Passages – Kritik
Ein Genie, sein Mann, und eine Affäre. In Passages inszeniert Ira Sachs ein zum Scheitern verurteiltes Beziehungsdreieck und bewegt sich unaufhörlich einem Abgrund entgegen. Nur Franz Rogowoski als selbstgerechter Regisseur scheint das nicht zu merken.

Körper treffen zusammen. Verschlingen sich ineinander, wenden sich ab, trudeln durch die Straßen von Paris und verändern einander bei jedem Zusammenstoß. Passages von Ira Sachs besteht aus konzentrierter Konfrontation. Wenig Atemraum, keine Rechtfertigungen – nur Figuren, die mit spärlichen Worten und umso bedeutsameren Berührungen ihre Beziehungen immer wieder neu ausrichten.
Charismatischer Kontrolletti

Er soll nicht so sehr die Arme schwingen, wenn er die Treppe herunterkommt, sagt Tomas (Franz Rogowski) zum Schauspieler. Einfach gerade hängen lassen. Oder in die Taschen stecken. Es ist der letzte Take vor Drehschluss, und vielleicht achtet Tomas deshalb umso strenger auf jede Handhaltung, auf die Position jedes Glases im Bild. Immer wieder unterbricht er die Filmklappe, um noch einmal das letzte Wort zu haben, und wird dabei stetig unausstehlicher. Wir lernen ihn schon in den ersten Minuten als kreativen Maestro kennen – charismatisch, kontrollbesessen und selbstzentriert. Kühl telegrafiert Passages uns damit auch das, was Tomas zu verlieren hat.

Schnell setzen sich die Zahnräder des Narrativs in Gang: Auf der Drehschlussparty fällt Tomas zuerst seinem britischen Ehemann Martin (Ben Whishaw) in die Arme, der aber bald nach Hause will, weil der Trubel ihm zu viel wird. Tomas ist enttäuscht: Will Martin etwa nicht für ihn da sein, ihn unterstützen? Die Rollen sind klar vergeteilt: Tomas ist der Künstler. Und Martin ist der Ehemann des Künstlers. Als Martin fort ist, stößt Tomas an der Bar auf die junge Grundschullehrerin Agathe (Adéle Exarchopoulos). Sie halten Smalltalk, flirten, tanzen. Kurz darauf schlafen sie miteinander. Gelegt ist das Fundament für eine komplexe, schmerz- und lustvolle Dreiecksbeziehung.
Expressive Mimik, hölzerne Stimme

Passages ist ein texturreicher Film, auch auf visueller Ebene. Kräftige Komplementärfarben und Muster machen die Bilder fast haptisch erfahrbar. Dabei schlägt vor allem das großartige Kostümbild von Khadija Zeggaï Brücken zwischen dem Außen- und Innenleben der Figuren. Seidene Stoffe unterstreichen die Verletzlichkeit des Druckermeisters Martin. Tomas’ schwarzes Netz-Oberteil, durch das seine definierten Muskeln scheinen, lässt ihn eine moderne, queere Maskulinität verkörpern und verorten ihn zugleich klar in einer liberalen Pariser Bohème der Gegenwart.

Die Kamera liebt Rogowski. Es überrascht nicht, zu erfahren, dass Sachs das Drehbuch bereits mit dem deutschen Schauspieler im Sinn geschrieben hatte, vibriert der Film doch geradezu vor Bewunderung. Josée Deshaies’ Bilder finden aus jedwedem Winkel Geometrien in den Linien seines Körpers, der gleichzeitig muskulös und gedrungen ist. Der Kamerablick ist dabei nicht voyeuristisch, Körperlichkeiten sind vielmehr das Hauptmotiv des Films, wenn die Figuren in den langen und natürlich inszenierten Sexszenen buchstäblich ihre Positionen aushandeln. Rogowski passt auch wegen seiner Paradoxien so gut in die Rolle des Tomas. Seine expressive Mimik steht im Widerspruch zu seiner monotonen und leicht hölzernen Sprechstimme; sein Tomas ist ein tief emotionaler Mensch, der durch seine narzisstischen Wesenszüge aber auf einer anderen Wellenlänge als sein Umfeld zu kommunizieren scheint. Sein Umgang mit den Menschen, die ihn lieben, ist abscheulich. Aber hassen kann man ihn nicht – er ist eine verlorene, irgendwie außer-irdische und zutiefst einsame Präsenz.
Rasante Montage eines Zerfalls

Whishaw spielt Martin mit der würdevollen Sachlichkeit eines Menschen, dem in Zeitlupe das Herz gebrochen wird. Exarchopoulos versieht Agathe mit einer natürlichen Intensität, die als erwachsene Forterzählung der Adèle aus Blau ist eine Warme Farbe (La vie d’Adèle, 2013) denkbar wäre. Sie beide treten über weite Strecken als reaktive Körper in Erscheinung, die den Sinneswandeln von Tomas ausgesetzt sind. Wenn sich später die Machtverhältnisse verschieben, wird das auch durch das hervorragende Schauspiel greifbar.

Aufgrund der elliptischen Erzählweise neigt der Film zugleich dazu, Prozesse zu überspringen und sich auf die Ergebnisse zu konzentrieren. Passages befindet sich dadurch stets in einer fiebrigen Vorwärtsbewegung. Es ist ein Film, der die Konfrontation sucht und wenig Raum zum Verschnaufen gibt. Die rasante Montage eines Zerfalls, in der die Würfel schon früh gefallen sind. Ein tragisch zum Scheitern verdammtes Beziehungsgeflecht, in dem die Beteiligten in ihren Ängsten und Hoffnungen den eigenen Absturz nicht wahrhaben wollen.
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Kommentare
Markus
"Whishaw spielt Martin mit der würdevollen Sachlichkeit eines Menschen, dem in Zeitlupe das Herz gebrochen wird." Eine zutreffende Beobachtung, wunderschön formuliert. Deswegen lese ich hier so gern. Danke dafür!
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