Bernadette – Kritik
Nach Last Flag Flying hat Richard Linklater mit Bernadette erneut einen Roman adaptiert, ohne sich deshalb gleich untreu zu werden. Herausgekommen ist ein architektonisch-antarktischer Film über eine Frau, die mal wieder was bauen müsste.

Warten eine Psychiaterin, ein FBI-Agent und ein Programmierer auf eine Architektin … Ein Showdown in Richard Linklaters neuem Film Bernadette beginnt wie ein blöder Witz. Ein anderer findet im Eismeer der Antarktis statt. Klingt beides erst mal nicht nach Linklater: schematische Figuren-Typologien so wenig wie metaphorischer Überbau durch erhabene Landschaften. Aber erstens ist der Film nicht auf Linklaters Mist gewachsen, sondern auf einem Roman von Maria Semple. Und zweitens fühlt sich der erste Showdown nicht wie ein blöder Witz, der zweite nicht wie eine metaphorische Abkürzung an. Bei Linklater ist selbst der Südpol kein Symbol.
Horizont der Antarktis

Eher Ausgangspunkt der Handlung und Fluchtpunkt des Films. Zunächst nämlich möchte die 15-jährige Bee (Emma Nelson) als Belohnung für ihren ersten Schulabschluss mit den Eltern in die Antarktis. Wegen eines „Formfehlers“ im elterlichen Procedere – ohne vorherige Absprache sagt weder Mama noch Papa direkt Nein – kommt Bee damit durch. Ist der Film mit diesem Horizont erst einmal ausgestattet, übernimmt dann aber Bees Mutter Bernadette (Cate Blanchett) den Film, bringt in Windeseile Distanz zwischen ihre Figur und dem Typus der neurotischen Hausfrau.
Bernadette versteckt sich meist hinter riesigen Sonnenbrillen und tritt ihrer Umgebung mit Verachtung entgegen. Sie schläft nachts kaum, ist unruhig, unglücklich, bitchy, singt mit ihrer Tochter aber auch lauthals „Time After Time“ im Auto mit und verdrückt dabei ein paar Tränen. Die To-do-Listen ihres Lebens diktiert sie fortwährend in ihre Endgeräte, stets adressiert an eine gewisse Manjula in Indien, die ob ihrer Körperlosigkeit ein wenig an Agent Coopers berühmte Diktat-Adressatin Diane in Twin Peaks erinnert. Und tatsächlich kommt irgendwann das FBI ins Spiel.
Biografisches am Mittagstisch

Bernadette geht’s nicht gut, aber sie ist kein Opfer, das ist unmittelbar klar. Da ist keine Leere, da platzt ein Selbstbewusstsein aus allen Nähten, während die Nähte aber noch halten. Denn sie ist, aber das erfährt man erst nach und nach und hauptsächlich über YouTube-Videos, die nicht-praktizierende Star-Architektin Bernadette Fox; vor 20 Jahren nahm ein Herzensprojekt in L.A. ein unrühmliches Ende, kurz darauf folgte sie ihrem Mann Elgie (die Fleisch gewordene Geduld: Billy Crudup) nach Seattle, als dieser von Microsoft angeworben wurde, und ließ das mit der Arbeit sein.
Was die folgenden 20 Jahre Familien- statt Bauprojekt mit Bernadette gemacht haben, kommt zum Ausbruch erst in einer Szene, als ein ehemaliger Kollege (Laurence Fishburne) in der Stadt ist und man sich zum Lunch trifft. Bernadette fängt an zu erzählen, auf einmal tritt alles klar zutage, liegt alles auf dem Tisch, wird ein Leben, was vorher nur Neurosen waren, und dass diese Zusammenführung derart triftig erscheint, liegt tatsächlich vorwiegend an Cate Blanchett. Die noch im Close-up mit dem ganzen Körper arbeitet, die Wort und Ausdruck nicht gleichschaltet, sondern miteinander kämpfen lässt: Sarkasmus geht in Tränen über, die gleich wieder vom Sarkasmus aufgefangen werden.
Die ein wenig schlichte Diagnose inklusive Therapievorschlag darf dann ihr Zuhörer dem Film mit auf den Weg geben: „People like you must create! If you don’t, you become a menace to society.“ Und klar, kreativ gearbeitet hat Bernadette lange nicht mehr, ist vielmehr zur mutwilligeren Zerstörerin geworden, was vor allem die von ihr so genannten „Wanzen“ abkriegen, die spießig-provinziellen Helikoptereltern von Bees Schule. Einer von ihnen fährt Bernadette über den Fuß, und irgendwann überschwemmt eine ganze Schlammlawine einen nachbarschaftlichen Empfang.
Töchterliches Vertrauen
Im Takt von Bernadettes pulsierender antisozialer Ader dreht der Film also manchmal selbst frei, verliert die Contenance, aber rutscht zum Glück niemals in die Willkür ab. Bernadette ist so uneven wie seine Protagonistin, so wild zusammenkonstruiert wie die von ihr entworfenen Bauten, so unverblümt wie ihre Rants. Selbst seine konventionellsten Moves wirken nicht kalkuliert, vielmehr scheinen Plotpoints wie Slapstick von einem ethischen Prinzip geerdet, das die eher kluge als altkluge Tochter einmal in Worte kleiden darf. Als Bernadette vor der Psychiaterin, dem FBI-Agenten und dem Programmierer aus dem Badezimmerfenster geflohen ist, kann Bee mit dem väterlichen Hinweis, dass das mit Mama kompliziert sei und man nie einem anderen Menschen vollständig in den Kopf hineinsehen kann, nicht viel anfangen. Selbst wenn, sagt sie: Man kann es ja wenigstens versuchen.

Das ist dann eben doch ziemlich Linklater: immer eher auf der Seite eines unbändigen töchterlichen Vertrauens als Komplize der ehemännlichen psychologischen Intervention. Bernadette ist’s eh gleich, sie verschwindet, findet sich nicht selbst, aber ein neues Projekt und der Film damit ein so bescheidenes wie megalomanes Happy End: Wenigstens im Abspann gibt es wieder Grundrisse und Skizzen. Dazu nochmals „Time After Time“. Darauf lässt sich aufbauen.
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