Pleasure – Kritik

Die Schlagkraft weiblicher PoV-Shots. Pleasure erzählt von einer jungen Schwedin, die in der Pornoindustrie L.A.s ein Star werden will, und zeigt Potenziale zur Selbstermächtigung ebenso wie die Mechanismen, denen sie unterworfen wird.

Ein junges Mädchen aus Schweden kommt nach Los Angeles und will ein Star werden. Sie kommt in der WG einer Agentur unter, findet Freundinnen und macht sich Feinde, geht auf Partys und gerät an Branchengrößen – und schließlich verkauft sie ihre Seele für den Erfolg. Man kennt das. Doch das Hollywood Sign interessiert Linnéa (Sofia Kappel) nicht. Pleasure spielt in der Pornoindustrie von L.A., und Linnéa nennt sich fortan Bella Cherry. Der Film ist dabei eine ganz klassische Geschichte um Aufstieg und Fall in einem Machtspiel und auf einem Unterhaltungsmarkt. Er erzählt vom Verlust einer Unschuld in einem Milieu, in dem man für gewöhnlich keine Unschuld sucht.

Die Bilder sind eine Zumutung

Die irritierende Schlagkraft eines weiblichen PoV-Shots ist nach wie vor erstaunlich und entfaltet ihre Wirkung im Setting eines Pornodrehs mit größter Deutlichkeit. Der Blick von den Lenden eines nackten mittelalten Mannes aufwärts, über dessen Schulter ein zweiter Mann eine Kamera hält, und immer wieder ein anonymes Objektiv, das uns anstarrt. Die Inszenierung sucht die Nähe zum Dokumentarischen und ist nie forciert entstellend. Dabei wird auf Darstellungen von Sinnlichkeit oder Erotik als Gegenentwurf zum Pornografischen verzichtet, denn das ist nicht Thema von Pleasure. Die titelgebende Lust, das wird im Verlauf des Films deutlich, ist keine spezifisch sexuelle, sondern eine, die Erfolg und Macht mit sich bringen.

Dass die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg dieses Thema in eine sehr konventionelle narrative Struktur packt, ist ein Glücksgriff. So wird in ihrem Langfilmdebüt weniger die Singularität der Pornoindustrie inszeniert als deren Gemeinsamkeit mit anderen Märkten. Dennoch, der Missbrauch ist eindeutiger, die Bilder sind expliziter und eine Zumutung. Besonders die Aufmerksamkeitsökonomie stellt Thyberg aus: Linnéa und ihre Kolleginnen begegnen uns als Influencerinnen, die sich ihre Internet-Persona mühevoll und strategisch aufbauen.

Die Drehs, zu denen die Protagonistin geht, werden ambivalent gezeichnet. Die liebevolle Rücksichtnahme und Zusprache hinter der Kamera bei einem Dreh leitet auf irritierende Art darauf hin, dass Linnéa nackt an Seilen von der Decke hängt und geschlagen wird. Ein andermal ist die Gewalt ganz pur, die physische stützt noch die psychische, die die junge Frau nicht gehen lässt, bevor der Film abgedreht ist. Sofia Kappel spielt Linnéa als eine Frau, die fest verbissen in ihr Ziel und dennoch ängstlich ist.

Bürgerliche Selbstvermarktung

In kurzen Dialogen wird die Prüderie der Branche ausgestellt. Durch die performative Art der Tabubrüche, wie etwa beim Sex zwischen Menschen verschiedener Hautfarben, werden diese Tabus erst gefestigt. Einmal telefoniert Linnéa mit ihrer Mutter, die nicht weiß, woran ihre Tochter da in L.A. arbeitet, und erklärt ihr unter Tränen, sie wolle wieder nach Hause kommen. Die Mutter spricht abstrakt von Erfolg und Zielen, von Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen. Das Vorsprechen bei Produzenten gleicht Bewerbungsgesprächen aus dem Lehrbuch, die Selbstvermarktung ist hier nicht weniger bürgerlich als anderswo.

Die ganze Branche sieht sich im Zwang, im Konkurrenzdruck immer extremere Hardcore-Filme zu produzieren, um mitzuhalten oder oben zu bleiben. Die Menschen, die diese Pornos drehen, so berichtet die Regisseurin aus ihren Recherchen, würden diese Inhalte meist nicht gutheißen. Viele dieser Personen spielen sich selbst in Thybergs Film. Kopfschüttelnd drehen sie ab, was auf Konsumentenseite gefordert wird. Die Pornokonsumenten, von der Branche „Zivilisten“ genannt, externalisieren die „Perversion“ auf die Menschen, die so etwas herstellen. Diese Zivilisten kommen im Film so gut wie gar nicht vor. Nur einmal, auf einer Messe, als geifernde Fans. Und vielleicht in Form des Mopses, der in Linnéas WG lebt und mit treudoofen Augen versucht, ihr Bein zu rammeln.

System- statt Moralfragen

Häufig werden Fragen der Pornografie und ihrer Vorstufen sowie verwandter Medieninhalte lediglich aus einer moralischen Perspektive diskutiert. Das zeigte sich in den Reaktionen auf die Welle an Onlyfans-Konten, die vor allem junge Frauen während der frühen Corona-Zeit einrichteten und auf denen sie erotische Bilder von sich verkauften. Reaktionäre beklagten den moralischen Verfall, ohne die finanzielle Not zu sehen, die die Lockdowns mit sich brachten. Und ohne das Recht, diese Bilder von sich zu verkaufen, als eine Selbstverständlichkeit anzunehmen. Ninja Thyberg gelingt es in Pleasure, das Potenzial der Selbstermächtigung, das für Linnéa in der Pornografie liegt, anzuerkennen und gleichzeitig die Mechanismen zu zeigen, denen sie unterworfen wird. Sie entzieht die Debatte dabei ein ganzes Stück weit dem moralischen Feld und stellt viel mehr Systemfragen.

Auf den Punkt bringt sie ihren Film in einem ausgesprochen raffinierten Finale, in dem Linnéa die Macht, den Phallus, erlangt und sich damit konfrontiert sieht, endgültig Teil des Problems geworden zu sein.


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