Tanta Agua – Nichts als Regen – Kritik

Des Papas Freud, der Tochter Leid. Und andersherum. Coming-of-Age in einem uruguayischen Badeparadies.

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Und dann regnet’s. Dabei war die Idee doch so nett. Zumindest fand Papa sie schön. Ein Kurzurlaub mit den beiden Kids, die den Großteil ihrer Zeit bei ihrer Mutter verbringen. Eine Ferienanlage am Meer, in der „Hauptstadt des Quellwassers“, mit organisierten Freizeitaktivitäten, gutem Essen und viel Spaß zu dritt. Lucía wächst zwar langsam raus aus der Kindheit, und auch der deutlich jüngere Fede kann sich schon Cooleres vorstellen, als mit Vatern Karten zu zocken. Aber trotzdem: Swimming Pool, Softeis, Urlaub, dem kann doch kein Kind widerstehen. Und dann regnet’s.

Tanta Agua, so viel Wasser. Ganze Flüsse kommen vom Himmel, und irgendwie muss man sich halt arrangieren. Zunächst noch versucht Vater Alberto (Néstor Guzzini) die Flucht nach vorn: Schließlich ist nichts so witzig und verrückt, wie im Regen zu baden. Doch die Kids winken ab. Es braucht einige ähnliche Szenen, bis es Alberto dämmert, dass auch ohne Regen der Familienurlaub nicht so paradiesisch geworden wäre wie ersehnt. Jene dankbare Wärme, die er sich von seinen Kindern wünscht, die hat nicht das hartnäckige schlechte Wetter geschluckt, sondern die ebenso unnachgiebige Zeit. Alberto ist Erziehungs„berechtigter“ in einem Coming-of-Age-Film. Damit, nicht mit dem Regen, muss er sich arrangieren.

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Schon das ist manchmal herzzerreißend. Denn Alberto ist eigentlich ein lustiger, liebevoller Papa, wie man ihn sich nur wünschen kann, hat die fiese Interesselosigkeit seiner Kinder nicht verdient. Aber obwohl die beiden uruguayischen Regisseurinnen Ana Guevara und Leticia Jorge ihren ersten Langfilm den Vätern gewidmet haben, ist das Herz von Tanta Agua nun einmal Lucía, umwerfend gespielt von Malú Chouza: Die Zahnspange als obligatorischer Marker frühpubertären Eingeschlossenseins darf zwar nicht fehlen, ansonsten ist es aber Chouzas gelungenes Changieren zwischen Kindlichkeit und Teenagerallüren, das uns ein Gefühl für jene Phase vermittelt, in der das Leben zur nervenaufreibenden Verhandlungssache wird. Lucía tippt auf ihrem Handy, wechselt verstohlene Blicke mit dem Jungen am Nachbarstisch, reagiert auf die väterlichen Fragen stets einsilbig. Draußen regnet’s.

Aber was ist angesichts von pubertärem Weltschmerz schon das bisschen Wasser? Aus Perspektive der beiden Kinder ist das schlechte Wetter nicht der Strich durch die Rechnung eines schönen Urlaubs, sondern die Normalität des Ausgeliefertseins an höhere Mächte: Wetter, Eltern, Regeln. Nur dass Lucía eben in jenes Alter eintritt, in dem diese Mächte ihren Zauber verlieren, die Normalität ihre Risse bekommt. Erkennen, dass sich das Eigene nicht im Elterlichen spiegelt, sondern gegen es aufbegehren will. Und siehe da: Als es endlich einmal nicht mehr regnet, da geht nicht Papas Traum von trauter Dreisamkeit in Erfüllung, sondern es tut sich der Himmel jugendlicher Möglichkeiten auf. Der deutlich jüngere Fede wird von einem Nachbarskind zum Spielen eingeladen, und auch Lucía lernt bald eine Gleichaltrige kennen: Man raucht gemeinsam, plant einen Abend in der Disco.

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Trotz altbekannter Motive hebt sich Tanta Agua ab vom „klassischen“ Coming-of-Age-Film. Denn auch wenn Guevara und Jorge vor allem im letzten Teil die für das Genre so typischen Situationen durchspielen, ist ihre Annäherung ans Erwachsenwerden nicht eine dramaturgisch verstärkte Aufzählung erstmaliger Ereignisse. Überhaupt wird angenehm wenig erzählt. So verzichten die beiden auf die üblichen Hintergründe, die uns Zuschauern so gern zugeschustert werden, weil Figurentiefe mit Infomaterial verwechselt wird. Keine Ahnung, wie das Verhältnis zwischen Vater und Kindern sonst so ist, was eigentlich die Mutter so für eine Frau ist und wie diese Familie früher mal so war. Es reicht die präzise Beobachtung einiger Tage, um Alberto, Lucía und Fede leben zu lassen.

Doch zurück zum Coming-of-Age: Wo nun also ähnlich gelagerte Filme keine Plotkosten und Dialogmühen scheuen, um ihren jungen Helden erste Lieben, erste Konflikte, erste Enttäuschungen frei Haus zu liefern, nähern sich die beiden Uruguayerinnen der beginnenden Pubertät eher über die gelungene Beschwörung einer diffusen Stimmung. Coming-of-Age, das heißt eben auch, unter Papas Aufsicht mit dem kleinen Bruder Scrabble spielen zu müssen, während draußen das Leben tobt. Das im Setting schlummernde komische Potenzial befriedigen sie nicht durch Pointen, das tragische nicht durch falsche Melodramatik. Man lacht mehr in sich hinein als laut auf, man lächelt eher mitfühlend, als wirklich ergriffen zu sein. Und das ist ganz wunderbar so. Es ist schließlich auch nur Wasser.

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„Bald wird sich’s aufklären“, verspricht Alberto seiner Ex-Frau noch zu Beginn. Er meint das Wetter, der Film vielleicht auch das nervige Erwachsenwerden. Wir begleiten Lucía nicht durch die Pubertät, gerade mal durch eine erste Ahnung davon, und können ihr, bevor ihr Gesicht von der Leinwand verschwindet, nicht mehr auf den Weg geben als das: Es wird sich aufklären. Irgendwann. Und dann regnet’s nicht mehr.

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