Treasure - Familie ist ein fremdes Land – Kritik

Emotionale Sackgassen: Treasure erzählt von einer US-Amerikanerin, die mit ihrem Vater – einem Auschwitz-Überlebenden – nach Polen reist. Die deutsche Regisseurin Julia von Heinz will mit ihrem Film die Erinnerung an den Holocaust wachhalten. Mit viel Gefühl.

Im Juni 2024 veröffentlicht die Regisseurin Julia von Heinz unter dem Titel „Wir sind nicht darüber hinweg“ auf ZEIT Online einen Text über ihren neuen Film Treasure und die deutsche Erinnerungskultur. Es ist zugleich eine werbende Ankündigung für ihren Film und andere „angemessene Kulturerzeugnisse, die die Erinnerung wachhalten“, und ein Aufruf zur staatlichen Förderung. Von Heinz gibt die Interpretation von Treasure schon vor, bevor der Film überhaupt da ist. Warum man sich ihren Film ansehen muss, ist nach der Lektüre des Textes klar: „Diese zwei Begegnungen zum Beginn meiner Reise allein haben mir gezeigt, dass mein Film über die zweite Generation nach dem Holocaust seinen Sinn erfüllt hat.“ Erstmals lief der Film im Februar 2024 auf der Berlinale, den Weg in eine breitere Öffentlichkeit, die von Heinz in ihrem Text adressiert, findet er nun mit dem offiziellen Kinostart des Films.

Atmosphärischer Ballast

Treasure ist eine Verfilmung des Romans Too Many Men (1999) von Lily Brett. Die Amerikanerin Ruth Rothwax (Lena Dunham) und ihr Vater, der Auschwitz-Überlebende Edek (Stephen Fry), reisen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Polen, um die Spuren der eigenen Familiengeschichte zu verfolgen und Auschwitz zu besuchen. Bretts Roman versucht die Shoah über Orte, Objekte und Gegenstände in ihrer Alltäglichkeit greifbar zu machen. Es geht um ihre ständige Präsenz im Polen der 1990er Jahre, ohne, dass diese Präsenz ausgesprochen wird. An einer Stelle, die auch im Film vorkommt, muss Ruth in der Wohnung, aus der ihre Eltern nach Auschwitz verschleppt wurden, das Porzellangeschirr der Eltern zurückkaufen. Diese Objekte sind nicht rein historisch, sondern durch den Akt des Kaufes in eine Erinnerungs- und Verdrängungs-Ökonomie eingebunden. Diese Ebene, die sich durch Bretts Roman hindurchzieht, dampft von Heinz auf eine böse polnische Familie herunter. Alles Konkrete verschwindet zugunsten einer generischen Spielfilmhandlung.

Interessant ist, welche Stellen des Romans von Heinz für ihren Film auslässt oder verändert, mit welchem Material sie arbeitet. Ruths Neurosen, etwa eine Essstörung, sind bei Brett nicht individuell, sondern werden dezidiert als ein Ergebnis ihres familiären Hintergrundes verstanden. Auschwitz lebt auch in ihr nach, was für sie bis zum Schluss nicht gänzlich zu begreifen ist. Treasure hingegen hat kein Interesse an dieser Frage generationeller Nachwirkungen, die sich in den Körper einschreiben, sondern lässt Lena Dunham sich lieber selbst eine Lagernummer in ihren Körper ritzen. Dunham spielt ihre Ruth Rothwax im Prinzip als eine Fortsetzung ihrer Figur Hannah aus Girls: mit der Essstörung, für die der Film kein besseres Bild als das Kotzen nach dem Essen kennt, dem neurotischen Verhalten und der nach außen getragenen Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben.

