The Hole – Kritik

In Tsai Ming-Liangs großem Liebesfilm bleiben Virus und Quarantäne im Off der Straßen Taipehs. Im Zentrum von The Hole stehen zwei Menschen, die jeweils vor sich hinleben würden, wäre da nicht dieses Loch in der Wand.

Zu Beginn herrscht Schwärze. Wir hören lediglich Stimmen aus den Nachrichten. Eine mysteriöse Krankheit sucht Taipeh in The Hole heim. Niemand weiß Genaues. Ganze Stadtteile wurden unter Quarantäne gestellt, von der Wasserversorgung abgetrennt, die Müllabfuhr eingestellt. Als Running Gag fliegen deshalb immer wieder Müllbeutel an Fenstern, Balkonen und Treppenhäusern vorbei in den Innenhof des Hauses, das im Zentrum der Handlung steht. Den Hof selbst und den dort zu vermutenden Müllberg werden wir nie zu Gesicht bekommen. Nie wird er zum Problem. Was auch heißt, dass The Hole sich nie den in der Quarantäne-Stadt sicherlich kumulierenden gesellschaftlichen Problemlagen zuwenden wird. Lediglich um das Dahinleben zweier Personen in ihren postapokalyptischen Haushalten dreht sich Tsai Ming-Liangs Film.

Romanze durchs Loch

Der namenlose Mann (Lee Kang-sheng) und die namenlose Frau (Yang Kuei-Mei) sind Nachbarn. Seine Wohnung liegt über ihrer. Sie würden wohl nichts voneinander wissen, wenn nicht zunehmend Wasser an den Wänden der Frau herablaufen würde. Da der Klempner in seiner Wohnung keine Ursache findet, bricht er den Boden auf, um an die dortigen Wasserleitungen zukommen. Die Quelle findet er zwar nicht, aber ein kleines Loch hinterlässt er, das die beiden Wohnungen nunmehr verbindet. Zwangsläufig haben die Frau und der Mann nun miteinander zu tun. Durch die Kakerlaken, die aus der Wand nach unten wandern; durch das Insektenspray, das die Luft der oberen Wohnung mit verpestet; durch kleine Zurufe, dass beispielsweise das Klo oben doch bitte nicht mehr zu benutzen sei; durch die Möglichkeit, beim anderen zu spannen. Und tatsächlich erzählt The Hole von einer sich vorsichtig entwickelnden Romanze, die das Loch in der massiven Trennwand nach sich zieht.

Wir verlassen das Haus meist nur, um den Mann – möglicherweise handelt es sich wieder um die Figur Hsiao-Kang, den Lee Kang-sheng in fast allen Filmen Tsai Ming-Liangs spielt, was The Hole wie einen Traum Hsiao-Kangs aus den ansonsten halbwegs miteinander verknüpfbaren Filmen wirken lassen würde – beim Betreiben seines Lebensmittelgeschäfts in einem ansonsten leerstehenden wie verwahrlosten Einkaufszentrum zu folgen. Statt von neonbelichteter Betriebsamkeit ist die Großstadt von einem Endzeitzustand bestimmt, in dem die Verbleibenden weiterleben, als sei nichts geschehen. Das Virus fügt der Ausgangslage also eine ausgestorbene Außenwelt hinzu, und andererseits die Gefahr, dass die entstehende Einsamkeit eine unsoziale Existenz bar jeder Menschlichkeit nach sich zieht. Denn nach einer gewisser Zeit erfahren wir, was die konkreten Symptome und Auswirkungen des Virus sind. Die von ihm Infizierten werden licht- und menschenscheu und ziehen sich krabbelnd unter Schutt und in dunkle Löcher zurück.

Physische Erfahrung inmitten der Verlorenheit

Symbolisch ist diese Gemengelage äußerst redundant, beschwört die ungestillte Sehnsucht, die Sprachlosigkeit und Isolation, die Tsai Ming-Liangs Filme stets ausmachen. Die Welt ist leer. Wände trennen die Menschen. Und nur Löcher in ihnen retten einen davor, sich nicht endgültig in ein eigenes dunkles Loch zurückzuziehen. Die Frage ist aber, ob diese urbane Einsamkeit der Fluchtpunkt der Erzählung ist – der Erkenntnisgewinn in diese Richtung ist fast immer gering – oder ein erzählerisches Mittel. Schließlich leben die Filme von den Erfahrungen, mit denen die existentielle Leere gefüllt wird. Ob es die leeren Wohnungen in Vive l’amour (1994) sind, die mittels Wassermelonenbowling und Kleideranproben mit einem Hauch von Identität gefüllt werden, der sehr eigenwillige Body Horror von The River (1997) oder der Geisterfilm Goodbye, Dragon Inn (2003), der mittels Echos aus der Vergangenheit mit der Sterblichkeit aller Dinge und des Kinos im Speziellen ringt: Immer geht es darum, der Verlorenheit eigene physische Erfahrungen abzugewinnen.

