes, bringt in der Konfrontation des unbeholfenen Patienten mit optimierten Therapietechniken aber doch schön hervor, wie gerade die durchdachtesten und technisch perfekt ausgestatteten Entspannungstechniken gar nicht anders können, als zu Verspannungen und Unzufriedenheiten zu führen: Wenn’s dir hier nicht besser geht, ist der Subtext des Wellness-Paradieses, dann ist dir wohl wirklich nicht mehr zu helfen.
Klaviatur der Kompromisse

Und dann betritt eben eine vergangene Liebe diesen Film – auch zunächst am Telefon: Alice hat aus der Lokalzeitung erfahren, dass Mathieu in town ist, wollte sich mal melden, schlägt ein Café vor –, und der wechselt nun ganz allmählich das Register, wird ernster, aber ohne viel Aufhebens: Die Aussprache über die einstige Trennung, die dann doch mal stattfindet, wird von einem entspannten Pfeif-Score begleitet, auch ansonsten umklimpert ein Klavier den größten Teil der Handlung sympathisch unaufgeregt.
Und die Themen, die fortan im Raum stehen, brauchen ja auch gar keine ästhetische Zuspitzung, um groß und wichtig zu wirken: Es geht um verpasste Chancen und ungelebte Leben, um die Möglichkeit, Entscheidungen zu revidieren und von vorn anzufangen, oder eben nicht, kurz: um die Kompromisse, in die sich all das irgendwann verwandelt, was mal eindeutige Ziele, große Gefühle und klare Lebenspläne waren, und die sich mit jeder verschwundenen Abzweigung größer anfühlen.
Queering The Square

Es ist dem wunderbar nuancierten Spiel der beiden Darsteller:innen zu verdanken, dass sich die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren so spezifisch wie universell anfühlt. Alba Rohrwacher lässt den Panzer, den Alice sich auch zum Selbstschutz aufgebaut hat, langsam bröckeln, und Guillaume Canet blüht als Mathieu dann irgendwann wirklich auf, eine Wellness des Herzens macht sich in ihm breit, und für den Höhepunkt dieser Entwicklung sucht sich Brizé eine gänzlich überraschende Episode aus: Der Film landet nämlich irgendwann bei einer lesbischen Hochzeit, eine der Seniorinnen aus dem Altersheim, in dem Alice arbeitet (wir lernen sie in einer in den Film geschnittenen Videoaufnahme kennen, in der sie ihr Leben erzählt), heiratet ihre späte große Liebe, und auf der Dinnerparty treten ganz unverhofft zwei Vogelimitatoren auf, die sich in einer minutenlangen Szene durch die Festgesellschaft pfeifen und schließlich die beiden geehelichten Turteltauben anträllern.
Das ist zum einen eine charmante Inversion der berühmten Szene aus The Square (2017), in der eine außer Kontrolle geratene Affenperformance eine ähnlich angeordnete Festgesellschaft provoziert und verunsichert: ein gefiederter Safe Space anstelle eines primatenhaften Tabubruchs. Zum anderen schließt diese Szene ganz wunderbar an den ersten Teil des Films mit seinen sterilen Entspannungstechniken an: Den Therapieerfolg können wohl gerade nicht die individuell auf uns abgestimmten Techniken besorgen, weil sie davon ausgehen, dass wir uns schon kennen, während sie gar nicht wissen können, welche Affekte vielleicht noch in uns schlummern.
Proben der Aufrichtigkeit

Das Ende bleibt dann aber doch den sich vielleicht wieder Liebenden vorbehalten, hier entpuppt sich Zwischen uns das Leben endgültig als ungemein reifer Film über Romantik, weil er sie als Motor unserer Wünsche und Handlungen ernst nimmt, aber um ihre Schwächen als Lebensratgeberin weiß. Weil er in jeder aus Reue korrigierten Entscheidung schon eine aus dieser Korrektur entstehende neue Reue erahnt. Weil er sich der subtilen, auch geschlechterspezifischen Asymmetrien im Verhältnis zwischen Mathieu und Alice bewusst ist, wenn der eine sich mit der großen romantischen Geste verabschieden möchte und der anderen nur das Zwiebelschneiden bleibt. Aber selbst im Rahmen eines so dichten Films bleibt noch Zeit für eine Korrektur, und Mathieu versteht seine Theaterflucht vielleicht irgendwann im übertragenen Sinne: Selbst wenn das aufrichtige Leben nie als große Premiere mit viel Applaus aufgeführt wird, weil wir zu viel Angst davor haben, lohnt es sich doch, es immer weiter zu proben.
Den Film kann man bei MUBI streamen.
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