Spencer – Kritik

VoD: Der goldene Käfig ist zum Kotzen. Pablo Larraíns Spencer macht aus der Weihnachtsfeier der britischen Monarchie rund um Prinzessin Diana ein Paranoia-Kammerspiel.

Müsste man ein einziges Motiv heraussuchen, in dem die jüngste Schaffensphase Pablo Larraíns sich kondensiert, wäre es wahrscheinlich das der Dusche: Ganz konzise zeigt sich in den letzten drei Filmen sein jeweiliges Interesse an den Storys dort, wo seine drei weiblichen Hauptfiguren das Nass über sich fließen lassen: Jackie (2017) wusch sich unter der Dusche das frische Blut ihres ermordeten Ehemanns John F. Kennedy vom Leib, so als ließe sich die traumatische Erinnerung einfach wegspülen, weil die Oberfläche für den Auftritt wieder glatt und sauber sein muss. Hinter den Mühen, den Schein zu wahren, lässt Natalie Portman dann auch immer den innerlichen Zusammenbruch durchblicken. Ema (2019) schoss per Feuerwehrschlauch eine Wasserfontäne in die Lüfte: ein löschender Regen, nachdem sie (männliche) Zwänge mit dem Flammenwerfer abgebrannt hat, eine Ahnung, dass das, was nach unbewusstem Kontrollverlust aussah, immer schon zielführende Selbstbestimmung war. In Spencer sehen wir Diana nur kurz einmal in der Dusche, dafür ist das Bild umso deutlicher: Von allen Seiten treffen die Strahlen auf die zusammengekauerte Princess of Wales im pompös gestalteten Bad. Goldene Rohre schließen den dünnen Kristen-Stewart-Körper samt blonder Perücke mit geometrischer Strenge wie in einem Käfig ein.

Ad nauseam

Mit dem goldenen Käfig hält Pablo Larraín nicht lange hinterm Berg. Ständig eilt Diana über die langen Gängen der Weihnachtsresidenz Sandringham zur Toilette, um sich über die Kloschüssel zu hängen und das Essen des königlichen Gourmetkochs (Sean Harris) wieder auszukotzen. Das wird zum selbstreflexiven Bild, weil Larraín uns in Spencer diese Enge in der Weite selbst bis zum Erbrechen vorführt. Diana ist von Anfang an der wirbelnde Gegenpart zum eng durchgetakteten Royal-Leben. Die Anfangsszene macht das unmissverständlich klar: Erst eine strenge Choreografie von Bediensteten, die den pompösen Landsitz für die Ankunft der königlichen Familie bereit machen, dann Diana in ihrem Porsche Cabrio, die über die Landstraßen Englands pest und in einem Café nach dem Weg fragen muss. Hier die Anlieferung des Essens durch das britische Militär in Munitionskisten, bevor auch die Kochkolonne anrücken kann, dort die etwas verwirrten Gäste beim Tee am Mittag. Irgendwann werden Diana die Gardinen zugenäht, damit bloß keine Yellow Press die neusten Teleobjektive ausprobieren darf. Kamerafrau Claire Mathon übersetzt das exakt in ihre Arbeit: Die riesigen Interieurs sind wie die weitläufigen Ländereien draußen leicht vernebelt, immer ein bisschen undurchsichtig. Aufgelöst wird dieses Anwesen dann oft mit einer strengen Symmetrie in den Einstellungen, wogegen der Prinzessin beim Wuseln durch das Schloss eine Handkamera auf den Fersen ist. Und auch Johnny Greenwoods Score wechselt passend zwischen breiteren Sounds und etwas verspielteren Jazz-Motiven hin und her.

