Shape Of Water - Das Flüstern des Wassers – Kritik
Kalter Krieg mit Zuckerkruste: In The Shape of Water erzählt Guillermo del Toro von der Liebe zwischen einer stummen Putzkraft und einer Sumpfkreatur. Dabei öffnet er nicht nur eine Tür ins Reich der Fantasie, sondern zeigt auch, warum es diese Tür geben muss.

Giles (Richard Jenkins) hat seine besten Tage bereits hinter sich. Die einzigen Aufträge, die der unfreiwillig pensionierte Werbeillustrator noch bekommt, sind für ihn unerfüllbar. Für seine künstlerische Vision ist in einer konsumorientierten Welt – in der die Familie aus der Pudding-Anzeige geradezu grotesk fröhlich grinsen muss – kein Platz mehr. Doch da ist dieser Kuchenladen, direkt gegenüber seiner Wohnung. Das Gebäck dort ist toxisch bunt, pappsüß und auch nicht besonders lecker. Aber es gibt einen charmanten Verkäufer, der wie der junge Ray Liotta aussieht und ein Feuer in Giles entfacht hat. Und während der grummelige ältere Mann mit seiner Kunst einer vergangenen Ära angehört, scheint die Zeit, in der er sein Begehren ausleben kann, erst noch zu kommen. Wenig später hat er in dem Lokal Hausverbot. Hier sei schließlich ein Familienrestaurant und für einen wie ihn kein Platz.
Eine bunte, überzuckerte Torte

Guillermo del Toros neuer Film wirkt zunächst selbst wie eine von Giles altmodischen Zeichnungen oder eine der bunten überzuckerten Torten, die er nur als Vorwand herunterwürgt. The Shape of Water ist zwar historisch konkret verortbar, nämlich im Baltimore der frühen 1960er Jahre, aber er rekonstruiert diese Zeit, als befänden wir uns in einem staubigen Dachboden voller zauberhafter Theaterkulissen. Und als wäre das noch nicht genug, schmiert die immer etwas nach Fließbandproduktion klingende Musik von Alexandre Desplat noch eine Extraportion Zuckerguss drüber.
Und doch findet der Film einen spannenden Umgang mit seinem Amélie-haften Setting. Denn diese Welt ist auch im Film nur reine Fassade; eine Hülle, mit der zwar alles adrett und niedlich verpackt wird, an einigen Stellen aber auch den Blick auf die Abgründe der damaligen Zeit freigibt: die Homophobie, den Rassismus oder, allgemeiner gesagt, eine streng normierte, zutiefst paranoide und von Minderwertigkeitskomplexen geplagte Gesellschaft, die jeden, der nicht ihrem Ideal entspricht, ausgrenzt.

Um Giles geht es in del Toros Geschichte nur am Rande, auch wenn sein Außenseiterdasein stellvertretend für die meisten Figuren in The Shape of Water ist. Im Mittelpunkt steht vor allem seine Nachbarin und Seelenverwandte Elisa (Sally Hawkins). Die stumme Frau arbeitet als Putzkraft in einem wissenschaftlichen Labor der Regierung. Dort will man, angefeuert vom Konkurrenzkampf des Kalten Krieges, dem sowjetischen Feind um jeden Preis eins auswischen – und ist diesem Ziel mit dem Fang einer geheimnisvollen, halbmenschlichen Sumpfkreatur aus dem Amazonas schon ein Stück näher gekommen. Elisa verliebt sich in dieses Wesen, findet zu ihm eine Bindung, die ihr bei den Mitmenschen verwehrt bleibt, und versucht schließlich mit der Hilfe einiger anderer Outcasts – neben Richard auch ihrer schwarzen Kollegin Zelda (Octavia Spencer) sowie des nerdigen russischen Spions Dr. Hofstettler aka Dimitiri (Michael Stuhlbarg) – ihren Geliebten zu befreien.
Faire Behandlung für alle

Del Toro erzählt seinen Film als romantische Abenteuergeschichte und irgendwie auch als historische Wiedergutmachung, indem er alle Figuren, für die es damals entweder gar keinen oder nur sehr wenig Platz auf der Leinwand gab, ins Zentrum rückt. Der Regisseur wirkt dabei selbst ein bisschen wie ein Wissenschaftler. Er erzählt ein bewegendes Liebesmelodram, aber er geht darin nicht völlig auf. Del Toros Stärken liegen eher in der Bautechnik und Mechanik. The Shape of Water hat sein Herz zweifellos am richtigen Fleck, aber ins Auge sticht vor allem, wie klug er durchdacht und wie sorgfältig er konstruiert ist. Und gerade weil Del Toro immer ein bisschen zurücktritt, sich alles nochmal aus der Distanz anschaut und das Gleichgewicht fein austariert, überrascht es auch nicht, dass selbst die, die hier auch ein bisschen vorgeführt werden, immer noch eine faire Behandlung erfahren.

So bekommt selbst der ultimative Bösewicht Strickland (Michael Shannon) – Sicherheitschef, Brutalo vom Dienst und republikanischer Posterboy – noch genug Raum, um sein persönliches Dilemma zu entfalten. Mit eiserner Faust prügelt er ein strenges Reglement durch und merkt dabei nicht mal, wie er sich damit selbst die Luft abschnürt. Dabei ist es bezeichnend, dass er ständig mit einem phallischen Elektroschocker herumläuft und Elisa zum ersten Mal auf der Herrentoilette begegnet. Eine aggressive Sexualität trieft bei ihm aus jeder Pore. Nur wenn er dominiert, kann er auch Lust empfinden. Dass er ausgerechnet für die stumme Heldin ein erotisches Interesse entwickelt, mag nicht zufällig damit zusammenhängen, dass sie ihm nicht widersprechen kann. Das amphibienartige Monster ist gewissermaßen der Gegenentwurf dazu. Wie die Leute, die es schützen, ist es ein Ausgegrenzter. Doch während die Menschen sich mal mehr, mal weniger an das herrschende System anpassen, lässt sich das Geschöpf nicht domestizieren. Es ist wild und unberechenbar, doch gerade im Liebesspiel dann wieder ungemein zärtlich. Während Strickland seinen Schwengel symbolisch protzig in der Luft rumwirbelt, verbirgt sich der Penis des Monsters hinter einem Barbiepuppen-artigen Flachbereich, wo er niemanden verschrecken kann und nur heraustritt, wenn er auch gebraucht wird.
Überlebensstrategie für die Unangepassten

Wenn Eliza ihren Geliebten befreit hat, das Badezimmer flutet und sich dem Liebesspiel mit ihm hingibt, dann kostet der Film wieder ganz seine Märchenhaftigkeit aus. Dabei hat The Shape of Water jedoch ein sehr vielschichtiges Verhältnis zum Eskapismus. Er öffnet die Tür zu einer Fantasiewelt, reflektiert aber zugleich darüber, warum es diese Tür geben muss. Die Flucht ins Imaginäre ist bei del Toro immer auch eine Überlebensstrategie für die Unangepassten. Als im Fernsehen einmal ein Bericht über Rassenunruhen kommt, kann Giles gar nicht schnell genug zu einer Musical-Revue umschalten. Wenn es in der Wirklichkeit aussichtslos ist, glücklich zu werden, begibt man sich eben in ein Paralleluniversum, indem man darüber nicht nachdenken muss und vielleicht sogar das Happy End einer unmöglichen Liebe erleben darf.
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