Princess Cyd – Kritik
Fiction comes first. Stephen Cone erzählt in seinem jüngsten Film von einer, die auszog, eine Weile bei ihrer Tante zu wohnen, in einem Hipster-Café dann aber einen Prinzen namens Katie fand.

Ein Märchen: Es kommt das Mädchen aus South Carolina in die große Stadt, eigentlich nur, um ein paar Wochen bei ihrer Tante zu verbringen, aber dann trifft sie einen Prinzen, keinen klassischen, sondern einen weiblichen namens Katie, mit feschem Iro und Jungsklamotten, der in einem Hipster-Café arbeitet und direkt ziemlich flirty drauf ist, als Cyd, das Mädchen, reinkommt; der Prinz hat dann auch noch in zehn Minuten Feierabend, und unsere Prinzessin weiß erst gar nicht so recht, lässt dann aber geschehen.

Fiction comes first in diesem schönen neuen Film von Stephen Cone, der erst kürzlich vom Unknown-Pleasures-Festival mit einer kleinen Retrospektive geehrt wurde – und das gleich mehrfach. Schon der entscheidende Moment, als die Prinzessin ihren Prinzen das erste Mal in den Armen hält, ist selbst innerhalb der Handlung von Princess Cyd ein nur gespielter. Die beiden jungen Frauen, die sich gerade erst kennengelernt haben, klettern zusammen auf ein Häuserdach, aber um aus der zwar leicht gespannten, aber stark unverfänglichen Situation eine romantische zu machen, braucht es schon noch ein Filmteam auf dem gegenüberliegenden Dach, das wiederum für eine Szene im Hintergrund ein Pärchen beim slow dancing benötigt. Ein völlig beliebiger Film-im-Film, irgendwo in der Ferne, reduziert die schüchterne Distanz zwischen den Turteltauben und schenkt ihnen erste intime Blicke.
Die Frage nach dem WLAN

Was das Märchen in den Gang gebracht hat, hat mit all dem nichts zu tun: Cyd wird von ihrem alleinerziehenden Vater für ein paar Wochen zu Tante Miranda geschickt, der Schwester von Cyds bei einem Autounfall verstorbener Mutter, die dazu noch eine relativ bekannte Schriftstellerin ist. Cone etabliert in den Szenen der Ankunft in Chicago nicht nur einen handelsüblichen Generationenkonflikt, wenn der Teenager erst einmal nach dem WLAN-Passwort fragt. Er versteckt noch in der Antwort auf diese Frage – hawthorne1850 – ein ganzes Figurenverhältnis, als Miranda nämlich etwas peinlich berührt erklärt, 1850 sei das Erscheinungsjahr des Scarlet Letter, was Cyd egal ist, wofür sie aber trotzdem ein bisschen Interesse heuchelt. In Princess Cyd prallen also nicht einfach Welten aufeinander, hier sind zwei Welten erstmal aus ihrer gewöhnlichen Umlaufbahn gerissen, hier sind zwei der Selbstverständlichkeit ihres Auftretens verlustig gegangen, müssen erklären, was schon lange nicht mehr erklärungsbedürftig war, sind mit einem Gegenüber konfrontiert, das kein sorgsam aufgebautes Ideal-Ich zurückspiegelt, sondern ungewohnte Perspektiven eröffnet.
Ridiculously sweet

Ganz beiläufig von ganzen Lebensläufen erzählen, wie in diesem so klaren wie verschnörkelten Film, darin ist Stephen Cone ein Meister. Seine Filme sind immer extrem genau beobachtet und dabei trotzdem ridiculously sweet, man muss das mit diesem weniger negativ konnotierten englischen Ausdruck sagen, weil diese Sweetness in weniger sensiblen Händen wohl tatsächlich schnell süßlich im deutschen Sinne wäre und damit lächerlich. Cone dagegen will sich, uns und seinen Figuren nur Gutes, er weiß, dass dieses Gute im Dschungel des Zwischenmenschlichen manchmal verloren zu gehen droht, aber er weiß auch, mit welchen narrativen und filmischen Operationen es wieder sichtbar zu machen ist. Unsere Prinzessin muss dann auch schon mal ausgebremst werden, wenn sie sich dank ihres vom Prinzen induzierten neuen Selbstbewusstseins zu kränkender Naseweisheit verleiten lässt. Da haut sie nach getaner Party beim gemeinsamen Abwasch mit ihrer Tante doch tatsächlich raus, dass diese vielleicht weniger essen würde, wenn sie häufiger Sex hätte, und da reicht es der Tante, und sie setzt zu einer Predigt an, die so streng wie herzerwärmend ist. „Let’s just respect each other’s selves“, endet sie in bescheidener Anti-Katharsis.
Im Märchenland der liberalen Elite

Diese Party, das war übrigens eine Soirée, Mirandas monatliches Event, das von der intellektuellen Elite ihres Chicagoer Viertels frequentiert wird. Eine liberale Diversity-Utopie ist dieser Abend, Leute aller Generationen, Hautfarben, Geschlechter, Sexualitäten improvisieren Geschichten, lesen Emily Dickinson und James Baldwin, während der Abend langsam rotweinschwer wird, so sehr, dass Cyd mit dem süßen Sohn von Mirandas guter Freundin irgendwann kiffen geht. Weil das hier fairyland ist, darf Cone den bildungsbürgerlichen Bias seiner Utopie geflissentlich ignorieren, ein Märchenerzähler darf sich ja ruhig ganz persönliche beste Welten bauen, und wenigstens kurz würde ich mich ja auch gern auf eines der Sofas in Mirandas Wohnzimmer setzen und schönen Menschen dabei zusehen, wie sie schöne Gedichte vortragen.
Auch Katie der Prinz wird, nachdem sie aus den Fängen eines übergriffigen jerks gerettet wurde, noch ihren Umweg in Mirandas Haus finden, und dann wird sie im Regal eines von Mirandas Büchern entdecken, es heißt Princess Cydney und ist ihrer Schwester, Cyds Mutter, gewidmet. „Du hast es nach mir benannt“, stellt Cyd ihre Tante mit leuchtenden Augen zur Rede. „Schau mal aufs Erscheinungsjahr“, erwidert die nur lächelnd. So muss auch unsere Prinzessin schließlich lernen: Fiction comes first.
Princess Cyd kann man sich bei MUBI ansehen.
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