Verhärtete Monarchie, …

Wie bei Jackie darf man bei Spencer kein Biopic erwarten. Larraín hat ein konkreteres Interesse an seinem Stoff und deswegen auch keine Angst, seine Diana zur Hauptfigur eines Kammerspiels zu machen, das nur auf ein paar Tage ihres Lebens zur Weihnachtszeit 1991 blickt. In diesem Setting baut sich Spencer als eine Art Paranoia-Film aus Dianas Perspektive auf, die in der Gemeinschaft aus Bediensteten und der königlichen Familie eine verschworene Gruppe erkennt. In der Küche hängt die Aufschrift: „Keep noise to a minimum: they can hear you“, und tatsächlich kriegt hier jeder jeden Fauxpas der Princess of Wales mit, allen voran der disziplinierte Ordnungshüter Alistair Gregory (Timothy Spall): und sei es nur, dass die Vorhänge beim Umziehen nicht zugezogen waren, das Kleid für den 1. Weihnachtstag mit dem Kleid für den 2. Weihnachtstag vertauscht wurde oder sie nachts doch nochmal den Kühlraum plündert.

Das Interessanteste an Spencer ist aber, wie die Verschwörungsmotive langsam, aber sicher ins Leere laufen. Auch wenn die verachtenden Blicke von Charles und der Queen am Esstisch, die Anwesenheit Camillas beim Weihnachtsgottesdienst oder die allgegenwärtigen Diener und Kammerzofen mit ihren prüfenden Blicken und Vorgaben schwerer wiegen als jeder Schmuck an Dianas Körper: Am unheimlichsten ist die Art und Weise, mit welcher Bewusstheit dieses royale Schauspiel veranstaltet wird. Pablo Larraín interessiert sich bei aller Paranoia nicht unbedingt für eine immer mehr in den Wahn abdriftende Psyche, wohl aber für die Unheimlichkeit der parlamentarischen Monarchie Großbritanniens. Im Fernseher läuft noch die Weihnachtsansprache der Queen, wo etwas vom ‚Sieg der westlichen Freiheit‘ gegenüber der frisch zusammengebrochenen Sowjetunion gefaselt wird. Nur eine Szene später wird sie gegenüber Diana zugeben, dass sie mehr Mittel zum Zweck als Staatsoberhaupt ist. Und auch Gregory offenbart Diana seine Sympathien, sein Verständnis für ihre Frustration, doch genau wie alle anderen hier hat auch er einen Eid geschworen, an den es sich zu halten gilt. „Die Fabel einer wahren Tragödie“ nennt sich Spencer schon im Vorspann, und die ist eben nicht nur der Limbo zwischen profaner und royaler Welt, in den Diana mit ihrer Ehe zu Prince Charles katapultiert wurde, sondern die zum Selbstzweck verhärtete Institution der Monarchie Großbritanniens, die sie aus nächster Nähe betrachten muss.

… verhärtete Filmografie?

Bei allem spezifischen Interesse ist Diana dann aber doch eine Figur wie für Pablo Larraín gemacht. Mit Jackie teilt sie sich jenen Zwang zur eigenen Inszenierung in der Öffentlichkeit, als Maske für die Qual, mit Ema die Popkultur als Werkzeug zur Selbstbestimmung. Am Ende wird sie einmal kurz mit ihren beiden Kindern einen Ausbruch wagen: Ab zum KFC, ausgerüstet mit Levis-Jacke, Porsche, Mike and the Mechanics’ Song All I Need Is a Miracle– nur um dann doch wieder enttäuscht dazustehen, weil so ein kurzer Ausbruch die Totalität des Käfigs bestätigt. Vorher sagt sie einmal, dass im königlichen Leben Vergangenheit und Gegenwart zusammenfielen und die Zukunft überhaupt nicht mehr existiere. Und das scheint auch für Pablo Larraín zu gelten, der einen eindrücklichen, aber dann doch wenig überraschenden Abschluss für eine Art Trilogie um weibliche Hauptfiguren und die Auswirkungen der Institution Ehe abgeschlossen hat. Jackie und Ema finden ihre Synthese in Diana, das Neue gibt es bei Larraín nur im Alten.

Der Film steht bis 30.09.2024 in der ARD-Mediathek.

Neue Kritiken

Trailer zu „Spencer“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.