Zombi Child – Kritik

VoD: Bertrand Bonello scheut nicht vor Peinlichkeiten zurück. Das macht den Reiz, aber nicht den einzigen von Zombi Child aus.

Die Ankündigung, dass Bertrand Bonellos neuer Film in Haiti spielt, ist ein bisschen irreführend. Denn der Schauplatz, für den sich der Franzose am meisten interessiert, ist eine dieser Institutionen, die so durch und durch französisch sind, dass sie gleichzeitig wie ausgedacht und irrsinnig glaubwürdig erscheinen. Den größeren Teil von Zombi Child, der eher kurz auch in Haiti spielt, verbringen wir mit pubertierenden Mädchen in einem nach und nach immer merkwürdiger wirkenden Internat in Frankreich, das sich Disziplin, eine hohe Erfolgsrate und besondere Aufnahmekriterien auf die Fahnen geschrieben hat.

Voodoo drängt sich in den Plot

Es ist zu gut, um erfunden zu sein: Die Maison d’éducation de la légion d’honneur wurde 1805 von Napoleon gegründet und ist Mädchen vorbehalten, deren Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern militärische Medaillen erhalten haben, Mitglieder des Ordens der Ehrenlegion oder des nationalen Verdienstordens sind. Das Autoritäre des französischen Bildungssystems spricht schon aus den ersten Bildern, die Bonello im Klassenraum zeigt. Alle Schülerinnen in Uniform samt Schulterriemen hören dem frontalen Unterricht brav zu. Es geht, worum auch sonst, um republikanische Werte und um die Revolution. Es ist der erste von vielen Momenten, in denen Zombi Child vergnüglich gesellschaftliche Doppelbödigkeiten ausstellt.

Kurz vor Gründung der Schule, 1804, hat sich Haiti von Frankreich unabhängig erklärt. Die historischen Verbindungen zwischen den beiden Ländern bestehen fort, Bonello feiert in Zombi Child deren Symbiose in einer fantastischen Erzählung, die aus der Erfahrungswelt ihrer jungen Protagonistinnen schöpft. Schon bei ihrer Aufnahme in die Schwesternschaft erzählt eine neue Mitschülerin haitianischer Herkunft von Zombies. Eines der Mädchen nimmt das ernster als die anderen. Neben dem Physikunterricht mit dem einzigen hotten Lehrer drängt sich Voodoo nach und nach in den Plot.

Irreal, aber völlig naheliegend

Die Exaltiertheit und Extravaganz, die in Zombi Child stecken, offenbaren sich erst spät, denn um dorthin zu gelangen, etabliert Bonello erst mal seinen unbedingten Respekt, seine Zuneigung, seine filmische Ehrerbietung vor dem haitianischen Kult und den französischen Riten. Vor allem die Bilder aus Haiti sehen verdammt gut aus, die Nächte glühen, das Begräbnis verunsichert, das Leben nach dem Tod reißt mit. In der französischen Gegenwart, in der die junge Mélissa (Wislanda Louimat) an die Geschichte ihres Großvaters erinnert, der 1962 lebendig begraben wurde, um als Zombie zum Sklaven zu werden, setzt der Regisseur ganz auf die Ernsthaftigkeit der Pubertät.

Fanny (Louise Labeque) nimmt wie ihre Mitschülerinnen den Unterricht sehr ernst, ihr Verliebtsein aber noch mehr. Zombi Child stellt das nicht infrage. In einer der abstrusesten Szenen, die er wunderbar unironisch in die Erzählung einbettet, träumt sie von dem Jungen, der ihr im Sommer den Kopf verdreht hat und den sie nun viel zu lange nicht sehen kann. Irreal, aber völlig naheliegend, wie er sich im Wald vor der Kamera in Pose wirft, sich räkelt, irgendwie zu cool für diese Welt, aber auch bemüht um die Verführung, ganz als sei er einem Werbespot entstiegen, um einen Fiebertraum zu bevölkern. Er ist kein Abziehbild, kein Schönling aus dem Katalog, sondern ein recht eigenartiger Kerl, dessen besonderer Charme sich nur Fanny erschließen muss, ganz genauso wie das plötzlich auftauchende Motorrad zwischen den Pflanzen. Sehnsucht, die im Bild ihre Wirklichkeit bekommt, egal wie lächerlich oder peinlich sie für Außenstehende erscheinen mag.

Beschwörung des Unstimmigen

Bonello hat es auf die widersprüchlichen Erfahrungen der Jugendlichen abgesehen, auf die Coming-of-Age-Riten, auf den Schulalltag im Streberinternat, auf die unterschiedlichen Glaubenssätze der sich selbst so wichtig nehmenden Lehrer, der experimentierenden Schülerinnen, der Tante, die den Voodoo-Zauber beherrscht. Noch erpichter ist er aber darauf, ihnen Momente zu schenken, in denen sie sich selbst inszenieren, erklären, verständigen.

Spät im Film taucht erst Mambo Kati (Katiana Milfort) auf, die ihre Nichte Mélissa in Frankreich aufgezogen hat. Zombi Child begnügt sich nicht damit, sie für ihren narrativen Zweck des Voodoos einzuführen, sondern nimmt mit ihr eine Abzweigung, die so sanft, neugierig und aufmerksam für ihr Leben wirkt, als gäbe es plötzlich einen Film im Film, dessen Heldin sie ist. Mit ihr stürzt sich Bonello schließlich auch in die Sequenz, die erst wie ein Fremdkörper erscheint, weil sie stilistisch herausfällt und das Unstimmige, Abartige, ja Trashige beschwört.

Kurz ist man anderswo, wähnt sich in einem anderen Film, doch dann wird klar, genau das Gegenteil trifft zu. Um Heterogenität der Erfahrung ging es von Anfang an. Diese Momente machen den Film erst ganz, weil er sich infizieren lässt, weil er nicht perfekt sein muss, weil er fehlbar ist, zulässt, auch einmal peinlich zu sein. Ganz wie Eltern für ihre Teenager und Teenager für alle anderen. Zombi Child ist ein toller Bastard, ein Film voller Souveränität, transformativ, melancholisch und fröhlich. Eine Perspektive auf Geschichte, die nicht schon weiß, wie es ausgeht.

Der Film steht bis 30.03.2023 in der Arte-Mediathek.

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