Und dann ist da noch das Gespenst von Rudolf Höß. Was passiert, wenn sich die Erinnerung an die eigene Familiengeschichte in Form des Täters materialisiert? Bei Brett verfolgt dieses Gespenst Ruth, von Heinz streicht es ganz aus ihrem Film. Dieser Geist scheint, wie so viele ambivalente Stellen aus Bretts Roman, für Heinz nur atmosphärischer Ballast zu sein, dessen sie sich entledigen muss. Immerhin gesteht sie Höß nicht, wie es noch Jonathan Glazer am Ende von The Zone of Interest tat, eine Form von Reue zu.

Gewährsmann Spielberg

Der deutsche Untertitel des Films lautet: „Familie ist ein fremdes Land.“ Ein Familien-Konflikt zwischen Vater und Tochter in einem fremden Land also. Familienstreit, dann Auschwitz, und dann doch wieder ein Scherz über das Fahren eines Mercedes. Die Kamera ist immer ganz nah an den Gesprächen der beiden in polnischen Hotels und Autos dran, versucht in jeder Szene die Gesichter der beiden in den Fokus zu rücken. Die Komplexität, die Treasure in seiner Ausgangssituation behauptet, wird auf Schuss-Gegenschuss-Dialoge beim Frühstück heruntergebrochen. Die emotionalisierende Musik treibt alles Schwierige aus dem Material heraus.

Für diesen Vorwurf hat sich von Heinz bereits im Vorfeld Gewährsmänner gesucht. So nimmt sie in ihrem Zeit-Interview Schindlers Liste, für den Steven Spielberg unter anderem von Claude Lanzmann scharf angegriffen wurde, weil er aus dem Grauen Spannungsmomente generierte, in Schutz: „In meinen Augen hat der Film alles richtiggemacht, was sich aber durch seine Rezeption erst zeigen konnte. Es kommt mir zynisch vor, die Tatsache zu ignorieren, dass man mit Mitteln des Spielfilms Herz und Verstand der Menschen erreichen kann. Gerade weil es keine persönliche Geschichtsschreibung gab, keine, die mit Emotionen gefüllt ist.“ Natürlich gibt es Gefühle, die man im Angesicht von Auschwitz fühlt und fühlen sollte. Jede*r, der mal eine Gedenkstätte besucht hat, weiß das. Bleibt es aber bei diesen Emotionen, richtet sich das Publikum in einer Hollywood-Gefühlsbequemlichkeit ein, die sich im Angesicht der Shoah verbietet, weil sie auch und vor allem entlastend wirken kann.

Begrenztheit der eigenen Bilder

„Inspired by true events“ hilft da auch nicht weiter, wenn von Heinz mit ihrem Text und ihrem Film eine solche simple Vorstellung von Film als einem rein pädagogischen Medium anbietet. Man muss das Publikum nur fühlen lassen, dann werden die Familie schon über Auschwitz sprechen. Anstatt also Auschwitz in seiner Singularität, allgegenwärtigen Alltäglichkeit und seiner Nicht-Abgeschlossenheit zu begreifen, möchte von Heinz, dass wir uns betroffen fühlen. Auschwitz ist in Treasure nur ein Name, kein Vernichtungslager. Der Film greift auf ein etabliertes Bilderreservoir zurück und richtet sich in einer bequemen Ecke der emotionalen Vermittlung ein. Filme über Auschwitz haben immer eine Lücke zum Geschehenen, das liegt in der Natur der Sache. Diese Distanz überwinden zu wollen, sich der Begrenztheit der eigenen Bilder aber nicht bewusst zu sein, daran scheitert Treasure. Jede*r kann den Film schauen, artig nicken und dann das Klassenzimmer verlassen. Wir sind betroffen, wir sind emotionalisiert, wir werden schon richtig reagieren.

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Kommentare


Daniel Lupi

Julia von Heinz ist der Uwe Boll des staatlich geförderten deutschen Klischeefilms.


Tom Pisa

@Daniel Lupi, vielen Dank, Sie sprechen mir aus der Seele.

Die Frau hat sich auf Haltungskitschkino spezialisiert, das noch nicht einmal vor Holocaust Themen halt macht.






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