Supernova – Kritik
VoD: Dekonstruktion einer gemeinsamen Zukunft. Anders als The Father will Harry Macqueens Supernova seine Demenz am liebsten selbst vergessen, um im Sommer des Lebens zu bleiben.

Der Titel des Films legt schon nahe, dass hier jemand aus dem Leben glühen will. Tusker (Stanley Tucci) ist verfrüht an Demenz erkrankt. Er und sein Partner Sam (Colin Firth) reisen im Wohnmobil zu einem Nationalpark in England, an dem gemeinsame Erinnerungen hängen. Der Brite Sam möchte nicht aufgeben, was die beiden haben, während der Amerikaner Tusker erkennt, dass Selbstbestimung der einzige Weg ist, seinem Leben ein würdiges Ende zu setzen. Die Stimme des Navigationsgeräts erinnert ihn an die Eiserne Lady, und er sucht, solange es geht, lieber mit dem Finger auf Landkarten. In diesem Unabhängigkeitskrieg zwischen zwei Liebenden füllen sich einzelne Momente mit der Intensität eines bevorstehenden Endes.

Erst nach und nach verstehen wir, in was für einer Situation wir uns befinden. Denn Harry Macqueen meidet unnötige Erklärungen mit einer Diskretion, die Intimität zwischen seinen Figuren gestattet. Diskretion und Intimität, das sind Haltungen, die sich gut verstehen mit der schöngeistigen Gemütlichkeit von Supernova. Diese gießt Kameramann Dick Pope, von dem man deutlich Aufregenderes gewohnt ist, in satte Erdtöne, die in ihren schwächsten Momenten an Ikea-Reklame erinnern. Der Schnitt kostet das Schauspiel der Hauptdarsteller stets unterstützend aus. Zurecht, denn Firth und Tucci gelingt es, in den kleinsten Gesten wie im großen Streit von einer ebenso überwältigenden wie zurückhaltenden Vertrautheit zu künden.
Die Narrenfreiheit eines Verschwindenden

Viel Halbeingestandenes und Unausgesprochenes gibt es zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung der beiden. Ein Kassettenrecorder dient als Unterbewusstsein, in dem diese Gedanken abgelegt werden. Und als Hilfsmittel der Entfremdung, mit dem die beiden versuchen, aus der Distanz miteinander übereinander zu sprechen.
Ein Gravitationszentrum in der Mitte von Supernova ist der Besuch bei Sams Schwester (Pippa Haywood) und ihrem Mann. Freunde und Familie hat Tusker eingeladen, ein großes heimeliges Fest findet statt. Das Glück der Party kommt fast einem Eingeständnis gleich, dass dies das letzte Mal gewesen sein soll. Diese Eingeständnisse sind es, mit denen Sam nicht umgehen kann.

Tusker nutzt indes die Narrenfreiheit eines Verschwindenden, um in Würde weiterzugeben, was er von sich andauern wissen möchte. Vor allem ist da die Astronomie, und so erzählt er seiner Patentochter von den Partikeln eines Sterns, die sich nach dessen Tod in einer Supernova verteilen. Seine Selbstbehauptung entpuppt sich aber immer mehr als das, was sie ohnehin ist: Behauptung. Einem Stanley Tucci, der doch stets so lässig und überlegen auftritt, bei diesem Verfall zuzusehen, schmerzt tatsächlich.
Tragödie unter bestmöglichen Bedingungen

Demenzfilme beschäftigen sich in der Regel selten mit Heimplatzsuchen, Pflegemangel, Fixierungen und vielen weiteren handgreiflichen Problemen, die diese Erkrankungen mit sich bringen. Auch Supernova reiht sich in diese Tragödien unter bestmöglichen Bedingungen ein, was seinem Anliegen aber ganz und gar gerecht wird. Sam und Tusker haben das liberalste und verständnisvollste Umfeld, das man sich nur wünschen kann, das auch applaudiert, wenn Tusker eine Rede nicht mehr ablesen kann. Die Liebe der beiden zueinander wird zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt. All das, ebenso wie das fast noch mittlere Alter der beiden, konfrontiert die Figuren mit dem unauflöslichen Drama hinter diesen Problemen: dass man eine gemeinsame Zukunft dekonstruiert; dass es zum Aufrechterhalten etwas Heuchelei und Schweigen braucht. Konfrontiert sie auch mit der Diskrepanz zwischen dem, was man für sich und was man gemeinsam mit jemand anderem will. Zunächst erscheinen die repetitiven Blicke aus dem Fenster, auf die Karte und die Straße wie Roadtripkitsch. Supernova schafft es aber, allmählich und virtuos ein Pathos des Abschieds in seine alltägliche Intimität zu legen.
Der Film steht bis 17.06.2023 in der ARD-Mediathek.
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