Shirley – Kritik

Zwei wohlhabende Literaten laden ein junges Paar ein, bei ihnen zu wohnen, und saugen ihnen nach und nach Energie und Liebe ab. In Shirley hilft Josephine Decker einer Horrorbuch-Autorin über eine Schreibblockade hinweg.

Rose (Odessa Young) ist enttäuscht: Auf der Bahnfahrt in ihr neues Leben war sie noch zutiefst beeindruckt von der Kurzgeschichte The Lottery, doch nun will sie sich der Autorin dieses Textes vorstellen und wird eiskalt abserviert: „Betty, Debby, Kathy. Ihr seid alle gleich für mich“, sagt ihr die Literatur-Diva ins Gesicht. Das kann ja heiter werden – schließlich sollen Rose und ihr Mann Fred (Logan Lerman) eine Weile bei der Horror-Autorin Shirley Jackson (Elisabeth Moss) und ihrem Gatten, dem Literatur-Professor Stanley Hyman (Michael Stuhlbarg), wohnen.

Stanley hat den ehrgeizigen Fred als wissenschaftlichen Mitarbeiter eingestellt. Leider ist gerade die Haushälterin abgehauen, und so bittet Stanley die schwangere Rose, das bisschen Haushalt zu übernehmen und vielleicht noch ein Auge auf die schwer depressive, von einer Angststörung ans Haus gefesselte Shirley zu werfen. Also schrubbt Rose fortan Pfannen, erträgt die ständigen verbalen Erniedrigungen durch Shirley und begehrt auch dann nicht auf, als Fred immer häufiger spät nachts von der Shakespeare Society nach Hause kommt, aber mehr nach Alkohol und Frauenparfüm riecht als nach alten Büchern. Ein bisschen Demütigung muss man schon über sich ergehen lassen, wenn es was werden soll mit dem sozialen Aufstieg im Amerika der frühen 1960er Jahre.

Angst, Hysterie und Halluzinationen

Ob in Butter on the Latch, Thou Wast Mild and Lovely, Madeline’s Madeline oder jetzt in Shirley: Stets stehen in Josephine Deckers Kino psychisch labile Frauenfiguren im Mittelpunkt, deren Störungen oft eine sexuelle oder gewalttätige Komponente haben. „Das wäre was für Freud“, meint Shirley einmal selbst.

Decker übersetzt Angst, Hysterie und Halluzinationen oft in wacklige Nahaufnahmen mit Unschärfen am Bildrand. Damit engt sie das Gesichtsfeld der Kamera ein und fokussiert zusätzlich noch die Aufmerksamkeit des Zuschauers ganz auf das Bildzentrum. Was links oder rechts, vorne oder hinten passiert, spielt keine Rolle während einer Angsterfahrung. Alle Energie ist auf die Fight-or-Flight-Reaktion gerichtet, beide Alternativen sorgen für einen instabilen, hektischen Blick. Zu dieser filmischen Rekonstruktion physiologischer Vorgänge kommen meist noch nervöse Klavier- oder Geigenklänge hinzu. Im Zusammenspiel erzeugt das mitunter eine enorme Intensität, auch wenn Decker hier nie den Pegel von Madeline’s Madeline erreicht und auch nie so tief ins Horror-Genre vordringt wie in Butter on the Latch.

Opfer für die Kunst

Shirley verstört eher mit dem scheinbar konträren, tatsächlich aber komplementären Verhalten der beiden Gastgeber: Während Shirley offen feindselig und sadistisch auftritt, kaschiert Stanley seine Rücksichtslosigkeit hinter einer Fassade aus Jovialität und vornehmer Rhetorik. Dass die Darsteller von Fred und Rose gegenüber diesem diabolischen Duo blass bleiben, mag durchaus intendiert sein, überrascht aber etwas, schließlich hatten Decker und ihre Drehbuchautorinnen Sarah Gubbins und Susan Scarf Merrell bei der Zeichnung dieser beiden Figuren freie Hand, während die Darstellung von Shirley Jackson und Stanley Hyman zu großen Teilen auf dem Leben der realen Personen beruht.

Spannend ist, wie sich die Beziehungen der Figuren zueinander im Laufe des Films wandeln. Aus einer liebevollen Ehe wird Verachtung, eine Männerfreundschaft entwickelt sich zu einer Männerfeindschaft, und aus einer Frauenfeindschaft erwächst eine erotisch aufgeladene, parasitäre Symbiose: Shirley erwacht unter der Fürsorge von Rose zu neuem Leben und vollendet einen Roman über eine ermordete Studentin. Das Mädchen bleibt nicht das einzige Opfer, das dieser literarische Triumph fordert.

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