Versailles – Kritik

Mediatheken-Tipp: Leidenschaft, superbes Schauspiel, exquisite Pracht. Die TV-Serie Versailles ist ein mit Esprit komponiertes, episches Juwel. An jeder Ecke muss man sich hier neu verlieben.

Immer wenn die Kamera auf das Schloss von Versailles, Originaldrehort der gleichnamigen frankokanadischen TV-Serie, zufährt, sehe ich für einen Augenblick die Aachener Uniklinik vor mir. Auch sie war einst umstritten, wegen ihrer trotzig gigantomanischen Architektur inmitten weiter, unschuldiger Wiesenflächen und wuchs heran zu einem vielbelebten, kostenintensiven Magneten der Schicksale. So wie Versailles, die Serie. Zu ihrer Entstehungszeit (2015-2018) war sie mit einem Budget von 30 Millionen Euro für die 1. Staffel die teuerste je in Europa gedrehte TV-Serie. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Versailles ist ein mit Esprit komponiertes, episches Juwel.

Die Serie besingt im Guten wie im Schlechten das Leben des jungen Barockkönigs Ludwig XIV., seines schwulen Bruders Philippe von Orléans und der vielen Menschen des 17. Jahrhunderts drumherum: Kammerdiener und Berater, Maitres und Maitressen, Ärzte, Zofen, Geistliche und Kindermädchen. Der von Ängsten, Kindheitsträumen und -traumata getriebene Ludwig hat außerdem viele Hunderte für ihn relevante, echte oder vermeintliche Hochadlige in sein selbstentworfenes, immer weiter um sich greifendes Schloss versammelt. Er glaubt, sie dadurch besser kontrollieren und an sich binden zu können, damit sie sich nicht heimlich gegen ihn verbünden. Doch das können sie, so nahe, nur noch besser.

Halbnackte Bauarbeiter. Immer was los.

Immer ist was los und viel zu tun für Ludwigs attraktiv schwermütigen Sicherheitschef und Ober-Folterer Marchal (Tygh Runyan). Non-stop treffen sich die Mitbewohner in den vielen Salons, Gärten und Gängen, tuscheln und tratschen, turteln und intrigieren. Jeder will was. Viele zu viel. Sie rivalisieren um Plätze in der Hierarchie, um Einfluss auf den König, dopen und berauschen sich mit Pulvern und Tinkturen. Spione schmeicheln sich ein. Die Bauarbeiter auf den Gerüsten des ewigen Neubaus, meist ausgediente Soldaten, rebellieren. Hofdamen machen ihnen schöne Augen, bevor sie anderweitig unglücklich verheiratet werden. Ehrgeizige lauschen den Karriere-Coachs ihrer Zeit – einflussreichen Geistlichen, Satanisten und Giftmischerinnen − um aufzusteigen und oben zu bleiben. Am Rande leben einige meiner Lieblinge: Der weise, kriegsinvalide, strenge Gärtner. Die ernste Ärztin in Jungskleidung, die keine Aderlässe und Schafsblutinjektionen mehr vornehmen will. Die bodenständig-burschikose Lieselotte von der Pfalz (Jessica Clark), die mit ihrer lieblosen Verheiratung in dieses Tollhaus klarkommen muss; sie nimmt es mit Humor, aber es ist schwer. Der Film zieht alle Register. Traumschöne Kleider. Extravagante Dekors. Interessant komplexe Menschen und inspirierte, charismatische Schauspieler, die sich mit Feingefühl und Leidenschaft in ihre Rollen knien.

Muss dein ganzes Leben ein einziges Melodram sein?

Der Titelsong mit dem ultravoxigen Vienna-Pathos stammt von der französischen Electronic/Dream-Pop-Band M83 (bekannt durch den Soundtrack zu Suburra, 2015). Der verzweifelt-verrückte Gesang wirkt wie die Seelenstimme der beiden paradiesvogelhaften Brüder und Protagonisten. George Paul Blagden (aus Les Misérables, 2012) spielt die Zerrissenheit des jungen Ludwigs mit fließender, facettenreicher Natürlichkeit. Noch faszinierender sogar: Alexander Vlahos als sein Bruder Philippe von Orléans. Der schneewittchenhaft schöne, widersprüchliche Mann wird unrettbar von seiner Überzeugung gequält, Ludwig gegenüber benachteiligt zu sein. „Muss dein ganzes Leben ein einziges Melodram sein?“, gibt der ihm zur Antwort. Das fragt nun allerdings der Richtige; beide sind unruhige Menschen und können nie zufrieden sein. Spaß am Leben in Versailles hingegen hat Philippes Geliebter, der Chevalier de Lorraine (Evan Williams): freudig ausschweifend, fantasievoll spöttisch, hysterisch eifersüchtig, theatralisch flamboyant: zu Recht wurde Williams für diese Performance prämiert. Es ist allerdings – der zauberhafte Chevalier höre jetzt bitte weg – fast unvermeidlich, sich hinter jeder Ecke und in jeder Folge von Versailles in eine(n) andere(n) zu verlieben.

Die sehr empfehlenswerte Serie steht bei mehreren Anbietern als Stream zur Verfügung. Aktuell kostenlos zudem, wenn auch nur noch für kurze Zeit, in der ARD-Mediathek.

(Spoiler: Staffel 3 wird kritischer und ernster. Manche werden böser. Alles wird noch härter. Aber Serie bleibt gut.)

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