Madame Sidonie in Japan – Kritik

Eher widerwillig geht die Schriftstellerin Sidonie nach Japan. In Élise Girards Film tastet sich eine wie immer grandiose Isabelle Huppert durch eine Lesereise, in der sie bald zwischen ihrem japanischen Verleger und dem Geist ihres verstorbenen Ehemannes steht.

Sidonie Perceval ist eine Schriftstellerin, die seit dem plötzlichen Tod ihres Mannes August die Inspiration verloren hat. Anlässlich einer japanischen Neuauflage ihres Erstlingswerks reist sie nicht ohne Widerwillen nach Japan. Für sie ein fremdes Land – mit erstaunlichen Sitten. Darauf, dass ihr im Land des Shintoismus und der Geister dabei ein reinigendes Abenteuer bevorsteht, weist schon ihr aus der Artusepik entnommener Nachname hin.

Geister im Culture Clash

Gleich am Flughafen spielen sich die ersten Culture-Clash-Szenen von Élise Girards Sidonie in Japan ab: Sie gibt die Hand, ihr einsilbiger Verleger Kenzo Mizoguchi (ein weitgehend mimikfreier Tsuyoshi Ihara) verbeugt sich. Er besteht darauf, ihre Tasche zu tragen, sie will die lieber behalten. Diese Einfachheit entbehrt nicht einem gewissen Charme, sät aber doch Zweifel, ob man diesen Film nicht schon gesehen hat. Und wie oft.

Zumeist reisen Sidonie und Kenzo von da an schweigsam auf Lesetour durch Osaka, Kyoto und weitere Städte. Sie eint ein Schicksal: Beide sind einsam, beide haben sie geliebte Menschen verloren, und beide haben eine Verbindung zu einer spirituellen Welt.

Diese Welt holt Sidonie ein, als ihr der verstorbene Ehemann (August Diehl in graubeigen Sechziger-Jahre-Anzügen) als Geist erscheint. Wie eine überbelichtete Fotokopie schleicht er sich in den Film, ein harter Kontrast gegenüber der A24-artig glühenden Fotografie, mangelhaft ausgeschnitten, traurig und sehnsüchtig. Eine bildliche Lösung wie in einer Folge von David Lynchs Twin Peaks, die so gewöhnungsbedürftig ist wie der Culture Clash erwartbar. Eine interessante Störung, also, und die ist herzlich willkommen in einem Film, dessen Melancholie droht, in Trägheit zu kippen, dessen Witz wenig überraschend ist.

Nichts und Stille

Ob Isabelle Huppert die Figur der Sidonie ideal ausfüllt oder überhaupt erst erschafft, bleibt offen. Aber die von Tristesse befallene, resolute französische Schriftstellerin spielt Huppert freilich so natürlich und mühelos, dass kein Zweifel an der Einheit von Figur und Schauspielerin aufkommt. Die Sehnsucht nach ihrem Mann und der Schmerz über die eigene Entwurzelung entfremdet sie von ihrer Umwelt. Und doch weiß Sidonie, was sie will.

Und das ist über den Verlauf des Films zusehends ihr Verleger Kenzo. In dem ins Japanisch hinein gebrochen Französisch sprechenden Mann kristallisiert sich ein Moment des Trostes. Da, wo er versteht, fühlt sich Sidonie gesehen. Er zeigt ihr die japanische Kultur, erzählt von seiner Familie, die Hiroshima überlebt hat.

Das hat durchaus wenigstens sinnlich anrührende Momente zur Folge und auch einzelne mit spürbarer Substanz: Etwa wenn die beiden vor zwei Grabsteinen stehen, deren Aufschrift Kenzo mit „Nichts“ und „Stille“ übersetzt. Das lädt dazu ein, Zeugnisse japanischer Spiritualität einer westlichen Form des Trauerns gegenüberzustellen.

Sanfter Witz

Darüber hinaus bleibt die anderthalbstündige Reise Sidonies durch Japan leider oftmals zu holzschnittartig, die quasiparanormale Dreiecksbeziehung zwischen seiner Protagonistin und den beiden so unterschiedlichen Männern zu generisch. Ist das filmische Gefühlslosigkeit als Stilmittel, um die Entfremdung der Figuren zu spiegeln? Das leuchtet nur bedingt ein, wo sich Sidonie in Japan immer wieder alle Mühe gibt, die Lebensmüdigkeit der drei mit sanftem Witz zu konterkarieren. Wenn Ehemann Antoine seine Witwe in der Badewanne erschreckt oder Sidonie schließlich ihre Handtasche absichtlich bei ihrem Verleger vergisst, dann ist das eher allzu Menschliches als allumfassende Entfremdung.

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