Wife of a Spy – Kritik
Neu auf MUBI: Vor den rigiden Regeln des faschistischen Japans flieht eine Frau in einen selbstgedrehten Agententhriller. Der für seine Horrorfilme bekannte Regisseur Kiyoshi Kurosawa setzt in Wife of a Spy eher auf subtile Absurdität als auf Drastik.

Eine Frau im Dunkeln. Die obere Hälfte ihres Gesichts wird von einer eleganten Augenmaske verhüllt. Sie öffnet einen Tresor. Sie wird überrascht. Vor Schreck lässt sie ihre Taschenlampe fallen. Ein Lichtkegel rollt daraufhin über den Boden. Die Frau wird demaskiert. All diese Informationen fängt der kurze Amateurstummfilm, der in Wife of a Spy zu sehen ist, in einzelnen Einstellungen, meist Großaufnahmen, ein: Abenteuer und Schönheit wie aus der Traumfabrik.
Jeder muss ins große Bild passen

Der eigentliche Film ist da ganz anders. Die Einstellungen sind lang und bleiben auf Distanz zu den Figuren. Meist befinden sich alle Handelnden auf einmal im Bild. Anders als in den Filmen Kenji Mizoguchis, der für eine ähnliche Ästhetik bekannt ist und der in Wife of a Spy erwähnt wird, entwickeln diese Bilder aber keine Tiefe, sondern bleiben eigentümlich flach. Kiyoshi Kurosawa zeigt uns Japan, während es den Zweiten Weltkrieg noch erfolgreich und euphorisiert bestreitet, als ein enges Land, in dem sich jeder ins große Bild einpassen muss. In dem Uniformen, Uniformität und latente Drohungen jeden Individualismus unterdrücken müssen. Die Regeln sind rigide. Als Frau, deren Ehemann gerade abwesend ist, einen Freund der Familie zu besuchen, ist schon ein gesellschaftlicher Affront. Kaum verwundern mag es also, wenn jemand dieser Realität entfliehen und lieber einen Agententhriller leben möchte.

Um einen solchen handelt es sich auch bei Wife of a Spy selbst. Zumindest in gewisser Weise. Händler Yusaku (Issey Takahashi) erlebt in der Mandschurei die Kriegsverbrechen seines Heimatlandes. Beweise dafür möchte er außer Landes schmuggeln, um die USA zum Kriegseintritt zu nötigen und damit für die Niederlage Japans zu sorgen. Doch das offenbart sich uns nur nach und nach. Stattdessen sehen wir den Alltag seiner Frau Satoko (Yū Aoi), die viel Spaß beim gemeinsamen Filmdreh hat, die bei Aufbrüchen und Ankünften der Männer ihres Lebens anwesend ist, die aus zweiter Hand höchstens Andeutungen über das erhält, was außerhalb ihrer Idylle geschieht.
Als schaue Big Brother zu

Zu Beginn des Films wird ein englischer Händler wegen Spionageverdachts verhaftet. Unmittelbar beherrscht Paranoia die Stimmung. Durch die raumgreifenden Fensterfronten von Villen oder einfache Bürofenster scheint die Sonne stets äußerst grell. Manchmal blendet sie nicht nur die Figuren, sondern auch die Kamera. Das Privatleben des Ehepaares erscheint dadurch fast durchgängig durchleuchtet. Es mag einem immer ein wenig scheinen, als schaue der große Bruder aus 1984 zu, als sähen wir Winston Smith und Julia beim Verstecken ihres Innersten. Wife of a Spy ist ein Film über Fassaden und über ein Umfeld, das diese nötig macht. Woran wir an den verschiedenen Personen sind, wissen wir, wenn überhaupt, erst am Ende.

Seine Bedrohlichkeit und seine Emotionalität entwickelt der Film nicht aus offen dramatischen oder drastischen Situationen. Zwar ist einmal eine Wasserleiche zu sehen oder die Folter eines Verdächtigen durchs Militär. Das bleiben aber minimale Ausbrüche im Werk eines für seine Horrorfilme bekannten Regisseurs, das zunehmend ruhiger wird. Vielmehr sehen wir Blicke hinter den Rücken oder Satokos bedrückende Nichtreaktion, als ihr die ausgerissenen Fingernägel des Gefolterten in die Hand geschüttet werden. Kurosawa rückt Unausgesprochenes und Unwägbares offensiv ins Bild – und lässt so Abgründe erahnen.

Auf verquere Weise hoffnungsvoll
Aufgrund der Indizien und Andeutungen verdächtigt Satoko ihren Mann zunächst der Untreue und der Spionage. Später wird sie sich umso engagierter an seinem Plan beteiligen. Bei Sakotos Nachforschungen wie bei ihrer Komplizenschaft nähert sich die Bildsprache ein klein wenig der selbstgedrehten Thrillerminiatur an. Der Einbruch in eine Lagerhalle ihres Mannes sieht inmitten der Strenge des sonstigen Films dann ein wenig nach Mord ist ihr Hobby aus. Folglich wird ihr auch hier eine Großaufnahme vergönnt sein.

Vertraute und geliebte Personen wird sie verraten, wie sie von ihnen verraten wird. Aber wie von den Markern der (von ihr verursachten) Folter, den besagten Fingernägeln, scheint sie hiervon eher unterhalten und motiviert als erschüttert. Wife of a Spy ist bei allem Ernst, bei aller kunstvollen Tristesse eben eher ein verspielter Film, der sich nicht in der Abbildung von Faschismus und Militarismus, von Verrat und Heimtücke erschöpft, sondern den Ausbruch daraus als individuelle Umgestaltung der eigenen Lebenswahrnehmung zeichnet. Auf verquere Weise ist das auch äußerst hoffnungsvoll: Ein gebrochenes Herz ist hier nur mehr Teil des Thrills.

Kurosawas Inszenierung lässt den Film zwar nicht zur großen Gaudi werden, aber der Stil sorgt schon für eine subtile Absurdität. Während das Ehepaar, das zur Zeit des Zweiten Weltkriegs überlegt, ob es sich den neuen Mizoguchi-Film ansieht, bei seinem eigenen Dreh ein sicheres Gespür für Hollywood-Noir-Künste zeigt, macht Kurosawa nun einen Film, der den Stil Mizoguchis sehr eigen aufgreift. Die Spiegelung von Film und Film im Film wird schlicht lustvoll betrieben, statt sich in Stichwörtern über Einbrüche und Spionage zu erschöpfen. Weil in Wife of a Spy alles ein wenig wie Spielzeug wirkt, hält sich die emotionale Fallhöhe dabei in Grenzen. Der Film ist ein großer Spaß, wirkt dabei aber wie eine Fingerübung für zwischendurch. Eine Fingerübung allerdings, die anderen Regisseuren auch als Hauptwerk gut zu Gesicht stünde.
Den Film kann man auf MUBI streamen.
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