Vom Blitz getroffen – Kritik
Drehbuchdebütant Chris Colfer umrahmt den von ihm selbst gespielten Protagonisten mit abziehbildhaften Figuren. Rebel Wilson glückt in ihrer Nebenrolle der Widerstand gegen das Schema F.

„We are not clichés!“, ruft die hübsche Cheerleader-Zicke Claire Mathews (Sarah Hyland) empört, als der entnervte Carson Phillips (Chris Colfer) sie und ihre Peergroup als solche bezeichnet – was man durchaus als Selbstkritik (oder -ironie) des Autors begreifen kann, da der Carson-Darsteller auch das Drehbuch von Vom Blitz getroffen (Struck by Lightning) geschrieben hat. Colfer, 1990 geboren und als 19-Jähriger mit der Musical-Dramedy-Serie Glee (2009–2014) als Schauspieler und Sänger bekannt geworden, operiert in seinem Skriptdebüt mit dem stereotypen Figurenarsenal der Highschool-Erzählung: Claire und ihr einfältiger Sportler-Freund Justin (Robbie Amell) sind – ebenso wie der reiche Snob Nicholas (Carter Jenkins), das trotzige Goth-Girl Vicki (Ashley Rickards) und einige andere der gezeigten Kids – extrem zugespitzte Typen ohne merkliches individuelles Innenleben.
Klüger als alle anderen

Eine derartige Konzeption muss einer Geschichte nicht zwangsläufig zum Nachteil gereichen; problematisch wird die mangelnde Komplexität des Nebenpersonals hier jedoch in der Konfrontation mit dem Protagonisten Carson, der davon träumt, die verhasste Kleinstadt Clover zu verlassen und ein Journalistik-Studium an der Northwestern University zu beginnen. Um seine Annahmechancen zu verbessern, gründet Carson ein Literaturmagazin. Er nötigt seine Mitschüler zur Anfertigung von Beiträgen, indem er ihre schmutzigen Geheimnisse in Erfahrung bringt und sie erpresst – ehe er überraschend zu Tode kommt, als er auf dem Schul-Parkplatz von einem Blitz getroffen wird, was wiederum keine Schlusspointe ist, sondern der Einstieg in die Filmerzählung, die sich dann in Rückblenden entfaltet.

Nahezu alle Situationen zwischen Carson und seinen oberflächlich-stumpf anmutenden Altersgenossen (und Lehrern) ziehen ihren Witz aus der Tatsache, dass der 17-Jährige cleverer als sein Umfeld ist; fast immer ist er den anderen überlegen. Colfers Drehbuch läuft dadurch Gefahr, allzu selbstverliebt zu erscheinen. Auch außerhalb der Highschool-Welt sind die Personen, die sich um Carson herum befinden, größtenteils „the perfect example of something that I refuse to become“ (wie es über die Mutter heißt). Carsons Mom Sheryl (Allison Janney) ist süchtig nach rezeptpflichtigen Medikamenten und Alkohol; zu ihren Erziehungsmethoden zählen seelische Grausamkeit sowie die Verabreichung von Antidepressiva zur Ruhigstellung des Sohnes. Früher mischte sie Carson, wie sie triumphierend erzählt, Ritalin ins Essen, um ihn davon abzuhalten, zu viele Fragen zu stellen. Neal (Dermot Mulroney), Carsons Dad, hat sich der suburbanen familiären Dysfunktion (und somit seiner väterlichen Verantwortung) früh entzogen und lebt inzwischen mit der netten, aber leicht naiven und in Bezug auf die Vergangenheit ihres Partners völlig ahnungslosen April (Christina Hendricks) zusammen. Im Gegensatz zu den Figuren aus dem Teen-Milieu sind die Erwachsenen nicht ausschließlich in Relation zu Carson zu sehen, sondern haben auch eigene Momente; dennoch sind die drei Schauspieler, die in anderen Film- und TV-Arbeiten bereits ihren Facettenreichtum beweisen konnten, hier weitgehend einem Drehbuch unterworfen, das im Grunde nur an der Hauptfigur Interesse zeigt.
Über den Rand gemalt

Wie man einen äußerst geringen darstellerischen Entfaltungsspielraum maximal ausnutzen kann, demonstriert indes das Comedy-Talent Rebel Wilson in der Rolle der tumben Schul-Außenseiterin Malerie. Auch diese ist schablonenhaft angelegt und fungiert (zu) oft als Zielscheibe billiger Gags über ihre Korpulenz oder ihre Unbedarftheit. Durch ihre spontan wirkende Spielweise gelingt es Wilson jedoch, gewissermaßen über den Rand der Schablone zu malen: Wie schon in der College-Komödie Pitch Perfect (2012) nehmen sich die eigenwilligen Bewegungen Wilsons sowie die teils fahrigen Darbietungen von Dialogzeilen angenehm widersetzlich aus. Die konfusen Auftritte der Australierin erwecken so den Eindruck, weit über die Einhaltung der Skriptvorgaben oder die Ausführung der Regieanweisungen hinauszugehen – was die Klischeerolle der beleibten Unbeliebten neben Carson zur einzigen individualisierten Figur des Highschool-Strangs macht.
Anders anders

Der besondere Reiz in der Zeichnung des Protagonisten liegt wiederum weniger in dessen Empfinden, „different from everyone else“ zu sein (da sich wohl jeder Teenager im Leben und in der Kinohistorie „anders“ fühlt) – ungewöhnlich ist vielmehr, dass dieses Empfinden nicht zu Identitätsfindungsqualen oder ratlosem Rebellentum führt, sondern zu Ambition: Statt sich um seine mangelnde Beliebtheit zu sorgen oder seiner Unzufriedenheit mit Destruktivität zu begegnen, visiert Carson energisch-konsequent das Post-Highschool-Leben an. Auch werden Carsons Coming-of-Age-Bemühungen nicht – wie sonst üblich – mit einer Romanze verknüpft. Anders als die (Anti-)Helden zahlreicher Adoleszenzgeschichten ist der entschlossene Carson nicht von Kopf bis Fuß auf Liebe und/oder Sex eingestellt; ihn treibt tatsächlich vor allem die Karriereplanung um.
Da Carson noch vor seinem Schulabschluss stirbt, hat das Geschehen eigentlich das Zeug zur Tragödie: Der Zuschauer folgt Carson beim Aufbau einer Zukunft – und weiß von Anfang an, dass es eine ungelebte Zukunft sein wird. Im Tragischen auch das Komische zu entdecken ist völlig legitim. Doch indem Colfers Drehbuch die Hauptfigur überwiegend mit einfallslos gestalteten jugendlichen Knallchargen sowie gescheiterten Erwachsenen umgibt, kann in Vom Blitz getroffen weder das Komische noch das Tragische auf adäquate Resonanz stoßen.
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