Romance 2 - Anatomie einer Frau – Kritik
Ein Essayfilm mit zwei Prinzipien als Protagonisten: In Catherine Breillats Romance 2 - Anatomie einer Frau treffen sich ein paar Nächte lang die Frau an sich und der Mann an sich. Zum Vorschein kommen die männliche Angst vor der Unendlichkeit und die Geschlechterschlacke in uns allen.

Es ist ein kleines Insert: Ein Junge klettert auf einen Baum, füttert dort frisch geschlüpfte Küken und steckt sich eines der fragilen, rosa Dinger mit dem struppigen Federansatz in seine Hemdtasche. Nach dem Herabklettern bemerkt er einen Blutfleck auf seiner Brust. Das zerquetschte Küken wirft er auf den Boden und tritt noch einmal zornig drauf. Dann kehren wir in die Gegenwart des Films zurück und sehen einen Mann (Rocco Siffredi), der mit Scheidensekret Fäden zwischen seinen Fingern zieht. Ein anderer assoziativer Ausflug zeigt Kinder beim „Doktorspiel“. Was nichts anderes heißt, als dass drei Jungs in einen Busch schauen, in dem ein Mädchen ihnen ihren entblößten Unterleib zeigt. Nach der Logik dieses Films von Catherine Breillat sehen sie hier den reinen Zustand des weiblichen Geschlechts, bevor dieses durch Ausscheidungen dreckig und abstoßend wie ein zu Mus zertrampeltes Vogelküken wird.
Erörtern und Schlafen

In Romance 2 – Anatomie einer Frau (Anatomie de l'enfer) – tatsächlich ist es lediglich der deutsche Verleihtitel, der aus dem Film eine Fortsetzung von Breillats Romance machen möchte – bittet eine Frau (Amira Casar) einen homosexuellen Mann, sie mehrere Nächte nackt zu betrachten. Es geht ihr um einen genuin männlichen Blick, der nicht durch Begierde getrübt oder befangen ist. Einen Blick, der auch nicht durch ihre Persönlichkeit beeinträchtigt ist, der nur ihren Körper sieht, weshalb sie sich jede Nacht nach seiner Ankunft schlafen legt – mal sofort, mal nach längeren Erörterungen über die Beschaffenheiten des Weiblichen und des Männlichen. Mann wie Frau bekommen keine Namen, da sie für zwei Prinzipien einstehen, für zwei Phantasmagorien: den Mann an sich und die Frau an sich.
Durchfurchung des Weiblichen

Die Sprache, die die beiden dabei benutzten, ist kategorisch und frei von Nuancen. Die Ereignisse bestätigen das Proklamierte dabei auf eigene Weise. Einmal wacht die Frau auf und eine Kartoffelhacke ragt aus ihrem Körper hinaus. In der Nacht hatte der Mann das Ende des Griffs in ihre Vagina geschoben und den Schaft einfach stecken lassen. Sichtlich von seinen Gefühlen überfordert. Die Kamera zeigt uns nun die drei groben Zinken des Werkzeuges und etwas versetzt das Gesicht der Frau, die auf das Ende des in ihr steckenden Fremdkörpers schaut. Und in diesem Antlitz finden sich weder Überraschung oder Schmerz noch der panische Wunsch, etwas an diesem Zustand zu ändern. Nur einen in sich versunkenen Blick. Das Gegebene ist eben auch nur ein neuer Ausdruck dessen, was ihr schon bekannt war:

Der Mann und sein Glied durchfurchen das Weibliche. Von Dreck und Matsch, vom Weichen und Nachgiebigen im Schoss der Frau sind sie fasziniert und angewidert. Von der unfassbaren Unendlichkeit, die der ehrlichen Verschließbarkeit und Sauberkeit eines Anus diametral entgegensteht. Die Kamera zeigt immer wieder eine abgeklärte Frau und einen Mann, der mit sich und seinen Gefühlen zu kämpfen hat. Wie gegen seinen Willen wird er einmal Sex mit ihrem schlafenden Körper haben, nur um danach verzweifelt zu weinen und von ihr getröstet zu werden. Er wird ihre Schamlippen mit Lippenstift anmalen und danach ihre Lippen – um sie zu entstellen und um seine Verachtung auszudrücken. Der Mann ist brutal, weil er keine Chance gegen die Unendlichkeit hat. Der weibliche Körper zerfrisst ihn geistig und selbst seine Homosexualität lässt ihn nicht aus diesem schwarzen Loch entkommen – sein Schwulsein ist kein Ausdruck seiner Sexualität, sondern des von ihm verkörperten Prinzips.
Auf dem Operationstisch des Unbewussten

