Schwarzer Kies – Kritik
VoD: Eine lang vergessene Sternstunde des deutschen Nachkriegsfilms endlich auf Blu-ray. Helmut Käutners Schwarzer Kies (1961) ist ein einzigartiger Mix aus Milieustudie, Liebesfilm, Arbeiterdrama, Period Piece und Film noir – und wirft Blicke in ein tief gespaltenes Land.

Ein schnauzbärtiger, weißhaariger alter Mann lässt unentwegt deutsche Marschmusik aus der Musicbox erschallen und schreitet dazu laut singend auf und ab – sehr zum Unmut der amerikanischen GIs, die sich nicht ganz zu Unrecht von seiner Darbietung provoziert fühlen. Der Besitzer des Tanzlokals ermahnt den Mann aufzuhören, erst freundlich, dann, als der sich beharrlich weigert, deutlicher. „Du … Saujud!“, schmettert ihm der Greis daraufhin entgegen. Der Wirt erstarrt, man kann eine Stecknadel fallen hören. Und am Unterarm des Beschimpften zeigt sich die Tätowierung, die ihn als Überlebenden des Holocaust ausweist ...
Verleumdet, gekürzt, vergessen

Die Szene ist der emotionale Gefrierpunkt von Helmut Käutners Schwarzer Kies (1961), einem Film, der mit der in jener Zeit herrschenden Wirtschaftswunder-Aufbruchsstimmung nicht viel zu tun hat. Stattdessen zeigt er ein tief verwundetes, gespaltenes Land, voller Kriegsversehrter, gescheiterter Existenzen, Glücksjäger und Hoffnungsloser. Die Szene ist außerdem vollkommen unmissverständlich: Der Zweite Weltkrieg, die Schrecken des Nationalsozialismus mögen überwunden sein, getilgt sind sie aber noch lange nicht. Zur Zeit der Aufführung des Films sah man das offensichtlich anders, vielleicht konnte man es nicht anders sehen: Der Zentralrat der Juden legte Beschwerde ein und stellte Strafanzeige gegen den angeblich antisemitischen Regisseur, der glaubhaft beteuerte, dass er im Gegenteil vor einem neu aufflackernden Antisemitismus warnen wollte. Zwar kam es nie zu einer Verhandlung gegen Käutner, aber die Szene wurde entfernt, Schwarzer Kies mit einer Freigabe ab 18 versehen. Und da auch die zeitgenössische Kritik nicht gerade zurückhaltend war mit ihren absurden Einschätzungen, verschwand Käutners Film völlig von der Bildfläche. Erst 1990 wurde die Freigabe im vierten Anlauf auf 16 zurückgestuft, die ungekürzte Fassung 2009 zum ersten Mal seit 1961 wieder aufgeführt. Es steht zu hoffen, dass diese nun auf Blu-ray veröffentlichte Premierenfassung Käutners Schwarzer Kies endlich rehabilitiert, denn es handelt sich um eine Sternstunde des deutschen Nachkriegsfilms, eine hoch eigenständige Mischung aus Milieuschilderung, Liebesfilm, Arbeiterdrama, Period Piece und Film noir.

Im Zentrum von Schwarzer Kies steht Robert (Helmut Wildt), ein ehemaliger Wehrmachtssoldat: Im pfälzischen Örtchen Sohnen, Heimat einer amerikanischen Airbase, verdient er sein Geld schwarz als Kiesfahrer und lebt mit der Prostituierten Elli (Anita Höfer) in einem Zimmer im „Atlantic“, einem Tanzschuppen mit integriertem Bordell. Die Geschichte kommt ins Rollen, als er seiner alten Flamme Inge (Ingmar Zeisberg) wiederbegegnet, die mit dem amerikanischen Militär John Gaines (Hans Cossy) verheiratet ist. Sofort beginnt Robert mit der Rückeroberung seiner großen Liebe – und hat mit seiner draufgängerischen Art Erfolg. Doch kaum haben die beiden beschlossen, gemeinsam ein neues Leben anzufangen, kommt es zum Schicksalsschlag: Robert überfährt bei einer seiner schwarzen Touren ein Liebespärchen …
Hier liegt der Hund begraben

