Weißes Rauschen – Kritik

Neu auf Netflix: Noah Baumbach bewegt sich in Weißes Rauschen mit dem Einkaufswagen durch die Gänge der Filmgeschichte, um links und rechts mitzunehmen, was eben gefällt, und gerät dabei in einen postmodernen Rausch.

Ein Quatschgesetz besagt: Je länger eine Diskussion im Internet dauert, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vergleich mit Hitler fällt. Passend also, dass Noah Baumbachs neuester Film Weißes Rauschen (White Noise), der auch den Beginn der Informationsgesellschaft in den 1980er Jahren thematisiert, so schnell damit um die Ecke kommt. Denn Jack Gladney (Adam Driver) ist neben seinem Dasein als Familienvater Professor für Hitler Studies. In seinen Kursen für Advanced Naziism steht er regelmäßig am Filmprojektor, um mit ernster Miene hinter der getönten Brille Riefenstahl-Filme vorzuführen. Oder um sich wie ein Prediger vor die an seinen Lippen hängende Studentenmenge zu stellen, während das Diktator-Gesicht passgenau auf seines projiziert wird. Wie viele Baumbach-Protagonisten ist Jack aber nur nebenbei mit seinem bildungsbürgerlichen Leben beschäftigt.

„Hauptberuflich“ sind diese Figuren meist mit allerlei (besonders gerne: familiären) Neurosen bepackte Nervenbündel. Auch wenn Jack und seine Frau Babbette (Greta Gerwig) in diesem Sinne abermals „echte Baumbachs“ sind, ist der Film ein kleiner Fremdkörper in der Filmografie des Regisseurs. Die augenfälligste Neuheit: Weißes Rauschen basiert auf einer Romanvorlage, nämlich Don DeLillos gleichnamigem Buch, das als Klassiker der postmodernen Literatur gilt. Die Großstadt wird ausgetauscht gegen die Vorstadt, die Patchwork-Familie bleibt erhalten, diesmal ist’s eine sechsköpfige. So ein Zusammenleben bedeutet Vollbeschäftigung, überall wuselt es. Die älteste Tochter Denise (Raffey Cassidy) spürt gemeinsam mit Jack Babettes mysteriösem Medikament „Dylar“ nach, und abends wird im Ehebett über die Angst vor dem eigenen Tod geredet, die man aushalten kann, solange die Kinder da sind.

Spektakuläre Katastrophen, katastrophale Spektakel

Weißes Rauschen beginnt mit einem Vortrag von Jacks Kollegen Prof. Murray Siskind (Don Cheadle), der sich mindestens genauso doll für Elvis interessiert wie Jack für Hitler, denn beide haben ihre Mutter verehrt. Es geht um Unfälle im Kino – mit zahlreichen Crashs auf der Leinwand –, und darum, wie sie mit technischem Pioniergeist einen der USA eigenen Optimismus ausdrücken, keine Tragödien, sondern fun sind – wenn man denn nur die zerquetschten Körper ignoriert. So sehen es wohl auch Jacks Kinder, die ganz fasziniert von all den Flugzeugabstürzen im Fernsehen sind. Und so läuft das Leben in Baumbachs Welt, bis sie selbst durch eine Katastrophe heimgesucht wird: von einem echten Crash zwischen Zug und Tanklaster, aus dem sich ein chemisches Gemisch zusammenbraut und eine schwarze Wolke die Bevölkerung wie der stille Tod heimsucht. Alle fliehen über die Autobahnen, was noch mehr Unfälle produziert, an denen die Gladneys vorbeifahren wie an nur für ihre Ansicht inszenierten Dioramen aus Verletzten. Eine Gesellschaft, die unweigerlich Spektakel für sich selbst produziert, will hier überall identifiziert werden.

Durch den Supermarkt der Filmgeschichte

Zentrales Motiv des Films ist denn auch der Supermarkt, der hier so betont zur quietschbunten Waren- und Markenwelt hochgejazzt wird, dass die Inspiration aus Andreas Gurskys berühmten 99 Cent II Diptychon unverkennbar ist. So stellen sich Baumbachs vom Tod faszinierte Figuren nicht nur den Himmel vor, auch Weißes Rauschen modelt seine ganze Erzählweise nach dieser Welt, wo jedes Produkt ästhetisch durchgeplant und ausgeformt ist, fertig aus dem Regal gezogen werden kann, um konsumiert zu werden. Baumbach bewegt sich wie mit Einkaufswagen durch die Gänge der Filmgeschichte, um links und rechts mitzunehmen, was eben gefällt: Es geht von Katastrophenfilm, Action, Familienabenteuern à la Die schrillen Vier auf Achse (National Lampoon’s Vacation, 1983) zu einer neuen Marriage Story (2019), Neo-Noir-Revenge-Thrillern und B-Movie-Reminiszenzen. Und dabei durch Filmsets, die bis in die letzte Tiefenebene mit allerhand Details und Nippes angefüllt sind. Die auch nicht mehr versuchen, Realität filmisch zu bearbeiten, sondern Realität immer schon filmisch bearbeitet verstehen. Ein Chemielabor braucht dann bunt qualmende Flüssigkeiten in Reagenzgläsern, ein Motel am Straßenrand die rote Neonanzeige und einen anrüchigen Typen (Lars Eidinger) darin, der so heruntergekommen aussieht wie, na ja, Lars Eidinger.

Die moderne Erfahrung finden

Das Zuviel des Supermarkts wird zum Prinzip des Films selbst: „There is just no end to surprise“, spricht Jack als letzten Satz, bevor er mit seiner Familie durch die Türe des Ladens wie durch die Tore von Valhalla geht. Baumbach will seiner postmodernen Vorlage ästhetisch gerecht werden, will verdeutlichen, was es heißt, den literarischen Stil und Gehalt filmisch zu kommunizieren, und nach der Antwort suchen, wie eng sein Medium mit einer nach Spektakel trachtenden Gesellschaft verschränkt ist. Und irgendwie findet er dabei mehr: Das erste Bild des Films ist der Filmstreifen selbst, unaufhaltsam durch die Mechanik rasend. Es ist diese grundlegende Bewegung des Mediums, die im Rausch der Stile, im Familiengewusel, im Überschuss an Raumdesign aufgehoben ist. Und diese unaufhörliche Bewegung war schließlich einmal das Neue an der filmischen Kunsterfahrung schlechthin: Von einer „Chockwirkung“ im Angesicht des Bewegtbildes sprach Walter Benjamin, und Theodor W. Adorno adressierte die filmische Kunst als „mimetische“ Kraft, die das Publikum mitreißt. Auf der Suche nach der postmodernen Erfahrung findet Baumbach eine Reminiszenz an die moderne.

Interessant ist, wie unterschiedlich zwei US-amerikanische Filme diesen Jahres sich der Geschichte des Kinos nähern: Jordan Peeles Nope beschwor die allerersten Bewegtbilder, um immer wieder kopfschüttelnd auf Marginalisierungen in der Produktion des Spektakulären zu schauen. Peele lieferte die ästhetische Alternative gleich mit und inszenierte das Spektakel betont asketisch. Baumbach begibt sich in Weißes Rauschen stattdessen mitten hinein, partizipiert mit allem, was er hat, an der visuellen Show. Peele führt vor, Baumbach vollführt, schüttelt vielleicht auch mal den Kopf, aber nie ohne ein fettes Grinsen im Gesicht, wenn er Autos im Fluss versenkt, ein Thrillerplot bei Barbara Sukowa als atheistischer Nonne ins Leere läuft und lila Blitze aus dunklen Wolken schießen.

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