Geschlecht ist in Anatomie de l'enfer etwas anderes als Gender. Es hat keine soziologische Dimension und erwächst lediglich aus den männlichen und weiblichen Körpern und ihren Reaktionen aufeinander. Zwei entgegengesetzte Pole treffen hier aufeinander, und die Gewalt ist Ausdruck der Kräfte, die es braucht, um sie so nah aneinander zu halten. (Der Film beginnt in einem Gay-Club, wo solche Probleme beim engumschlungenen Tanz nicht sichtbar sind. Homosexualität, die Anziehung von Gleichem, ist das Stimmigere in diesem Aufbau.) Auf den Körper schreibt sich diese Abstoßung ein. Nicht nur in den Misshandlungen des Films. Tiefe, rote Abdrücke hinterlässt der BH, als die Frau ihn in der ersten Nacht abnimmt. Überhaupt zeigen die Leiber wiederholt Druckstellen und Narben. Von Körpern geht alles aus, auf die Körper fällt es zurück.

In dem spärlich ausgestatteten Zimmer in einem abgelegenen Haus, indem fast die gesamte Handlung spielt, gibt es ein Bett, kaum Möbel, einige Gemälde, ein Kruzifix – und Lampen. Eine Deckenleuchte, Lampen an der Wand, eine Nachttischlampe, eine Beistelllampe am Ende des Bettes. Auf einem Operationstisch des Unbewussten befinden wir uns, wo die Körper und ihre Wirkungen unter die Lupe genommen werden. Der Geschlechtsdiskurs mit seinen entschiedenen Worten und seiner deftigen Körperlichkeit umkreisen ein – so wird zumindest immer wieder behauptet – simples Verhältnis, das aber doch so schwer zu fassen ist, dass es Mord und Selbstmord, geistige und körperliche Gewalt mit sich führt. Dass nicht davon abgelassen werden kann. In einer Echokammer steckt der Film fest.
Fast ein Exorzismus

So entsteht ein sehr eigenwilliger Essayfilm, der nur oberflächlich eine Handlung vorschiebt und der mit Entschiedenheit absonderliche Wortgefechte austragen lässt. Manchmal ist dies alles so naheliegend wie die Diskussion zweier Leute, die sich über den Einfluss der Eistüte auf Verfall und Veredlung der Sitten anhand Caravaggios Der Tod der Jungfrau unterhalten. Man wird eingeladen, sich ins Getümmel zu werfen, irritiert das Weite zu suchen oder dem Film aus einer Metaposition etwas abzugewinnen.
Was Anatomie de l‘enfer aber davor rettet, albern zu werden: dass er nicht mit ausgewogenen Argumenten und Mitteln vorgeht, sondern mit stürmischer, entschiedener Aufrichtig- und Dringlichkeit. Fast wie ein Exorzismus. So sehr der Film die Individualität der beiden Protagonisten negiert, so sehr ist er von einer individuellen Stimme geprägt. Schon dass der Mann auf das obskure Angebot der Frau kaum verwundert reagiert, sich vielmehr in die obskuren Auswüchse der Gespräche wirft, lässt einen nie vergessen, dass er der Fantasie von Catherine Breillat entspringt.
Verzierung durch Zungenrollen
Zu Beginn taucht die Frau im Blick des Mannes im Club wie aus dem Nichts auf. Sie verschwindet am Ende zweimal aus dem Film und lässt den Mann allein zurück. Vielleicht ist sie nur für ihn Realität – im Kampf mit seinem Geschlecht. Dass der Mann von einem Pornodarsteller und -regisseur gespielt wird, dessen Filme von Drastik gegenüber den weiblichen Figuren geprägt sind, schiebt sich auch noch über die Identität dieses „Mannes an sich“. Breillat, auch Autorin der Romanvorlage von Anatomie de l‘enfer, spricht selbst die Gedanken von Frau wie Mann aus dem Off ein. Identitäten überlagern sich und werden porös. Es ist ein wildes Karussell aus Assoziativem und Absurdem im Gewand heiligen Ernstes.
Im Originalton markieren die „l“s und „r“s in Rocco Siffredis Französisch, dass er nicht in seiner Muttersprache spricht. Etwas Unbeholfenes findet sich darin. Im Zungenrollen steckt aber auch eine wunderschöne Verzierung. Es ist der augenscheinlichste Ausdruck der Zärtlichkeit eines Films, der nicht einfach nur am Widerspruch der Geschlechter verzweifelt, sondern auch liebe- und lustvoll den Kampf mit sich selbst und der Geschlechterschlacke in uns allen angeht. Ohne verschämt zu verstecken, was er dabei findet.
Zur Einführung und Übersicht unserer Catherine-Breillat-Reihe geht es hier.
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