Past Lives - In einem anderen Leben – Kritik

Neu auf MUBI: Celine Song beobachtet in ihrem Debütfilm, wie eine schüchterne Liebe zu einer platonischen Fernbeziehung über Jahrzehnte anwächst. Dass sie dabei immer den richtigen Ton trifft, tut Past Lives gar nicht immer so gut.

Zwei Kinder, die nach der Schule wie immer getrennter Wege nach Hause gehen, nur dass sich die Wege dieses Mal noch viel radikaler trennen werden. Hae Sung (Leem Seung-min) geht auf der linken Seite des Bildes die Gasse geradeaus weiter, Na Young (Moon Seung-ah) auf der rechten die Stufen hoch. Sie wird nach Kanada auswandern, mit ihrer Familie, hoch hinaus will sie im Leben, er wird in Südkorea bleiben, auch beruflich dem geradlinigen Weg folgen. Na Youngs Mutter hat ihrer Tochter noch eine Art Date mit ihrem Freund besorgt, um ihr noch eine Erinnerung zu schenken, wie dessen Mutter auf der Parkbank erzählt, während die Gerade-noch-Kinder ihre vielleicht letzten gemeinsamen Stunden verbringen.

Intensives FaceTiming

12 Jahre später im Internet: Sie sieht bei Facebook, dass er sie gesucht hat, sie schreibt ihn an, er schreibt zurück, bald folgt das Wiedersehen im Rahmen ihrer MacBooks: Wie überhaupt in ihrem Spielfilmdebüt treffen Song und ihre beiden Darsteller*innen genau den richtigen Ton, halten genau die richtige Balance: Die awkwardness eines Wiedersehens nach einem Jahrzehnt trifft die ohnehin schon immer leicht awkwarde Atmosphäre eines Videocalls. Na Young heißt mittlerweile Nora (Greta Lee), Hae Sung (Teo Yoo) heißt immer noch Hae Sung, sie ist Autorin in New York, er studiert Maschinenbau. Aber man versteht sich auf Anhieb wieder, und so folgt eine RomCom-typische Happy-Couple-Montage, nur eben als intensiviertes FaceTiming, und ohne dass die beiden ein echtes Couple wären. Eine Trennung gibt’s trotzdem, oder eher eine Beziehungspause: Weil sie sich ohnehin frühestens in zwei Jahren treffen können, bricht Nora den Kontakt erstmal wieder ab.

Aus diesem Erstmal werden weitere 12 Jahre – Celine Song nimmt in Past Lives die Zeitsprünge gleich in den Dutzenden –, und in der Zwischenzeit schlagen auch beide Liebesleben andere Wege ein. Nora lernt bei einer Künstlerresidenz den cuten Arthur (John Magaro) kennen, und auch Hae Sung hat zeitweise eine Freundin. Die entsprechenden Ellipsen sind elegant in den Film eingewoben, man sieht stets genügend, um alles Wichtige zu wissen, zu viel erklärt wird nie. Auch der dramaturgische Bogen hält genau die richtige Spannung: Wenn irgendwann Hae Sung doch noch nach New York zu Besuch kommt, er frisch getrennt, sie noch immer verheiratet, und Arthur ins Grübeln darüber kommt, dass er in dieser Geschichte irgendwie der white dude ist, der dem schicksalhaften Glück im Weg steht, scheint es fast zu einer Art Showdown zu kommen, aber auch der ist fast schon enervierend understated.

Leise Töne, die in den Ohren dröhnen

Denn das Talent der bislang vorwiegend als Theaterregisseurin bekannten Song, die Eleganz der Bilder, die Sicherheit im Erzählen, all das tut dem Film gar nicht mal nur gut, sieht doch Past Lives selbst manchmal ein bisschen arg nach Künstlerresidenz aus: Hier hat jemand alle zeitlichen und sonstigen Ressourcen gehabt, um alles so perfekt wie möglich zu gestalten. Und natürlich ist dies auch eher ein Film für diejenigen, die von New York aus ins Umland fahren, um ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, als für diejenigen, die in der Heimatstadt bleiben, um Maschinenbau zu studieren.

Man hat ja Ähnliches den Filmen der sich erfolgreich zur Marke hochgejazzt habenden Firma A24 schon vorgeworfen: Sie seien eben sehr kalkuliert auf eine Zielgruppe zugeschnitten, die in einer Welt leben, in der die Dinge viral gehen: der neueste Burger-Joint in town, die neueste Fancy-Drink-Kreation, der neueste A24-Film. Hipster-Filme also, und wenn damit gemeint ist, dass sie sich idiosynkratisch geben, während sie doch eigentlich recht generisch sind, dann trifft dieser Begriff Past Lives gar nicht mal so schlecht: dessen leise Töne dann eben doch ziemlich in den Ohren dröhnen, dessen Understatement in großen Lettern auf der Leinwand prangt, bei dem die Stellen zum Weinen und zum Lachen nicht klar markiert sind, aber doch heftigst vorgeschlagen werden, und der die altbekannte Frage von Schicksal und den anderen möglichen Leben, die wir mit unseren Entscheidungen ausschließen, nur dadurch eine neue Dimension abzuringen scheint, weil er es mit einem koreanischen Wiedergeburts-Konzept aufhübscht.

Aber vielleicht sind es auch die Sundance-Vorschusslorbeeren, die mich einen etwas skeptischeren Blick auf Past Lives werfen lassen, denn man muss wohl auch hier dazu sagen, dass es meist sehr schön klingt, wenn jemand die richtigen Töne trifft – dass ein Film sehr sehenswert sein kann, wenn ein gut geschriebenes Drehbuch mit den richtigen Darsteller*innen schlafwandlerisch elegant inszeniert wird.

Perfekt ausbalancierte Aromen

Im Prolog des Films, der den Showdown schonmal vorwegnimmt, steckt schon alles an der schönen Schlichtheit wie an der unbefriedigenden Perfektion von Past Lives. Da sehen wir Nora, Hae Sung und Arthur in einer Bar sitzen, die beiden ersteren ins Gespräch vertieft, der dritte etwas bedröppelt daneben sitzend, die Kamera auf Distanz, und auf der Tonspur hören wir zwei andere Stimmen, ein random couple, das sich darüber austauscht, in welcher Beziehung die drei wohl zueinander stehen. Ist „asian girl“ mit „white guy“ zusammen, und „asian guy“ ist ihr Bruder? Der Film bietet sich als des Rätsels Lösung an, wenn er einen Moment später 24 Jahre zurückgeht, und natürlich ist seine Antwort: Es ist kompliziert.

Zugleich vermittelt uns diese Szene bereits, wie Past Lives eben funktioniert, for better or worse: Alles ist sorgsam vorbereitet, bevor er überhaupt begonnen hat, das Menü ist angerichtet, und man kann der Köchin vertrauen, dass die Gänge gut schmecken werden, dass die Aromen perfekt ausbalanciert sind. Es lässt sich eine gute Zeit hier verbringen, aber so richtig etwas zu tun gibt es für die geneigte Zuschauerin nicht, und das kann eben manchmal so schön wie manch anderes Mal fade sein.

Den Film kann man bei MUBI streamen.

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