Die Geschichte meiner Frau – Kritik
Gefangen in seiner Perspektive:. In ihrem neuen Film erzählt die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi die Geschichte einer zerfallenden Ehe.

Erst ist es ein rätselhafter Ratschlag: Um seine Bauchschmerzen zu lindern, solle er heiraten, empfiehlt der alte Koch Habib dem niederländischen Schiffskapitän Jakob Störr (Gijs Naber). Dann ist es eine Wette: Er könne die erste Frau heiraten, die das Café betritt, kündigt Störr selbstsicher und seelenruhig seinem alten Freund Kodor (Sergio Rubini) an. Um der Komik willen nähert sich zunächst eine behäbige alte Frau der Türschwelle, doch man ruft sie, sie kehrt um; Auftritt Lizzy (Léa Seydoux), eine Französin: golden gelocktes Haar, das mit jedem Schritt sanft wippt, blasser Teint, bestimmter Blick. In wenigen Sätzen ist die Sache beschlossen. Schließlich ist es ein Spiel: In der Hochzeitsnacht spielen sie Seemannspoker. Wer verliert, muss ein Kleidungsstück ablegen. Am Ende sitzt Störr nackt da, Lizzy lacht vergnügt, die Ehe wird vollzogen.
Von der See und vom Festland

Trotz ihrer Leichtigkeit und charmanten Verschrobenheit gehören diese ersten Augenblicke in Die Geschichte meiner Frau (A feleségem története) noch ganz dem sachlichen Jakob, fügen sich der Logik, die auf seinem Frachter waltet: Der stattliche Kapitän hat eine klare Vorstellung von den Dingen, er spricht, es wird schnell umgesetzt, es war einmal mehr die richtige Entscheidung. Auf See entwirft Enyedi das Bild eines unerschütterlichen Mannes, der souverän die Geschicke des Frachters lenkt, dabei stets abseits, überlegen ist: Von der lieblosen Essensausgabe am gemeinsamen Tisch schneidet der Film zu der Servierglocke auf dem Tablett, das dem Kapitän gebracht wird; vom Deck, das die Seemänner schrubben, zu seinen Schuhen, die geputzt werden, während er auf dem Bett sitzt. Die Verhältnisse an Bord sind klar, die Welt, die Rollen säuberlich definiert. Gefahren gibt es durchaus – die wütende See könne aus dem Frachter jederzeit eine brüchige Nussschale machen, heißt es gleich zu Beginn aus dem Off –, aber sie sind bekannt; die Zeichen, die sie senden, deutbar. Auf See besteht die Herausforderung darin, Probleme zu lösen, nicht aber, das Problem überhaupt erst zu verstehen.

Anders verhält es sich mit Lizzy. Im Grunde heiratet Jakob eine Unbekannte, und die Ehe bleibt ein Rätsel. Wir schauen mit Jakob auf Lizzy, wir teilen sein Unvermögen, ihre Beweggründe zu durchdringen. Gekonnt navigiert sie durch die Welt auf dem Festland, eine opulente, sinnliche Welt, in warmen, goldenen Tönen gehalten. Ein paar Mal nimmt sie Jakob mit, aber er bleibt ein Fremdkörper, steif, außerstande, sich gedankenlos dem amüsierten Geplänkel, dem leichten Genuss hinzugeben. Das Rätsel, das Lizzy für Jakob wie für den Zuschauer darstellt, beschränkt sich aber nicht auf das gesellschaftliche Treiben, das Jakob völlig fremd bleibt. Was Lizzy für ihn empfindet, was sie in die Ehe bewogen hat, bleibt unausgesprochen; was sie während seiner mehrmonatigen Abwesenheit genau tut, ebenso. Die Geschichte meiner Frau ist die Geschichte eines Zerfalls, und die Tragik besteht darin, dass wir nicht wissen, ob sie ohnehin dem Zerfall geweiht war oder ob Jakobs zunehmend misstrauischer Blick auf Lizzy ihn ausgelöst hat.
Hinter Scheiben

Der Blick, der die Wirklichkeit verformt, der auf die Wirklichkeit einwirkt – er ist in Die Geschichte meiner Frau omnipräsent. Immer wieder begegnen uns die Protagonisten hinter Fensterscheiben oder in Türrahmen, wie eingerahmt, zu wunderschönen, geradezu impressionistischen Gemälden arrangiert, die den Film durchziehen. Viele Schlüsselszenen vollziehen sich hinter solchen wie zwischengeschalteten Schichten, etwa der erste Blickkontakt zwischen Jakob und der jungen Grete (Luna Wedler), seiner künftigen Affäre; oder der lüsterne Blick auf die Angestellte, die in ihrer Pause lässig auf der Straße raucht. Es ist tatsächlich Lizzy, die Jakob das Flirten beibringt, ihn dazu animiert, nicht wie ein Ehemann aufzutreten, wie sie sagt, sondern wie ein Liebhaber; sie ist es also, die diesen neuen Blick schafft. Im Grunde ist Die Geschichte meiner Frau die Geschichte von Blicken, die sich nicht treffen, die an der Wirklichkeit vorbeigehen und gerade deshalb eine neue Wirklichkeit erschaffen. Am Ende kann Jakob nur noch zurückschauen.
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