Drei Etagen – Kritik
Nanni Moretti erzählt Episoden aus einem römischen Mehrfamilienhaus. Auf die Bewohner blickt er dabei kaum weniger streng als der von ihm gespielte Vater auf seinen Sohn.

Nanni Moretti selbst gibt in seinem neuen Film einen unerbittlichen Richter. Enttäuschung und Abweisung sind in sein bärtiges Gesicht gegraben, wenn er auf seinen Sohn Andrea (Alessandro Sperduti) blickt, und als dem das Gefängnis droht, weil er betrunken eine Passantin totgefahren hat, verweigert Vittorio ihm jeglichen Beistand. Selbst die Erinnerung an bessere Zeiten kappt er später rigoros; eine Aufnahme der Kinderstimme seines Sohnes auf einem wiedergefundenen alten Anrufbeantworter, Zeugnis eines scheinbar einst harmonischen Familienlebens, wird von ihm umstandslos überspielt. Seine Frau Dora (Margherita Bay), ebenfalls Richterin, aber emotional nicht erkaltet, hält das alles kaum aus, doch er nötigt sie zur Wahl zwischen Andrea und ihm.
Unheilkündender Rabe

Benannt ist der Film nach den drei Etagen (Tre Piani) des Wohnhauses, in das Andrea bei dem tödlichen Unfall mit dem Auto kracht, um prompt in der Wohnung der Nachbarsfamilie zu landen. Von der Szene aus nehmen die ineinander verwickelten Geschichten mehrerer Bewohner ihren Anfang. Neben der Richterfamilie sind da die vielbeschäftigen Polaras, die ihre siebenjährige Tochter gerne zu den alten Sartoris aus dem ersten Stock geben, bis Vater Lucio (Riccardo Scarmarcio) den dementen Renato (Paolo Graziosi) verdächtigt, Francesca (Chiara Abalsamo) im Park sexuell missbraucht zu haben. Und da ist Monica (Alba Rohrwacher), die bei dem Unfall gerade auf dem Weg zur Entbindung war und der im Zuge einer postnatalen Depression allmählich die Wirklichkeit zerfällt: Ein Rabe sitzt auf der Küchenstuhllehne und starrt sie unheilkündend an, der verstoßene Bruder ihres stets abwesenden, weil auf einer Bohrinsel arbeitenden Mannes Giorgio (Adriano Giannini) steht eines Nachts vor ihrer Tür, doch was davon bildet sie sich nur ein?

Das Wort „Soap Opera“ geisterte bereits durch einige der Cannes-Besprechungen. Dabei setzt Drei Etagen nicht auf tränentreibende Effekte; die nüchterne, bedächtig Szene für Szene voranschreitende, inszenatorisch unauffällige Erzählweise entspricht durchaus früheren Filmen Morettis. Doch der Blick auf die Figuren, auf das, was sie tun und was ihnen widerfährt, scheint ein anderer; kein Blick, der die Dinge, wie sie eben kommen, mit zurückhaltender Anteilnahme verfolgt, sondern einer, der sie von Anbeginn wie für eine Beweisführung setzt. Auch in Das Zimmer meines Sohnes (2001) spielte Moretti den Vater eines Sohnes namens Andrea, doch wo seine liebevolle Zuwendung dort der emphatischen Haltung des Regisseurs entsprach, da nimmt in Drei Etagen auch der Filmemacher Moretti eher die richterliche Perspektive seiner Figur ein.
Verstaubtes Gesellschaftsbild

Am deutlichsten und leider auch am schematischsten gerät das bei der Figur des Lucio, der sich in seiner Besessenheit, den alten Nachbarn als Täter zu überführen, eben jener Übergriffigkeit schuldig macht, die er dem anderen zu Unrecht unterstellt, als er mit dessen minderjähriger, in ihn verliebten Enkelin Charlotte (Denise Tantucci) schläft. Auch sonst werden vor allem die männlichen Figuren in ihrem egoistischen und halsstarrigen Fehlverhalten studiert. Dass etwa die Kälte des Richtervaters gegenüber seinem Sohn befremdet, macht Andrea in seiner völlig ausbleibenden Reue für den von ihm verschuldeten Tod eines Menschen nicht sympathischer. Die weiblichen Figuren von sieben bis siebzig kommen beinah alle besser weg, ihre Charakterisierung als im Zweifel nachgiebiger, warmherziger, opferbereiter ist aber auch ziemlich schal. Der Romanvorlage des Israelis Eshkol Nevo – als erste Arbeit Morettis beruht Drei Etagen nicht auf einem Originaldrehbuch – wurde gesellschaftsdiagnostische Kraft attestiert; das Gesellschaftsbild des Films aber ist altbacken und verstaubt.
Poetische Einsprengsel

Die drei Etagen des Titels finden sich nicht nur im Handlungsschauplatz, sondern auch im Aufbau der Handlung wieder, gegliedert in drei etwa gleich lange Teile, die man als Entwicklungsstufen betrachten könnte, dazwischen zwei Zeitsprünge um jeweils fünf Jahre. Wo im ersten Teil schuldhafte Verstrickungen aufgebaut und die Figuren im zweiten bei ihrer Bewältigung kaum vorangekommen sind, da bahnen sich im letzten Drittel vorsichtig Möglichkeiten der Versöhnung und Verständigung an, trippeln auch die männlichen Figuren ein paar Schritte Richtung Einsicht. Der Film, nun vor allem fokussiert auf die ihren Sohn suchende Dora, lässt die Zügel um die Figuren jetzt etwas lockerer, gestattet sich poetische Einsprengsel, die von Hoffnung künden, macht etwa den eingangs erwähnten Anrufbeantworter zum Medium, mit dem sich Dora aus der Fesselung ihres früheren Lebens löst. Einmal ist im Autoradio von spontan veranstalteten Straßentänzen die Rede, einer davon wird sich schließlich vorm Drei-Etagen-Haus und vor den Augen einiger Hauptfiguren abspielen, sie stehen vorsichtig lächelnd da, nicht ganz sicher, was sie von der Sache halten sollen.
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