Somersault – Wie Parfum in der Luft – Kritik

Auf der Suche nach festem Boden unter den Füßen verstrickt sich das junge Mädchen Heidi in einer Reihe von Bettgeschichten. Mal als Unschuldsengel, mal als Luder lässt die Regisseurin ihre Protagonistin in stimmungsvollen Bildern der australischen Bergwelt ihren Weg suchen.

Somersault – Wie Parfum in der Luft

Schneeflocken und Wollhandschuhe sind eigentümlich in einem australischen Film. Gewöhnlich dominieren dort die heiß-staubige Wüste, der sumpfige Busch oder mit Hochhäusern umsäumte Strandorte, jene Landschaften, die man aus Reisekatalogen und der Handvoll hierzulande bekannter Filme wie Crocodile Dundee (Peter Fairman, 1986), Priscilla – Königin der Wüste (The Adventures of Priscilla, Queen of the Desert, Stephan Elliot, 1994), Muriels Hochzeit (Muriels Wedding, 1994, P.J. Hogan) oder Holy Smoke (Jane Campion, 1999) kennt. Alternative Filmeindrücke aus Australien sind bei uns ohnehin schwer im Kino zu finden. Umso mehr hat Cate Shortlands Spielfilmdebüt Somersault, in dem es tatsächlich schneit, die Aufmerksamkeit erregt, als es letztes Jahr den Sprung von „down under“ nach Cannes in die Reihe Un Certain Regard schaffte und später alle dreizehn Filmpreise, die das Australian Film Institute zu vergeben hat, gewann. Nun kommt der Film in Deutschland in die Kinos und räumt zumindest mit den klimatischen Klischees auf.

Fast wie einen Kinderfilm läutet Shortland die Geschichte der sechzehnjährigen Heidi (Abbie Cornish) ein. Musik aus einer Spieluhr ertönt, der Vorspann zeichnet sich in zarter Schreibschrift über die Bilder eines nebligen Waldstückchens durch den die Kamera mit einem kindhaft umtriebigen Blick streift bis sie auf Heidi trifft, einem wunderschönen blonden Mädchen, das hinter einem heruntergekommenen Haus Wäsche abhängt. Die harmonischen, unschuldigen Bilder und Töne des Filmbeginns halten jedoch nicht lange vor. Ein begehrender Blick, den der Freund von Heidis Mutter wenig später durch den Rückspiegel seines Autos auf das Mädchen wirft, wird zum Leitmotiv des Filmes und verwandelt die kindliche Schönheit in eine sexuelle Attraktion.

Somersault – Wie Parfum in der Luft

Der Liebhaber der Mutter erliegt den Reizen der jungen Tochter. Nachdem sie zusammen im Bett erwischt werden, flieht Heidi und landet im Wintersportort Jindabyne am Fuß der Snowy Mountains südlich von Canberra. Während sie nach Job und Unterkunft sucht, streunt sie durch die Bars der Stadt und lädt Männer, die ihren Weg kreuzen, egal welchen Alters, durch Blickkontakt und Berührungen dazu ein, sich sexuell auf sie einzulassen, bis sie sich in den Farmersohn Joe (Sam Worthington) verliebt, für den sie zunächst trotz seiner wachsenden Zuneigung nichts weiter als eine Bettgeschichte zu sein scheint. Auf ihrer Suche nach Liebe und Anerkennung lässt sie sich anfassen wie eine Frau, um nicht allein zu sein, wie sie es als Kind wäre. Doch dabei bleibt sie bloß Sexobjekt.

Verzauberung ist schließlich nur zu finden, wenn Heidi allein durch die spektakuläre Seen- und Berglandschaft um Jindabyne spazieren geht. Glitzernde Schneeflocken, Variationen des Spieluhrmusikthemas, der Blick durch eine rosarote Skibrille und kindliches Herumtollen geben der engelsgelockten Heidi die Unschuld eines alpenhaften Wintermärchens zurück, die sie in den Bars und Betten des Ortes verloren hat.

Mit dieser Mischung aus Reinheit und Verruchtheit erinnert Somersault an die Reihe der rätselhaften, verstörenden Mädchenfilmfiguren, die viel zu zeitig freiwillig die Sexualität einer erwachsenen Frau leben. Lolita (Stanley Kubrick, 1962) lässt sich schon als Zwölfjährige auf ihren reifen Verführer ein und Suzanne in Maurice Pialats Auf das, was wir lieben (À nos amours, 1983) ist nur glücklich, wenn sie mit Männern schläft, weil sie dann das gefühlskalte Elternhaus vergisst. Für Lux in Sofia Coppolas The Virgin Suicides (1999) bedeutet Sex nach dem Scheitern des romantischen Ideals von Liebe gar überhaupt nichts mehr. Auch Heidi schockiert ähnlich mit ihrer frühen Geschlechtsreife und findet dabei nur einen schlechten Ersatz für die Nähe, die sie anderswo vermisst.

Somersault – Wie Parfum in der Luft

Im Gegensatz zu den hellen Sommerbildern dieser verwandten Filme, präsentiert Kameramann Robert Humphreys die Schauplätze von Heidis Flucht vorwiegend grau in grau. Ihm gelingt es, durch diese Farbreduktion, atemberaubende Landschaftsaufnahmen mit feinen Farbschattierungen sowie eindringlichen Großaufnahmen und Blickinszenierungen ein packendes Stimmungsbild zu zeichnen, das den eindimensional gehaltenen Figuren die nötige Faszination verleiht. Denn fehlende Vorgeschichten und abwesende Erklärungen belassen Gefühle und Motivationen im Dunkeln. Nur das Äußere gibt Hinweise auf die Innenwelt, die in der Dramaturgie der Atmosphäre ihre Entsprechung findet.

So wie Heidi auf dem schmalen Grat zwischen Kindsein und Frausein wandelt, balanciert auch Somersault zwischen den Polen von Belanglosigkeit und Magie. Die Absenz von Erklärungen stellt Somersault einerseits als nur skizzenhaft angerissene Geschichte vor, andererseits erscheint die Verlagerung der Psyche auf die Ästhetik der Bilder gerade geheimnisvoll. Was die Story und die Figuren zu wenig an Tiefe haben, das machen die beeindruckende Leinwandpräsenz der kühlen Schönheit Abbie Cornish und die auratische Fotografie Humphreys wieder wett. Somersault heißt auf Deutsch Purzelbaum oder Salto. Cate Shortland liefert einen ersten Spielfilm ab, bei dem man irgendwie unschlüssig bleibt, ob es sich dabei noch um Bodenturnen oder bereits um Akrobatie handelt.

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