She Came to Me – Kritik
Berlinale 2023 – Eröffnungsfilm: Selbstbewusste Schablonenhaftigkeit. Rebecca Millers Erzählmaschine She Came to Me muss erstmal ihre Bauteile finden, bevor es läuft wie geschmiert und in Brooklyn ein paar interessante Gedanken produziert werden können.

Es sollte einen Begriff geben für solche Filme, die seit circa 25 Jahren von den Irrungen und Wirrungen im New Yorker Leben junger bis mittelalter Erwachsener, gerne mit viel kulturellem Kapital, erzählen. Brooklyn Coming-of-Middle-Age wäre ein Vorschlag, den Rebecca Miller mit ihrem letzten Spielfilm Maggie’s Plan (2016) schon bedient hat. Ihr neuer denkt hingegen offener über sein ‚Genre‘ nach: She Came to Me ist eine Selbstreflexion geworden, die das Wissen um ihre Zugehörigkeit immer mit auf die Leinwand bringt. In der gewollten Schablonenhaftigkeit der Figuren liegt das Bewusstsein über eine gewisse Abnutzung in der Annäherung an all die vergeistigten Künstler, wackelnden Beziehungen und vergessenen Lebensträume, die hier zu finden sind.
Zwischen Operette und Psychogramm
Steven Lauddem (Peter Dinklage) ist jedenfalls eine typische Figur aus diesem Filmkosmos: ein verzweifelter Opernkomponist, der sich unter Auftragsdruck gerne mal hinter der nächsten Zimmerpflanze vorm Intendanten versteckt. Als die sexsüchtige Schlepperkapitänin und Stalkerin Katrina (Marisa Tomei) auf ihn anspringt, ist das nächste Stück aber im Nu geschrieben. Geheiratet hat Steven seine Therapeutin Patricia (Anne Hathaway), die sich nur allzu gerne um ihren Mann kümmert, nebenbei eine eigene Keimneurose entwickelt hat und sich ansonsten von ihrem Patienten anhört, wie gern er sie sich nackt vorstellt. Eher ungewohnt im filmischen Universum Brooklyns hingegen ist Magdalena (Joana Kulig): Als Einwanderin muss sie sich ohne sicheren Aufenthaltsstatus als Patricias Putzfrau verdingen (wenn die sich nicht gerade hinreißen lässt, alles selbst zu machen) und sich ansonsten das Geschwafel ihres Mannes Trey (Brian d’Arcy James) anhören, der wahlweise Bürgerkrieg nachspielt oder von Law-and-order-Politik träumt. Zwischen all diesen eigentlich viel zu neurotischen Erwachsenen stehen die eigentlich viel zu vernünftigen Jugendlichen Julian (Evan Ellison) und Tereza (Harlow Jane) als frisch verliebtes Paar, die in klassischer Romeo-und-Julia-Manier zwei Welten aufeinandertreffen lassen.

Ihre Figuren spannt Miller zwischen zwei erzählerische Koordinaten: She Came to Me steht irgendwo zwischen operettenhafter Überhöhung und dem Versuch, so etwas wie ein Psychogramm seiner Charaktere darzulegen. Mal zieht er sich ein wenig zurück für die Beschreibung sozialer Realität, dann nimmt er sie sich als Material, um der Spielerei zu frönen. Es ist, als reichte Rebecca Miller ein einziger Blick in ein Soziotop namens Brooklyn, um ihr Operetten-Figurenensemble zu entwerfen, um die Realität dramatisch hochzujazzen und so von ihr erzählen zu können – so wie Steven in seinen Stücken. Einmal geht der durch die Straßen seiner Nachbarschaft und bemerkt, dass eigentlich in jedem Menschen, der da zu treffen ist, genug Stoff für ein neues Stück steckt. Am interessantesten ist She Came to Me daher dort, wo reale Neurosen selbst in die Fiktion drängen, wo Steven etwa die Rolle des pflegebedürftigen Manns für die Frau spielt, der gestreichelt und versorgt werden muss. Wo es eben nicht mehr ganz klar ist, wo die Fiktion aufhört und die Realität beginnt, und beides nur noch durch die Lupe des anderen betrachtet werden kann.
Rebeccas Plan
Und so wie Steven seine Figuren und Geschichten im echten Leben treffen muss, um sie für die Bühne zu formen, muss auch Miller dafür einiges an Vorarbeit leisten: Figuren, Handlungsstränge, Konflikte wollen entfaltet und dargelegt, beschrieben und in ihrer Funktion plausibel gemacht werden. Zahnräder bekommen ihre Position im Gefüge zugewiesen, bevor sie wirklich in Bewegung geraten und ineinandergreifen sollen. Das wirkt dann so mechanisch, wie es klingt, wenn die Stilmittel wie aus dem Werkzeugregal gegriffen werden. Bryce Dessners Score beliefert den Film dafür mit zahlreichen Feelgood- und auch ein paar Melodram-Affekten. Sam Levys Kamera behält den Breitformat-Überblick, baut auch manchmal die Intimität der 4:3-Bilder ein. Und Millers Regie verfolgt einen Masterplan, der manchmal mit betont literarischer, manchmal mit ausdrücklich visueller Erzähltechnik verfolgt wird. So ist She Came to Me von vorne bis hinten streng durchkonstruiert. Was einmal aufgemacht wurde, will auch wieder verschlossen, was verspannt wurde, auch wieder aufgelöst werden. Kaum ein Moment, der nicht schon zu Beginn immer auch seine Funktion für das Ende mit sich trägt.
A Running System
She Came to Me bewegt sich so als ein geschlossenes System fort, das sich zwar nicht ins Ungewisse hinauswagt, aber dafür doch ein paar interessante Reflexionsräume produziert. Etwa dazu, wie sich die Körperlichkeit eines Schauspielers wie Peter Dinklage mit der Erscheinung seiner Figur verbindet, wenn man die Kleinwüchsigkeit mal nicht als Gimmick behandelt (looking at you: Three Billboard Outside Ebbing, Missouri, 2017). Wie sich die spezifischen Blickverhältnisse der Psychoanalyse für das Erzählen einer Geschichte nutzbar machen lassen. Inwieweit eine Inszenierung in Brooklyn, New York das Phänomen Arbeitermilieu erhellt oder verdunkelt und dass es an diesem Ort vielleicht als notwendige, aber nicht unbedingt hinreichende Bedingung für die innere Logik einer dramatischen Figur taugt. Was soll man also sagen: Irgendwann läuft She Came to Me als Erzählmaschine dann halt auch zuverlässig und geschmeidig. Für eine Fehlkonstruktion zeigt sich Rebecca Miller als eine zu gute Handwerkerin.
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