Shanghai Blues – Kritik

Neu auf MUBI: Ein romantischer Slapstick-Wirbelsturm im präkommunistischen China: Tsui Harks meisterlicher Shanghai Blues liefert Attraktionen im Sekundentakt, ist aber gleichzeitig von melancholischen Stimmungen durchzogen.

In Mervyn LeRoys Waterloo Bridge suchen ein Mann und eine Frau in der Zeit des 2. Weltkriegs unter einer Brücke Schutz vor einem deutschen Luftangriff - sie verlieben sich ineinander und versuchen nach dem Krieg, sich wiederzufinden. In Tsui Harks Shanghai Blues suchen ein Mann und eine Frau in der Zeit des 2. Chinesisch-Japanischen Kriegs unter einer Brücke Schutz vor einem japanischen Luftangriff - sie verlieben sich ineinander und versuchen nach dem Krieg, sich wiederzufinden. Allerdings legt Tsuis Film den beiden eine zusätzliche Hürde in den Weg: Es ist in der Bombennacht so dunkel, dass sie sich gegenseitig nicht einmal sehen können! Das Sehnsuchtsbild, das Tung Kwok-Man von seiner unbekannten Lieben anfertigt, trägt folgerichtigerweise statt eines Gesichts ein Fragezeichen.

Nicht als Melodrama wie bei LeRoy, sondern als romantischer Slapstick-Wirbelwind entfaltet sich Tungs Versuch, das Fragezeichen wieder in ein Gesicht zurück zu übersetzen. Der Film spielt dabei Zufall gegen Zufall aus: Das Schicksal will, dass Tung und Shu-Shu nicht nur in dasselbe Appartementgebäude ziehen, sondern sich auch in ein Netz wechselseitiger Missverständnisse verstricken - und sich dennoch und deshalb andauernd haarscharf verfehlen.

Wunderkiste von einem Film

Alle fünf Minuten eine neue Attraktion - diese Maxime gab Hongkongs führender Kino-Impresario Tsui Hark in den 1980ern seinem Team vor. Shanghai Blues übererfüllt diese Vorgabe enthusiastisch, schaltet phasenweise sogar eher um auf einen Fünf-Sekunden-Takt. Unter anderem erfährt man in dieser Wunderkiste von einem Film, weshalb die Tuba das lustigste aller Musikinstrumente ist, wie viele Menschen sich auf engstem Raum voreinander verstecken können (immer mindestens zwei mehr als man denkt, und eine Ratte mischt gelegentlich auch noch mit) und was passiert, wenn man eine Tänzerin in eine mit Seifenlauge gefüllte Plastikmuschel wirft. Vergewaltigungs- und Blackfacewitze, das sei dazu gesagt, sind auch mit von der Partie, aber wenn man sich dazu entscheidet, sich über sie zu empören, ist der Film bereits wieder zwei, drei Drehungen weiter.

Ein Film der bunten Lampions und Neonreklamen, ein Film der 1000 Wunder. Deren größtes allerdings besteht womöglich darin, dass in allem Trubel melancholische, sehnsüchtige Untertöne mitschwingen. Shanghai Blues spielt kurz vor dem Sieg der Kommunisten im chinesischen Bürgerkrieg - Tsuis Film ist eine nostalgische Utopie, ein Liebesbrief an ein China der kapitalistischen, hedonistischen Moderne, dem keine Zukunft beschieden war.

Den Film kann man bei MUBI streamen.

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