You've Got A Friend – Kritik
Neu auf DVD: Statt multiplen Orgasmen nur noch Routine. Ryuichi Hiroki verfolgt in You’ve Got a Friend die Verzweiflung eines Lustsüchtigen, der selbst beim Hodennageln nichts mehr spürt – und nimmt sich dessen Lethargie zum Vorbild.

Zu Beginn stellt ein Voice-over Folgendes in den Raum: Für denjenigen, der Strafen genießt, ist es die größte Strafe, nicht bestraft zu werden. Währenddessen sehen wir Yoshio (Jun Murakami), wie er nackt, gefesselt und mit Knebel im Mund aus einem grauen, kalten Meer herausragt, einsam und verlassen, markant sein trauriger Blick. Wenig später wird sein Hodensack von Domina Miho (Nahana) an den Stuhl genagelt, auf dem er sitzt. Sein Kopf sackt dabei bewusstlos zur Seite. Es ist unklar, was genau hier los war. Yoshios apathische Körpersprache, während er in seinen Genitalbereich gepeitscht wird oder den Nagel wieder entfernt, legt aber durchaus nahe, dass er einfach eingeschlafen sein könnte.
Zwischen Perversion und bürgerlicher Routine

Das Doppeldeutige der eröffnenden Feststellung findet in Ryuichi Hirokis You’ve Got a Friend nämlich keinen Wiederhall. Stattdessen bekommen wir einen Hedonisten, der mit seinem Masochismus nicht mehr die impertinenten Höhen der Ekstase erreicht, die ihm einst vergönnt waren. Statt multiplen Orgasmen herrscht nur noch Routine. Seine Droge – er wird einmal als Süchtiger bezeichnet – zeigt einfach nicht mehr ihre Wirkung. Und auch die Haut des Sacks, die in Großaufnahme aus der Unterhose gezogen wird, ebenso wie der Nagel, der auf dieser angesetzt wird und der Lack, die Fesseln und der in expressives Licht gehüllte Folterkeller, die den Beginn bestimmen, sind zuvorderst Finten. Ein Fetischfilm oder Drastik scheinen sie zu versprechen. Der geneigte Zuschauer wird dann aber mit der lustlosen Verlorenheit der Hauptfigur alleingelassen.

Denn Yoshio ergreift kaum mal Initiative, um seinen Zustand zu ändern. Wie auf Autopilot verfolgt er seinen festen Tagesablauf einfach weiter, lässt sich hängen und sucht lediglich die Nähe von Miho. Dabei stellt sich bald die Frage, ob er nur Zeit mit ihr verbringen möchte, weil er nach Antworten für seinen versiegten Lustgewinn sucht – oder ob er einst deshalb keine masochistische Lust mehr verspürte, weil er sich bereits in sie zu verlieben begonnen hatte. You’ve Got a Friend ist nämlich von einer ambivalenten, aber klaren Dualität durchzogen, wonach Liebe und Lust zwei unterschiedliche Stiefel sind. Beziehungsweise ist die Liebe etwas gänzlich Eigenes zwischen den Polen „Perversion“ und bürgerlicher Routine.
Bedrohte Liebe

Diese zwei Pole machen sich in unterschiedlichen Formen bemerkbar. Wenn etwa eine Kollegin (Momoka Ayukawa) moralisch über Yoshios Sexclubbesuche urteilt, dass Liebe erfüllender sei als Lust – während sie selbst vor ihrer arrangierten Ehe in seine Arme flieht, sich von ihm Fleischeslust verspricht und in ihm einen Sadisten erwartet. Wenn die vorsichtig blühende Liebe zwischen Yoshio und Miho von Yoshios Gier nach Lust bedroht wird – und er sich nach seiner ersten Domina Yukiko (Wyolica) sehnt, die Gehorsam bis in den Tod verlangte und die an dem Tag verschwand, als der im Meer ertrinkende Yoshio einen Befehl missachtete.

Oder: Die Stadt befindet sich im Griff einer Bürgermeisterwahl, bei der ein Kandidat Casinos und Freude verspricht, der andere Ordnung und Sauberkeit. You’ve Got a Friend selbst pendelt oft zwischen dem dunklen, engen Sexclub und den hellen, leeren Weiten der Stadt und Yoshios Arbeitsplatz hin und her. Und überhaupt wird im Film zuweilen suggeriert, dass mit Dominas und Masochisten etwas nicht stimmen kann – dass sie die Kranken im Gegensatz zu den Gesunden sind.

Letzteres wird für Yoshio und Miho zunehmend zum Running Gag. Sie lassen sich auf eine solche Pathologisierung schlicht nicht ein. Wie auch You’ve Got a Friend keine Lust auf einen größeren Seelenstriptease hat, sondern lieber still und ein wenig lethargisch wie Yoshio dahinschreitet und dabei sehr viel Sinn für das Straucheln seiner Protagonisten als auch die Absurdität ihrer Situation entwickelt. Hirokis Film legt eine ähnliche Attitüde an den Tag wie die Bürger, die sich für keinen der Bürgermeisterkandidaten erwärmen können: Irgendjemanden müssen sie ja wählen, also lassen sie die Sache einfach nicht zu sehr an sich ran und machen sich und ihre Identität nicht von den beiden abhängig.
Schüchternes Brabbeln

You’ve Got a Friend ist am schwächsten, wenn die Liebe von der Lust bedroht wird und Yoshio seine Herrin Yukiko wiederfindet. Wenn er also in Richtung eines Pols ausschlägt, dort aber nur pflichtschuldig die Dramaturgie einer RomCom oder eines Dramas aufgreift. Umso stärker ist er, wenn er sich mit feinem, trockenem Humor in die Grauzonen der aufgebauten Dualität begibt. Wenn Yoshio gefesselt von der Decke hängt, aber nicht von Miho ausgepeitscht wird, sondern die beiden wie zwei Freunde miteinander reden, die sich gerade getroffen haben. Oder wenn der entnervte Yoshio mit dem Gürtel auf sein Wohnzimmer und sich einschlägt, weil seine Kollegin einfach nicht verstehen möchte, an wen sie geraten ist – und im Nebenzimmer seine bettlägerige Mutter über ihren Sohn lachen und weinen muss.

Kurz: Im Gegensatz zu einem Film wie Tokio Dekadenz (Topâzu, 1992) sucht You’ve Got a Friend sein Glück nicht bei der geilen Darstellung der Fetischwelt und einem ernsten Entfremdungsdrama, sondern erzählt eine zarte Liebesgeschichte von zwei Außenseitern. Und dabei fühlt er sich sichtlich nicht im Sexclub oder in der Leere von Bars, Straßen und Arbeitsplätzen am wohlsten, sondern in den unordentlichen Wohnungen. Hier und da ist er zwar etwas sehr gefällig. Seine Lethargie passt aber irgendwie zu seinen Gefühlswelten, in denen nicht Klarheit herrscht, sondern ein schüchternes, erfreutes Brabbeln.
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