Käutner ist mit Schwarzer Kies das seltene Kunststück gelungen, einen Film zu drehen, der gleichermaßen über eine perfekt konstruierte Geschichte und Dramaturgie zu fesseln versteht, wie einen Einblick in eine eigene kleine Welt zu ermöglichen, voller Leben und Geheimnisse, voller reizvoller Gestalten und Geschichten, eigener Regeln des Zusammenlebens und einer gewachsenen Historie. Deutsche Wirklichkeit des Jahres 1961 und Dichtung geben sich hier die Hand in der gemeinsamen Mission der Wahrheitsfindung. Schon der Anfang des Films, der mit dem unfasslichen Bild eines unter grauen Kiesmassen begrabenen Hundekadavers sein niederschmetterndes Ende vorwegnimmt (ein erzählerischer Kniff, den Käutner mehrfach mit beinahe verstörendem Effekt für sich zu nutzen weiß), brennt sich dem Betrachter unauslöschlich ein. Ebenso: ein im Wald vergessenes Radio, das beharrlich weiterdudelt, die Silhouette der Geliebten hinter dem Fenster eines geheimen Liebesnestes, eine Reihe Arm in Arm gehender Mädchen auf den nächtlichen Straßen des pfälzischen Dorfes, der Heuhaufen, der sich direkt vor dem rührend polyglott betitelten „Atlantic“ türmt.
German Noir

Das Deutschland, das Käutner ablichtet, ist gefangen im Limbo zwischen seiner Vergangenheit und der näher rückenden Zukunft, deren Sendboten schon im Tiefflug und mit Überschallgeschwindigkeit über die malerische Landschaft rasen. Die meisten kämpfen noch mit dem Kater des Weltkrieges, an dem sie alle irgendwie beteiligt waren, während der Schaffner schon zum Einsteigen mahnt. Robert, ein kerniger Typ, der nach seinen eigenen Regeln lebt, seine Inge nicht gehen lassen will, aber sich auch die echte Liebe nicht recht erlauben mag, ist nicht das Einzige, was sich Käutner vom amerikanischen Film noir leiht: Es ist vor allem dieses Gefangensein zwischen den Realitäten, das an die Schwarzweiß-Klassiker der 1940er Jahre erinnert, das Hin- und Hergerissen-Sein zwischen dem Hier und Jetzt und den unauslotbaren Möglichkeiten, die der Morgen bringen könnte, wenn diese verdammte Nacht denn nur endlich einmal ein Ende nähme. Das tut sie natürlich nicht. So unangepasst und draufgängerisch Robert auch sein mag, so wenig er dazugehört, auch er ist in den engen Strukturen seines Lebens nicht so sehr gefangen, als dass sie ihm den Halt geben könnten, den auch er braucht, um den harten Mann zu markieren. Das Kaff Sohnen mit seinen überschaubaren Dimensionen, das „Atlantic“ mit den besoffenen GIs, den Nutten, den beiden Münzfernsprechern und dem kleinen, aber auch irgendwie gemütlichen Zimmer, die Kiesgrube, deren Dreck sich immerhin abwaschen lässt: Das alles bietet eben auch eine gewisse Geborgenheit, Sicherheit. Träume bergen auch immer eine Gefahr. Beim schwarzen Kies weiß man, was man hat. Und ein kühles Grab ist er auch.
Der Film steht bis zum 07.06.2021 in der 3Sat-Mediathek.
Neue Kritiken

Yen and Ai-Lee

Die Möllner Briefe

The Negotiator

The Uniform
Bilder zu „Schwarzer Kies“




zur Galerie (9 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.