Showing Up – Kritik
Michelle Williams bastelt so geduldig an ihren Skulpturen wie Kelly Reichardt an ihrem Film über Kunst als niemals endenden Prozess inmitten der Verunsicherungen des Lebens. Showing Up ist sanftes Kino, das sich großzügig um seine Figuren kümmert.

Kunst kommt von Können, so rauscht es seit Jahrhunderten durch den Kultur- und Kunstdiskurs. Auch wenn sich solche eher beschränkten denn geflügelten Sprichwörter getrost beiseiteschieben lassen, bleibt die Frage, was Kunst eigentlich ist. Die Antwort muss zwangsläufig unvollständig bleiben, denn würde man ganz und gar darüber Bescheid wissen, dann bräuchte man die Arbeit an der Kunst nicht fortzusetzen. Man müsste weg von der Bedeutung hin zum Objekt, die Interpretation erst einmal weglassen und zu den Dingen hingehen. Dann landet man bei Michelle Williams in Portland, Oregon.
Katze, Taube, Ausstellung

Williams spielt Lizzie, Skulptur-Künstlerin und Assistentin ihrer Mutter (Maryann Plunkett) in der Verwaltung einer Kunsthochschule in Oregon, die sie selbst einmal besucht hat. Ihre Nachbarin und Vermieterin Jo (Hong Chau) ist ebenfalls Künstlerin und lebt in lockerer Konkurrenz und Freundschaft zu Lizzie. Beide bereiten sich im Verlaufe des Films auf für sie wichtige Ausstellungen vor. Lizzie hat eine Katze, die eines Nachts eine Taube verletzt, um die sich Lizzie bis zum Tag ihrer Ausstellung kümmert.
Kelly Reichardts jüngster Film Showing Up spielt also in Portland, einer mittelgroßen amerikanischen Stadt, die eine große Kunst- und Kulturszene besitzt, aber hier dennoch als Ort gezeigt wird, in dem Kunst in der Nachbarschaft stattfindet. Ein nicht-großstädtisches Kunstmilieu, in dem man einander unterstützt und zu den Ausstellungen der anderen erscheint. New York taucht nur als Besucherin am Rande auf. Es sehe nicht nach viel aus, sagt Lizzies Vater über ihren Ausstellungsort, aber hier werde viel gemacht.
Showing Up ist ein Film, der sich für das Materielle und Praktische der künstlerischen Arbeit interessiert. In langen Einstellungen beobachtet Reichardt sehr genau und behutsam, wie Lizzie ihre kleinen Skulpturen formt und bemalt. Dieser Produktionsprozess bzw. die Erkenntnis, dass Kunst überhaupt produziert wird, steht hier erst einmal über der Bedeutung. Im Verlaufe des Films wird Lizzie eine Skulptur halbseitig verbrannt aus dem Ofen zurückbekommen, was für sie ein mittelgroßes Problem zu sein scheint, immerhin reicht es noch dafür, sie auszustellen. Dieses Interesse am Rohmaterial der Kunst und seiner Formbarkeit wird glücklicherweise nicht zur Metapher für Lizzies Leben und Arbeit. Eher wird die Kunst dadurch formbar, beweglich, bis zum Eintauchen in den Brennofen, der ein Material schließlich zum Ausstellungsobjekt macht.
Die zarte Dunkelheit der Verunsicherung