Wasser spielt dabei stets eine zentrale Rolle, und The Hole ist einer von Tsais feuchtesten Filmen. Ständig regnet es. In der unteren Wohnung lösen sich zunehmend die Tapeten von den Wänden, weil die unerklärliche Havarie von oben immer stärker wird. Einmal sitzt die Frau auf dem Klo, während sie eine Schüssel über ihren Kopf hält, um das Tropfen von oben abzuwehren, einmal legt sie sich resigniert ins gehortete Klopapier und überlässt sich dem unabwendbaren Nass. In dieser klammen Stimmung, die keine trockene Ecke bietet, um sich zurückzuziehen, ist das Leben nurmehr absurd und die Leute hilflos und unsouverän.

Mitgefühl für Lachnummern

Einmal steckt Hsiao-Kang seinen Fuß in das Loch im Boden seines Wohnzimmers, wobei er sich leicht verletzt und fast stecken bleibt. Diese schmerzhafte, nicht einvernehmliche Penetration eines Lochs, das zu der äußerst feuchten Wohnung einer Frau führt, steht womöglich am besten für den trostvollen Humor von The Hole. Von Trieben, Unvermögen und Unsicherheit sind die Figuren bestimmt. Sie sind Lachnummern, die mit Zuneigung und Mitgefühl betrachtet werden. Dieser Liebesfilm handelt dergestalt nicht von dem großen Tohuwabohu einer Beziehung, sondern lediglich vom ersten Schritt. Davon, sich anderen überhaupt zu öffnen beziehungsweise die eigenen Gefühle anzuerkennen, obwohl sich die ganze Zeit ziemlich ungenügend gefühlt wird.

Tatsächlich leben die beiden mehr aneinander vorbei und haben mit sich und ihren Wohnungen zu schaffen. Wir sehen lediglich Momente aus ihren Leben – die dazwischen vergangene Zeit bleibt unbestimmt –, in denen eine Annäherung höchstens über aufeinander gerichtete Blicke erkennbar werden würde. Wären da nicht die Musicalnummern, die The Hole nach den Aufeinandertreffen der beiden einschiebt und sich so erst als Liebesfilm lesbar macht. Musicalnummern, zu Schlagern von Grace Chang, die etwa kommentieren, wie sie nichts von ihm wissen möchte, wie sie sich doch zu ihm hingezogen fühlt, uswusf. Musicalnummern, deren Glanz genauso brüchig ist wie der der Figuren.

Zwei Filme, zwei Seiten einer Medaille

Ein anderer Film, der episodisch eine langsame Annäherung zweier Liebender zeigt und mittels Musik erzählt, ist Wong Kar-Wais In the Mood for Love (2000). Wie die unterschiedlichen Seiten einer Medaille sind diese beiden Filme. Wo der eine völlig zur Musik durchchoreographiert ist, brechen die Songs beim anderen ein. Wo einer völlig aus den Gefühlen seines Liebespaars besteht, die er in knappen Gesten und mit einer expressiven Gestaltung einfängt, herrscht beim anderen Distanz zum diffusem Innenleben der Figuren. Wo der eine aus Händen besteht, die Türrahmen, Telefonhörer oder andere Hände greifen, aus wehenden roten Vorhängen und Uhren, besteht der andere aus langanhaltenden Totalen von Leuten, die sich in ihre Welt kauern. Wo der eine durch seine knappen Momente von der Flüchtigkeit der Zeit erzählt, deren Fluss einem alles entreißt, zeigt uns The Hole eine Welt, in die wir geworfen sind und die einem schwer entrinnbaren Loch gleicht. Die gute Nachricht ist aber, dass da, wo Wong Kar-Wais Fatalismus absolut ist, bei Tsai Ming-Liang die Möglichkeit besteht, sich freizukämpfen – denn ein (Einsamkeits-)Virus ist eher besiegbar als die Zeit.

Zur Einführung und Übersicht unserer Virenreihe geht es hier.

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Kommentare


Tom

Tolle Würdigung!






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