The Big White – Immer Ärger mit Raymond – Kritik
Wenn im Film Leichen nicht unter der Erde liegen, sondern von den Protagonisten für kriminelle Machenschaften missbraucht werden, führt dies in der Regel zu Komplikationen. So auch in The Big White, der im eisigen Alaska angesiedelt ist.

Eindrucksvolle Naturaufnahmen, die teilweise in Alaska, teilweise in angrenzenden Regionen Kanadas entstanden sind, führen dem Zuschauer in The Big White einen Teil der Welt vor Augen, in dem der Mensch seine Umwelt noch nicht domestiziert hat. Der Titel bezieht sich auf Filme in der Tradition von The Big Trail (1930) oder The Big Sky (1952), die von der Westexpansion europäischstämmiger Siedler im Amerika des 19. Jahrhunderts erzählen. In The Big White spielt der Gedanke des „Manifest Destiny“, das die Ausdehnung der USA zum unabwendbaren Schicksal verklärt, dagegen keine Rolle: Die Natur ist im eisigen Norden die dominierende Kraft, vor der man bestenfalls flüchten kann. Jener Fluchtgedanke kommt in The Big White wiederholt vor, so etwa in der Anfangsszene, in der Margaret Barnell (Holly Hunter) erschöpft durch den Schnee rennt, und schließlich erleichtert die Arme in die Höhe reißt, als sie die Staatsgrenze erreicht hat. Auch hinter den Handlungen der beiden zentralen Antagonisten Paul Barnell (Robin Williams) und Ted Waters (Giovanni Ribisi) steht jeweils der Wunsch, den rauhen Klimabedingungen zu entkommen.

Dass die deutsche Fassung von The Big White den Titelzusatz Immer Ärger mit Raymond trägt, spielt auf die schwarzen Komödien Immer Ärger mit Harry (The Trouble with Harry, 1955) und Immer Ärger mit Bernie (Weekend at Bernie’s, 1989) an, in denen Leichen eine tragende Rolle spielen. In Mark Mylods Film findet Reisebürobetreiber Paul Barnell eine solche im Müllcontainer – und wittert sogleich die Lösung für seine finanziellen Probleme: Er gibt den Körper als den seines seit fünf Jahren verschollenen Bruders Raymond aus und gelangt so an dessen Lebensversicherungspolice in Höhe von einer Million Dollar. Das Geld möchte er dazu nutzen, mit seiner am Tourette-Syndrom leidenden Frau Margaret in den sonnigen Süden auszuwandern. Versicherungsagent Ted Waters ahnt jedoch den Betrug und sieht mit dem Fall seine Chance auf eine Beförderung inklusive Versetzung weg von Alaska gekommen. Während Ted Paul allmählich auf die Schliche kommt, kriselt jedoch die Beziehung zu seiner Freundin Tiffany (Alison Lohman), die sich als Telefonmedium verdingt. Für Paul widerum verkompliziert sich die Lage, als die amateurhaften Auftragskiller Gary (Tim Blake Nelson) und Jimbo (W. Earl Brown) die frisch beerdigte Leiche zurückfordern. Zu allem Überfluss kehrt dann auch noch Raymond (Woody Harrelson) zurück.

Robin Williams erfindet sich in The Big White nicht neu, bei der Darstellung Paul Barnells kommen vor allem seine altbekannten komödiantischen Talente zum Tragen. Dagegen überrascht Giovanni Ribisi, der bisher häufig düstere Rollen gespielt hat, mit der unterhaltsamen Verkörperung des ehrgeizigen Karrieristen, der allmählich zum emotionalen Wrack wird. Das humoristische Highlight des Films ist jedoch Holly Hunter als Margaret, deren Schimpfkanonaden und erratisches Verhalten sie erfrischend überspitzt darstellt. Die Szenen, in denen sie von Gary und Jimbo als Geisel genommen wird, diesen aber mit überaus vulgären Beleidigungen Paroli bietet, sprühen vor Witz. Gleichzeitig erschafft dieser Abschnitt eine im restlichen Film spürbare interessante Ambivalenz, als der zwar tollpatschige, aber intelligente Gary Margaret unterstellt, sie simuliere ihre Krankheit nur.
Gary und Jimbo sorgen in The Big White zudem für eine Umkehrung von traditionellen Rollenverteilungen. Die filmhistorisch durchaus unterschiedlich thematisierte Homosexualität von Gangstern wird hier zur positiven Charakterisierung des schwulen Paares genutzt, wenn auch besonders durch Nelsons Figur manches Stereotyp bedient wird. So spaßen die beiden Gangster in The Big White ausgelassen miteinander herum und Gary beweist seine Talente als Koch, indem er seinem Freund und Margaret ein aufwändiges Abendessen zubereitet. Dass die Homosexualität von Gary und Jimbo im weitesten Sinne positiv dargestellt wird, führt im Finale von The Big White zu der interessanten Konstellation, dass sie neben Paul und Margaret sowie Ted und Tiffany als drittes Paar agieren. Damit ist Raymond der einzige Akteur des Films, der auf sich gestellt ist.
Trotz der zum Teil originellen Figurenzeichnung ist die Handlung des Films vorhersehbar und deren Umsetzung routinemäßig. Wer vom Independentkino nicht zwangsläufig mehr erwartet als gute darstellerische Leistungen und ansprechende Bilder, wird von Mark Mylods zuweilen beißend komischer Krimikomödie aber nicht enttäuscht.
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