Promising Young Woman – Kritik
Eine Frau sieht rot: Emerald Fennels gerade mit einem Oscar ausgezeichneter Rape-Culture-Revenge-Film wechselt stetig die Tonlage und verläuft sich in Sackgassen. Nur deshalb bekommt Promising Young Woman etwas von seinem Thema zu fassen.

Über Recht und Gerechtigkeit liest man viel in diesen Tagen, nachdem der Mörder George Floyds von einem Geschworenengericht in allen Anklagepunkten für schuldig erklärt worden ist. An den strukturellen Ursachen, die der rassistischen Polizeigewalt in den USA zugrunde liegen, ändert ein einzelnes Urteil zwar nicht viel. Und doch, so der Tenor vieler Kommentare, ist es ein durchaus historisches Ereignis, wenn nach unzähligen Freisprüchen und eingestellten Verfahren in ähnlichen Fällen ein solcher Gewaltakt tatsächlich mal mit einem Schuldspruch endet. Dieser Ausgang ist, vor allem für die Angehörigen, somit zwar eine gute Nachricht, aber längst kein Grund zum Aufatmen. Er bleibt eben bis auf Weiteres die Ausnahme, die eine bittere Regel bestätigt.
Erst hacke, dann stocknüchtern

Auch in Promising Young Woman haben das letzte Wort die sogenannten Gesetzeshüter, die eine bis dato vollkommen private filmische Welt betreten. Und wie man im Fall Floyd stöhnte, dass es anscheinend schon ein Echtzeit-Video der Tat braucht, um Recht und Gerechtigkeit in Einklang zu bringen, lässt auch Emerald Fennell in ihrem Spielfilmdebüt mit diesem Ende einen bitteren Schluss zu: Wenn es um die strafrechtliche Verfolgung sexueller Gewalt geht, dann ist wohl nur eine tote Frau eine ernst zu nehmende Zeugin. Auf welchem Wege Fennell, die gerade mit dem Oscar für das beste Originaldrehbuch ausgezeichnet wurde, zu diesem Schluss kommt, ist im Rückblick betrachtet durchaus spektakulär. Dass der Film sich vor allem im Rückblick sehr schön betrachten lässt, dagegen sein größtes Problem. Manchmal scheinen die Affekte den Ideen eher ein bisschen hinterherzuhinken, als sie auszudrücken.

Dieses Problem gehört wiederum zum Prinzip, denn Fennell täuscht im Verlauf von Promising Young Woman durchaus offensiv gleich mehrere Filme an, um die mit ihnen einhergehenden Versprechen zu enttäuschen. Klar ist erstmal nur die Ausgangslage: Im Zentrum steht Cassandra (Carey Mulligan), die sich Wochenende für Wochenende an der sexistischen Männerwelt rächt, indem sie sich scheinbar sturzbetrunken aus einer Bar abschleppen lässt, um im entscheidenden Moment von hacke auf stocknüchtern zu wechseln und den Jungs, die das Erreichen eines alkoholischen Grenzwerts mit einem Ja verwechseln, einen ordentlichen Schrecken einzujagen. Im exemplarischen Prolog haben Fennell und Mulligan durchaus Freude daran, einen tarantinoesken Gewaltexzess anzudeuten, aber Cassie lässt die Typen am Leben.
Rape Culture Revenge

Das zentrale Motiv des Rape-Revenge-Films verschiebt sich hier also gewissermaßen vom Einzelfall auf die Struktur. Fluchtpunkt ist in Promising Young Woman erstmal kein bestimmter Vergewaltigungsakt, für den eine Gepeinigte sich rächt, sondern das, was gemeinhin als Rape Culture bezeichnet wird: eine gesellschaftliche Normalisierung sexueller Übergriffe, die Männer, ganz nach dem Motto „Boys will be boys“, tendenziell aus der Verantwortung entlässt, und Frauen, die es doch eigentlich besser wissen sollten, als diesen Ort zu besuchen oder jene Klamotten zu tragen, tendenziell die Schuld zuschiebt.

So weit, so klar, doch die reizvolle Prämisse wird sogleich auf einen schwierigen Balanceakt geschickt, der Promising Young Woman bis zu seinem furiosen Ende auszeichnen wird. Der Film schwankt zwischen lustvoller Politik und nachdenklicher Psychologie wie seine Protagonistin zwischen der gegnerischen Figur der „promising young woman“ aus dem Titel und der konkreten Filmfigur Cassandra. Das kann zu irritierenden Szenen führen: Wenn Cassie eines Morgens nach einer erfolgreichen Nacht als Rächerin verkatert am Frühstückstisch der Eltern auftaucht, bei denen sie noch immer wohnt, und ein riesiges Geschenk zu ihrem 30. Geburtstag, den sie vergessen hat, auf ihrem Platz wartet, dann klingt die Tonalität des Films auf einmal nicht mehr nach den wuchtigen Exploitation-Harmonien, mit denen alles angefangen hat, sondern nach Zwölftonmusik. Hat unser Racheengel jetzt nicht nur Flügel, sondern auch ein Seelenleben? Und soll uns dieser überraschende und etwas bizarre erste Einblick in dieses Leben jetzt zum Lachen oder Nachdenken bringen?
Romanze und Rache

