Prey – Kritik
Frau und Außerirdischer machen unter sich aus, wer in der Nahrungskette ganz oben steht. Dabei will das Predator-Prequel Prey etwas über Natur und Kultur erzählen. Auch für die Freunde Freuds gibt es viel Spaß beim Gucken.

Ein Insekt kommt geflogen und wird von einer Maus gefressen, die Maus wiederum von einer Klapperschlange. Und die wird darauf vom Predator getötet. All das wird ohne Schnitt gezeigt, während sich die Kamera aufmerksam den immer neuen (computeranimierten) Entwicklungen anpasst und sich so verschiebt, dass bis zur schockartigen Häutung der Schlange alles im Bild bleibt. Es ist ein beiläufiger Moment, aber doch ist diese knappe Nahrungskette zentral. Weil Prey vom Thema Jagd, von Jägern und Beute durchzogen ist.
Größtmögliche Herausforderung

Abermals ist ein Predator – Mitglied einer außerirdischen Rasse von Jägern – auf der Erde ausgesetzt worden, um sich zu beweisen. Um Ehre zu finden, indem er Jagd auf andere Jäger und Raubtiere macht. Dieses Mal findet sich „Pussyface“ – so der liebevolle Spitzname des Wesens, in dessen Gesicht eine Vagina dentata gesehen werden kann – in den nordamerikanischen Great Plains des 18. Jahrhunderts wieder. Gleichzeitig versucht Naru (Amber Midthunder), ihre Chance auf eine Jagd zu bekommen, die sie als Initiationsritus zum Jäger im Stamm machen würde. Sie hat keine Lust, eine Hausfrau zu sein – oder eben das Äquivalent der Comanchen für eine solche. Viel lieber will sie es den großmäuligen, herablassenden Männern ihres Stamms beweisen. Und möglicherweise möchte sie auch nicht immer in der Früh mit einem lieblosen Fußtritt geweckt werden, während ihr Bruder als Jäger weiterschlafen darf.
Und gerade, weil sie sich mehr als die Männer anstrengen und aufmerksamer sein muss, um bei der Jagd akzeptiert zu werden – ständig wird sie weggeschickt –, ist sie es auch, die als Erste und Einzige begreift, dass etwas Bedrohlicheres als ein Berglöwe im Wald sein Unwesen treibt. In dem Sinne ist die anfänglich beschriebene kleine Kette des Tötens ein Hinweis darauf, dass der Predator keine Jagd auf wehrlose Wesen macht, sondern nach der größten Gefahr sucht, nach denen, die oben in der Nahrungskette stehen. Naru wird es erkennen, weil sie auf diese Details achtet. Auch Naru aber bekommt für ihren Initiationsritus nicht irgendein Tier, sondern die größtmögliche Herausforderung. Frau/Mensch und Außerirdischer machen unter sich aus, wer ganz oben steht.
Den Machokram überleben

Prey macht damit nichts anderes, als die Essenz der Reihe – die Frage danach, wer die Beute, the prey ist – in einen neuen Kontext zu stellen. In gewisser Weise begibt sich Dan Trachtenbergs Film in dieser Einfachheit aber auch zum Ausgangspunkt von John McTiernans Predator (1987) zurück. Nicht weil der neue Film nach 1980er-Jahre-Action aussehen würde. Dafür ist er handwerklich zu durchwachsen. In der Kinetik von (computergenerierten) Plansequenzkämpfen kann er punkten. Im Durcheinander mit hoher Schnittfrequenz bei Verfolgungsjagden eher nicht. Vor allem trennen die Effekte die beiden Filme. Der Computer ermöglicht zwar einiges an Blut und Gore, nur wirken die aus Körpern fliegenden Blutflatschen nicht so, als wären sie jemals Teil der Körper gewesen. Kurz: Prey ist sichtlich ein Actionfilm von 2022 und darin ein solider.
Aber wie gesagt, lehnt sich Prey an Predator an. Auch hier geht es nämlich um einen übrig gebliebenen Menschen, der in einem klaustrophobischen Wald dagegen ankämpft, Beute zu sein. Nur wird der Film von 1987 dabei gespiegelt. Aus dem heißen Dschungel mit drückender Feuchte wird hier ein kalter, klammer Mischwald. Und statt muskelbepackten Machos, die von einer laufenden Vagina dentata gejagt werden, ist es nun eine junge Frau, die den Machokram (der Comanchen, der französischen Siedler und des Außerirdischen) überleben muss. Folglich erhält der Predator auch einen Helm, der das Vaginale seines Gesichts verdeckt und ihm eine Art Eichel aufsetzt. Für die Freunde Freuds gibt es also wieder viel Spaß beim Gucken.
Die zu Beginn beschriebene Nahrungskette ist aber auch Teil des Versuchs von Prey, etwas über Natur und Kultur zu erzählen. Hier die Tiere, die jagen, um zu essen und zu überleben, dort die Jäger, die etwas damit beweisen wollen. Oder die aus Gier jagen und ganze Büffelherden auf ihren Weiden verrotten lassen, weil sie nur die Pelze wollen. Sprich, die westliche Zivilisation hat ihren ebenso garstigen Auftritt, wenn ihre Vertreter quasi als Perversion des Natürlichen rauben, brandschatzen und sich eben wie Zerstörer benehmen.

Ein Reagenzglasexperiment
Auffällig ist, dass die Comanchen in Prey zwar kurze Fetzen in ihrer eigenen Sprache, sonst aber fast durchgängig Englisch sprechen. Und keine irgendwie ethnisierte Version – „Ich habe gesprochen“ usw. –, sondern klares, einfaches, kontemporäres Englisch. Sie werden schlicht nicht zu etwas Anderem, etwas Exotischem gemacht, sondern sind die Subjekte, mit denen sich der Zuschauer identifizieren soll. Bestenfalls, weil Prey einfach keine Lust auf peinlichen Quatsch hat, der Film aber auch der kompletten Untertitelung aus dem Weg gehen möchte. Oder weil die Comanchen und vor allem Naru für uns einstehen, um uns etwas klarzumachen. Dass wir nämlich betroffen sind.
Womit wir beim Hauptmakel dieses atmosphärisch sehr dichten, manchmal auch sehr schönen Films angekommen sind. Prey tendiert nämlich dazu, wie ein Reagenzglasexperiment zu sein und nicht Teil einer offenen Welt. Wir sehen ein abgeschlossenes Biotop, in das mehrere (feindliche) Gruppen eingelassen wurden. Weniger aber um zu schauen, was passiert, sondern um dem Zuschauer etwas vorzuführen. Kurz: Prey neigt dazu, ein Gleichnis zu sein, in dem die Bilder und Handlungen darauf ausgelegt sind, uns etwas zum eigenen Anliegen zu kommunizieren. Es wird nach klaren Verhältnissen gestrebt, die aber im Vergleich zu dem wilden freudianischen Genrewust etwas langweilig sind.
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