Tödliche Angst – Kritik
Neu auf Blu-ray: Ein Bürger ohne Fehl und Tadel wird scheinbar grundlos terrorisiert. Tödliche Angst spielt mit dem Image des Hauptdarstellers Lino Ventura als Mann der Tat und zieht seine Spannung gerade aus dem Ausbleiben eines sich aufdeckenden Krimiplots.

Auf dem nächtlichen Heimweg wird Journalist Bastien Grimaldi (Lino Ventura) von Unbekannten eine Treppe runtergestoßen. Die folgenden Handgreiflichkeiten zwischen ihm und den Angreifern enden damit, dass er im Inhalt eines umgestoßenen Mülleimers liegen bleibt – mit dem Gesicht voran. Ad hoc beginnt Tödliche Angst (La 7ème cible, 1984) mit einem unerklärten Gewaltausbruch und stellt somit umgehend die Frage in den Raum, die den Film beherrschen wird, die sich Grimaldi wie dem Zuschauer aufgedrängt: Was ist denn hier los?
Rückschlüsse scheinen unmöglich

Nach dem Überfall läutet Grimaldis Telefon ständig. Auf der anderen Seite ertönt aber immer nur das Aufleggeräusch. Ein Geländewagen drängt ihn von der Straße. Sein Auto explodiert vor seinen Augen – nachdem es ihn in der Tiefgarage hellerleuchtet und mit Opernuntermalung erwartete. Ein Bürger ohne Fehl und Tadel wird terrorisiert, ohne dass es einen Grund dafür zu geben scheint. Seit seiner letzten großen Reportage sind bereits sieben Jahre ins Land gezogen. Niemand also könnte ein Interesse haben, ihn mundtot zu machen. Weder hat er Schulden noch Verbindungen in zwielichtige Kreise. Die Untersuchungen der Polizei – so viel Unschuld scheint verdächtig – ergeben höchstens, dass er wohl demnächst etwas Ärger mit dem Finanzamt bekommen könnte.

Schnell baut sich der Hitchcock-Thriller des unschuldig Verfolgten vor uns auf. Doch Tödliche Angst zieht seine Spannung nicht aus dem sich aufdeckenden Spionage- oder Krimiplot, sondern aus dessen Ausbleiben. Auf der einen Seite verfolgen wir Grimaldis Alltag. Er trifft Freunde, seine Mutter, seinen Sohn, seine Geliebte. Und ganz wie es sich für einen Krimi gehört, finden sich zwar überall Motive wie Eifersucht oder eine Erbschaft, aber diese Spuren wollen einfach nicht aus der Sackgasse führen. Zumal sich auf der anderen Seite die Attentate immer erst vollziehen, wenn Grimaldi wieder alleine ist. Als bestünde eine grundsätzliche Trennung zwischen seinem eigentlichen Leben und den Angriffen. Rückschlüsse scheinen unmöglich.
Im Drama gestrandeter Actionheld

Auf gewisse Weise befinden wir uns deshalb weniger auf dem Territorium Hitchcocks als auf dem von Antonionis Blow-Up (1966). Nur dass es Regisseur und Co-Drehbuchautor Claude Pinoteau nicht um ein erkenntnistheoretisches Puzzle geht, sondern um das Gefühl einer existenziellen Auslieferung – die mit der Besetzung seiner Hauptfigur spielt. Lino Ventura, der vor seiner Schauspielkarriere Wrestler war, ist ein Mann der Tat und stellt jemanden dar, der mit seinen Fäusten Tatsachen zu schaffen sucht. Nach der Definition aus Georg Seeßlens Buch über Melodramen spielt Ventura schlicht einen Actionhelden, der in einem Drama gestrandet ist: „Der Held des Männer-Genres verdrängt seine Gefühle, in dem er pausenlos Konflikte austrägt; die Helden von Melodramen verstehen ihre Konflikte nicht, weil sie an ihren Gefühlen zu ersticken drohen.“ Die zuweilen wunderbar überbordend sentimental-melancholische Musik von Vladimir Cosma unterstreicht das noch.

Am Ende des Films finden wir uns am Checkpoint Charlie wieder – mitten im Kalten Krieg, mitten im Gewehrfeuer. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir (ungefähr), was die Vorfälle verursacht hat. Wir wissen auch, was Grimaldi an den finalen Handlungsort gebracht hat. Wir halten die Schlüssel für die Lösung des Krimis in den Händen. Der Film schließt aber mit zwei traurigen Augenpaaren – gerade Lino Venturas steinernes Gesicht, das mehr denn je wirkt, als wäre ihm jedes Lächeln abgerungen, scheint durch seine Augen dem Schmelzen nahe. Auch wenn das Komplott also geklärt scheint, bleibt die Ratlosigkeit in eben diesen Augen der Antriebsmotor von Tödliche Angst – oder ist es mehr denn je.
Statt Lösungen existenzielle Fragen

Mit der Lösung ist schlicht nichts gelöst. Die Konflikte sind zwar ausgetragen, die erstickenden Gefühle aber bleiben. Am wichtigsten sind für den Film dementsprechend auch die Alkoholiker, die sich verrannt haben, die gesellschaftlichen Randexistenzen, die weggeschobenen Kinder, die überforderten Eltern, die mit dem gebrochenen Herzen, die emotional Vergletscherten, die sich anderen nicht öffnen können, die, die gar nicht wissen, was sie angerichtet haben. Sie alle sind zwar nicht zentral in Tödliche Angst, aber doch sind sie so allgegenwärtig, dass sie den Thriller mit Angst, Verlorenheit, Wut und Hilflosigkeit vollstellen. Statt Lösungen bleibt die existenzielle Frage, wie sich mit den eigenen Entscheidungen und Erlebnissen leben lässt. Wie man damit umgehen soll, dass alles klar vor einen steht, aber irgendwie doch etwas fehlt, um es verstehen und schließlich überwinden zu können.

Dieser emotionale Wolf im Thriller-Schafspelz hat aber nur bedingt die Absicht herunterzuziehen. Dafür ist der Hauch Glückseligkeit in der melancholischen Musik zu präsent, und überhaupt streut Claude Pinoteau – ebenso für die beiden La Boum-Filme (La Boum – Die Fete, 1980; La Boum 2 – Die Fete geht weiter, 1982) verantwortlich – zu viel Seltsamkeiten und Absurditäten ein. Es ist, als wolle er mutwillig Ernst und Nachvollziehbarkeit untergraben. So hat einer der Grimaldi beschattenden Polizisten stets seine beiden Töchter im Schlepptau, weil er keinen Betreuer für sie gefunden hat. Der Bauchrednerpuppenanteil des Films ist unerklärlich hoch. Die Staatsgewalt greift comichaft schnell und skrupellos zu Schnellfeuerwaffen. Und überhaupt bleibt alles mitunter seltsam willkürlich und ohne sich aufdrängenden Sinnzusammenhang. Weil etwas nicht zu verstehen in Tödliche Angst auch immer als Chance fürs Staunen und Wundern begriffen wird.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Trailer zu „Tödliche Angst“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (12 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.