The Wind – Kritik
VoD: Draußen pfeift der Wind um die Farm, drinnen sitzt Lizzy und ahnt Teuflisches vor der Tür. Ihr Geisteszustand bleibt in Emma Tammis Horror-Western The Wind lange ein Mysterium, aber dann wird doch ziemlich viel erklärt.

Weit ab vom Schuss errichteten Lizzy (Caitlin Gerard) und Isaac (Ashley Zukerman) ihr kleines Heim. Ihre winzige Farm steht mitten in der Prärie, die gerade beim Auf- und Untergang der Sonne ihrer Einsamkeit eine romantische Note gibt. Als eine Meile entfernt ein anderes Paar in die Nachbarschaft zieht, Emma (Julia Goldani Telles) und Gideon (Dylan McTee), verfliegt die anfängliche Hoffnung auf ein simples, aber genügsames Zusammenleben am Rande der Zivilisation. Schon vor der ersten Einstellung herrscht Betrübnis, wenn in der Schwärze des Vorspanns der Wind durch die Lautsprecher pustet und die ersten Bilder einläutet. Der Wind war schon vor dem Bild da, vor dem Menschen und seinem Schaffen. Er ist das Nichts.
Rastlosigkeit auf mehreren Zeitebenen

Etwas Ungreifbares schwingt darin, das sich im Verlauf der Handlung auch preisgibt. Regisseurin Emma Tammi nutzt das Westerngenre für einen psychologischen Thriller, statt tatfreudige Figuren auf Abenteuerreise zu schicken. Sie porträtiert Lizzys Psyche im gar nicht so wilden, dafür umso einsameren Westen. In dem nahezu als Kammerspiel angelegten Film entfaltet sich durch das ständige Heulen des Windes in Lizzys Heim eine wachsende Unruhe, was auch durch präzise dutch angles versinnbildlicht wird. Obwohl The Wind kein klassischer Western ist, ist die Hauptfigur daher nicht weniger rastlos.

Diese Rastlosigkeit erarbeitet Tammi über mehrere Zeitebenen. So tritt Lizzy in der ersten Einstellung blutüberströmt mit der Fehlgeburt ihrer toten Nachbarin in den Armen über die Türschwelle. Kaum ist der Sarg mit Kind und Mutter unter der Erde, begleitet Isaac den Witwer Gideon in die nächste Stadt, damit dieser sein Gut loswird. Lizzy ist für einige Tage auf sich allein gestellt. Sie ist vom Nichts umgeben, sowohl visuell durch die Prärie als auch auditiv durch den Wind.

Wir wohnen Lizzy bei einer Rekapitulation ihrer Gedanken und Geschehnisse bis zum tragischen Ereignis der Gegenwart bei. Ein Kontrollverlust macht sich bemerkbar. Zeitebenen verwischen, oder das Geschehen springt abrupt vor und zurück. Der Raum bleibt dabei unverändert, unser Zeitgefühl aber wird verwirrt, wenn unerwartete Schnitte Einblicke in Lizzys Perspektiven abbrechen. Dissonante Geigentöne pointieren diesen Eindruck des Orientierungsverlusts, ansonsten sorgt das titelgebende Geräusch für Ausschläge in der Tonspur.

Das wirkliche Verhältnis dieses verhärmten Ehepaares bleibt ebenso wie Lizzys Geisteszustand ein Mysterium, die Dialoge enthalten dazu nur Andeutungen. Der Horror entfaltet sich allein in der Vorstellung der aufmerksamen Zuschauenden, die den bewusst zurückgehaltenen Inhalt mit den folgenden Einstellungen selbst erschließen müssen.
Erst zieht mit Emma und Gideon also ein zweites Paar in die Nähe der beiden, die Einsamkeit Lizzys scheint zu weichen, findet sie in Emma doch endlich eine Gesprächspartnerin. Doch Emma wird verrückt durch die Monotonie des Alltags. Ihre lüsternen Blicke zu Isaac und schon bald darauf ihre Schwangerschaft lassen Schlimmes befürchten.

Misstrauen breitet sich aus, und wir schauen beim mentalen Verfall der Hauptfigur zu. Caitlin Gerards dezentes Schauspiel braucht nur einen abwesenden Blick, nicht mal ein gesprochenes Wort, um die Verfassung ihrer Figur sichtbar zu machen. Im Hintergrund pfeift unablässig die Brise der endlosen Weite durch die eigenen vier Wände, und Lizzy ist in ihnen eingepfercht. Die religiöse Frau ahnt teuflische Dinge vor der Tür. Ruhig sind die Szenen inszeniert, aber still noch lange nicht.
Alles verlässlich ausformuliert

Wenn es doch nur so geheimnisvoll und unbehaglich bliebe. In der zweiten Hälfte eskaliert Lizzys Rekapitulation des Geschehenen, womit der Film die in der ersten Hälfte etablierte Atmosphäre immer mehr einbüßt. Mussten Leerstellen noch selbst gefüllt werden, wird nun vieles einfach ausgesprochen. Selbst die Identität des bislang unbekannten Vaters von Emmas Kind wird unmissverständlich aufgeklärt. Mehrfach, damit gar keine Zweifel an den Aussagen der Figuren bestehen.

Wenigstens sieht Tammi davon ab, die übernatürliche Thematik des Films komplett zu dekonstruieren. Der Elefant im Raum, der voranschleichende Wahnsinn der Protagonistin, erhält zwar eine visuelle Form, aber nur eine angedeutete, die fantastischen Komponenten werden ihrer Unerklärlichkeit nicht gänzlich beraubt. Während Lizzys Verstand weiter verfällt, werden jedoch die Alltagszenen immer eindeutiger. Schöpfte die Dramaturgie ihre Kraft zu Beginn aus dem zwischenmenschlichen sowie mystischen Ungewissen, wird nun alles verlässlich ausformuliert, die Spannung, die die ungeklärten Beziehungen beider Familien erzeugten, ist vom Winde verweht.
Den Film gibt es auf DVD, Blu-ray im Amazon Prime Abo sowie bei anderen Streaming-Plattformen.
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