Bei Lichte besehen, und das heißt hier eben immer auch: vom Ende her gesehen, ist dieser Balanceakt allerdings genau das, was Promising Young Woman zu einem ziemlich guten Film macht, zu einer Achterbahn der Gefühle der etwas anderen Art. Mit der Szene am Frühstückstisch geht’s erstmal in Richtung Charakterstudie: Denn so selbstbewusst Cassie in ihren nächtlichen Ausflügen erscheint, so unglücklich wirkt sie am Tage, den sie arbeitend in einem Café verbringt. Als dieses Café dann auch noch Ryan (Bo Burnham) betritt, ein ehemaliger Kommilitone während des Medizinstudiums, das Cassie abgebrochen hat, geht’s geradewegs weiter in Richtung Romantic Comedy: Der etwas trottelige, aber charmante Ryan scheint Cassie tatsächlich aus ihrem Wiederholungszwang reißen zu können.

Zugleich aber reißt er mit seinen Storys von den alten Mitstudierenden auch jene Wunde auf, die der Ursprung von Cassies Lifestyle ist: die Vergewaltigung ihrer Freundin Nina, die sich im Nachgang umgebracht hat, auch weil ihr damals niemand geholfen hat. Während Cassie als psychisch labile junge Frau sich durchaus ernsthaft auf eine Romanze mit Ryan einlässt, wechselt sie als Rächerin vom anonymen Death-Wish- zum gezielten Kill-Bill-Modus und arbeitet diejenigen ab, die sie für den Fall Nina verantwortlich macht: darunter auch eine alte Freundin und die Dekanin der Uni, die die Sache damals nicht ernst genommen haben.
Überall Sackgassen

Promising Young Woman steht also ziemlich unter Spannung, balanciert zwischen den filmischen Modi und bleibt dezidiert disharmonisch: Empörung, Lust, Witz, tiefe Traurigkeit und Bitterkeit halten sich die Waage, und gerade in dieser Inkonsistenz kommt Fennell einerseits ihrer Protagonistin nahe, andererseits auch ihrem Thema: Individuelle Rache führt angesichts tiefer Traumata ebenso in die Sackgasse wie die Flucht in die Liebe, Exploitation und RomCom sind zudem beides keine Lösungen fürs große Ganze, und wenn man es tatsächlich mal mit der ganzen homosozialen Welt privilegierter Mediziner*innen aufnehmen will, muss schon unwahrscheinlich viel klappen. Im besten Fall – und in der besten Szene des Films, die dann wirklich mal nicht gespoilert gehört – lässt Promising Young Woman in der notdürftigen Verklebung all dieser Dramaturgien auch einen Blick darauf zu, was die Macht dieser Welt mit, eben, Dramaturgie zu tun hat, wie etwa generische Dudes auch in den Konventionen des Erzählfilms gewisse Privilegien genießen.
Agency als Balanceakt

Promising Young Woman lief bereits Anfang 2020 auf dem Sundance-Festival, die Pandemie machte einem Kinostart dann einen Strich durch die Rechnung. Das schlechte Timing teilt Fennells Film mit einigen anderen Werken von Regisseurinnen – Eliza Hittmans Niemals Selten Manchmal Immer (2020) oder Kitty Greens The Assistant (2019) –, die ihr feministisches Anliegen offen vor sich hertragen, ohne dabei bloß PowerPoint-Folien aneinanderzulegen. Die vielmehr nach Möglichkeiten suchen, gesellschaftlich virulente Dynamiken, die sonst eher akademisch verhandelt werden, in neue Bilder und neue Erzählformen zu überführen. (Im Serien-Bereich sind hier natürlich auch Unbelievable (2019) und I May Destroy You (2020) zu nennen.)
Was diese Suche unter anderem nötig macht, ist etwas, das all diese Filme unterschwellig durchzieht: eine Ermüdung in Sachen individuelles Empowerment, und damit auch in Sachen filmischer Einzelfälle und fantastischer Gegenprojektionen. Weibliche Agency ist hier weder von vornherein unmöglich ist noch einfach so im Bild herstellbar, sondern eben: ein prekärer Balanceakt. Das zeichnet vielleicht den Übergang vom wilden Pop- in einen nachdenklicheren #MeToo-Feminismus aus. In Promising Young Woman ist die nagellack-cupcake-kaugummi-verschossene Hyper-Femme-Ästhetik zwar stylishe Deko, ihr wohnt selbst aber keine Kraft der Veränderung mehr inne. Sie ist nicht Träger lustvoller Harmonien, sondern nur mehr ein Element einer affektiv aufgewühlten Zwölftonmusik, die bittererweise erst abklingt, als die Gesetzeshüter die Szene betreten.
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