Zugleich schaut Reichardt sich Lizzies Leben und ihre Umwelt an. Anders als die vielen jungen Kunststudent*innen, die der Film immer wieder am Rande im Bild auftauchen lässt, kann Lizzie nicht einfach frei und unbeschwert an ihrer Kunst arbeiten. Ihre Studienzeit und Jugend sind vorüber, die künstlerische Arbeit ist zu ihrem Beruf geworden, den sie durch ihre Arbeit in der Verwaltung absichert (bisweilen fühlt es sich ein wenig so an, als sei Jen aus Dawson’s Creek erwachsen geworden). Auch wenn sie dabei ökonomisch keine riesigen Schwierigkeiten zu haben scheint, spürt sie, dass Kunst für sie nun sehr konkrete Arbeit ist und sie nur am Rand sitzen kann, wenn der Kurs „Thinking in Movement“ auf der Wiese die Gedanken schweifen lassen. Aus ihr spricht keine Frustration, sondern ein Wissen über den Zustand des eigenen Lebens und den Versuch, damit umzugehen – wenn das heiße Wasser in der eigenen Wohnung nicht funktioniert, sich die Vermieterin nicht darum kümmert, wenn die Taube nicht mehr richtig atmet und gestresst ist oder die eigene Familie mal wieder ihre ganz eigenen Probleme auf Lizzie überträgt.
Als Lizzie in Jos Ausstellung steht und deren eher abstrakten Multimedia-Arbeiten anschaut, lässt Michelle Williams uns durch Gesicht und Körperhaltung tief in ihre Figur hineinschauen und eine nicht zu bezwingende Unsicherheit erkennen. Während es draußen stets lichtdurchflutet und hell ist, herrscht in Lizzies Haus und ihrem Atelier eine zarte Dunkelheit. Lizzie führt ein Künstlerinnenleben, kann von ihrer Arbeit leben und wird von Menschen in ihrem Umfeld unterstützt. Und doch treiben sie Zweifel um: nicht gut genug zu sein, nicht genug bei sich selbst und der eigenen Arbeit bleiben zu können. Reichardt markiert dieses Gefühl der Verunsicherung trotz dem Wissen um die eigenen Fähigkeiten wie schon in Certain Women (2016) als allgemeingültige, aber auch spezifisch weibliche Erfahrung.
Das Kümmern kommt dazwischen

Trotz ihrer harten Schale zeigt Showing Up diese Lizzy als einen Menschen, der sich trotz äußerem Widerwillen immer um alles kümmert: um die Familie, die Taube oder ihre Bürokolleginnen. Anstatt sich in Ruhe mit ihren Skulpturen beschäftigen zu können, kommt ihr immer wieder etwas dazwischen. Hoffnungslos ist der Film aber auch in dieser Hinsicht nicht, weil er dieses Umeinander-Kümmern nicht generell als Hindernis für die Kunst in den Blick nimmt, sondern als ein Hindernis, mit dem vor allem Frauen zu kämpfen haben. Der feministische Gehalt von Reichardts Film liegt genau darin: Nicht das Kümmern ist das Problem, sondern wem es zugeschrieben wird. Wir müssen uns nicht weniger kümmern, sondern mehr.
So kümmert sich auch der Rhythmus des Films um seine Figuren. Die Kamera bewegt sich nur langsam, sie bleibt bei Gesprächen oder einfach nur arbeitenden Menschen stehen, immer daran interessiert, was sich in diesem Moment entfaltet. Der Film montiert diese Bilder ruhig aneinander, schwankt immer wieder zwischen neugieriger Beobachtung und assoziativem Abschweifen. Das Leben imitiert nicht die Kunst und die Kunst nicht das Leben, sondern beide fließen in- und nebeneinanderher.
Film für die Unsicheren
Kunst entsteht in einem Umfeld und in einer Gesellschaft, von der die Künstlerin immer schon beeinflusst ist, aber sie lässt keine unmittelbaren Rückschlüsse auf eine Biografie zu. Lizzie macht keine Kunst, um mit ihrem chaotischen Umfeld zurechtzukommen, sondern sie macht sie inmitten dieses Umfelds. Und weil Kelly Reichardt eine sehr kluge Filmemacherin ist, begreift Showing Up künstlerische Arbeit als einen nie endenden Prozess des Suchens nach der eigenen Sprache, nach der Veräußerung dessen, was in einem selbst steckt. Das ist sanftes Kino im allerschönsten Sinne, weil es mit seiner Liebe für Kunst und Figuren großzügig ist, weil es die Freundlichkeit, die Lizzie von den Menschen um sich herum erfährt, ernstmeint und weil es ein Film für die Unsicheren ist, die nicht wissen, ob sie und ihre Arbeit gut genug sind oder ob die einzige richtige Freundin nicht doch ein Stück besser ist als man selbst. Kunst kommt nicht von Können, sondern vom Machen, vom Kümmern und Fühlen, also ja, dann doch vom Leben selbst.
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